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Tatarische Tradition und moderne Wissenschaft: Kasan

Vom Braunschweiger Löwen sind es ganze 2.850 Kilometer bis nach Kasan. Trotzdem verbindet die Stadt an der Wolga und die Stadt an der Oker ein starkes Freundschaftsband. Seit 1988 ist Kasan Partnerstadt von Braunschweig, ein reger Austausch zwischen Schülerinnen und Schülern, kulturellen Gruppen und den Bürgermeistern der beiden Städte bringt uns Braunschweigern seitdem die tatarische Kultur näher. Trotzdem war ich einigermaßen überrascht, als ich Anfang des Jahres eine Anfrage aus Kasan erhielt. Eduard Burangulov vom Tourismus-Komitee fragte, ob wir unseren Lesern nicht auch Kasan als Reiseziel vorstellen können – und umgekehrt. Ich finde, das ist eine tolle Idee. Nîmes hat Ihnen mein Kollege schließlich auch schon einmal gezeigt. Deshalb werde ich in den kommenden Wochen und Monaten über unsere Partnerstädte schreiben. Beginnen wir mit Kasan.

Die dritte Hauptstadt Russlands

Kasan liegt im europäischen Teil Russlands, in der autonomen Republik Tartastan malerisch an der Wolga. Als echten Experten für seine Heimatstadt habe ich Eduard Burangulov natürlich gefragt, ob er kurz und knapp erzählen kann, warum Kasan eine Reise wert ist. Eine einzige Besonderheit herauszustellen fiel ihm schwer. Kein Wunder, die Millionenstadt ist eine der ältesten Städte Russlands und nach Prag und Kiev die drittälteste Stadt Osteuropas. Und sie gilt nach Moskau und St. Petersburg als dritte Hauptstadt Russlands – wohl auch, weil sie laut Umfragen die lebenswerteste Stadt Russlands ist.

Kasan blickt auf eine wechselvolle und lebendige Geschichte zurück, hier leben neben Russen, Tataren, Juden, Ukrainern und Russlanddeutschen insgesamt 115 Ethnien friedlich mit- und nebeneinander. Das spiegelt sich auch im Stadtbild wieder: Noch heute ist Kasan vor allem bunt. Ganz besonders sieht man das im tatarischen Viertel, wo sich grüne, blaue, gelbe, rote Holzhäuser aneinander reihen. Die Häuser stammen oft noch aus dem 18. Jahrhundert und wurden liebevoll restauriert.

Architektur über die Grenzen hinweg

Die Geschichte Kasans geht bis ins 12. Jahrhundert zurück, im Stadtbild ist aber vor allem das 16. Jahrhundert präsent. Denn nachdem Iwan der Schreckliche Kasan erobert hatte, ließ er 1552 den berühmten Kasaner Kreml errichten. (Ich habe während der Recherche übrigens gelernt, dass Kreml der russische Begriff für eine Festung ist. Weil in Moskau in der historischen Festung noch heute der Amtssitz des russischen Präsidenten ist, wird der Begriff synonym für die russische Regierung oder den russischen Präsidenten verwendet.) Innerhalb des Kremls finden sich die Maria-Verkündigungs-Kathedrale, die Moschee Kul Sharif, eine Filiale der berühmten Ermitage aus St. Petersburg und der «schiefe» Sujumbike-Turm. Dieses einmalige Beieinander von Kathedrale und Moschee, von christlich-orthodoxer und muslimischer Architektur gehört seit 2000 zum UNESCO Weltkulturerbe. Auf dem Kreml wird also auch architektonisch sichtbar, wie gut die verschiedenen Religionen und Bevölkerungsgruppen schon seit Jahrhunderten zusammenleben.

Der Kasaner Kreml ist UNESCO Weltkulturerbe und beherbergt einige der wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt. Foto: Kasan Tourismus

Der Kasaner Kreml ist UNESCO Weltkulturerbe und beherbergt einige der wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt. Foto: Kasan Tourismus

Kasan erfindet sich neu

Dieses für die Kasaren selbstverständliche Nebeneinander verschiedener Kulturen zieht noch heute viele Menschen in die Stadt, so dass sie sich beständig weiterentwickelt und neu erfindet. Deshalb ist es auch nur folgerichtig, dass sich in Kasan die einzige russische Metro befindet, die nach dem Zerfall der Sowjetunion gebaut wurde. Ein Umstand, den Eduard Burangulov besonders betont. Die Stadt hat sich in jüngster Zeit zu einem der größten Industrie-, Wissenschafts- und Kulturzentren der Russischen Föderation entwickelt. Kompressoren, Messgeräte, medizinische Ausrüstungen, optische Geräte und Flugzeuge werden hier produziert. 100.000 junge Menschen studieren an der berühmten 200 Jahre alten Universität oder einer der 15 Hochschulen. Wussten Sie, dass auch Lenin und Tolstoi in Kasan studierten?!

2005 feierte die Stadt ihr 1.000-jähriges Bestehen, im Zuge dessen hat sich die Stadt stark gewandelt. Sie glänzt mit gepflegten Grünanlagen, prächtigen Villen am Bauman-Boulevard und restaurierten Kulturdenkmälern. Apropos Kultur: Die Liste der Museen in Kasan ist lang, es gibt drei Theater und ein staatliches Musikkonservatorium. Neben der architektonischen Sehenswürdigkeiten ist das eine ganze Menge zu entdecken. Eduard Burangulov rät deshalb: „Of course, this is not all! We invite you to plunge into the atmosphere of the capital of Tatarstan and see for yourself that Kazan has something to surprise you with!“ (Natürlich ist das nicht alles! Wir laden Sie ein, in die Atmosphäre der Tataren-Hauptstadt einzutauchen und selbst zu erleben, wie Kasan Sie überraschen wird!)

Weitere Informationen zu unserer Partnerstadt Kasan sowie zu den Austauschprogrammen finden Sie auf braunschweig.de.

 

2 Comments

  • Johannes Schmidt

    Antworten
    27.08.2020at15:39

    Was für ein schöner Artikel. Da ich eine tatarische Frau aus Kasan geheiratet habe und schon viele Mal dort war, kann ich alles nur unterstreichen, was Frau Stenzel beschreibt. Dazu möchte ich noch die große Gastfreundschaft hervorheben. Die Menschen freuen sich sehr jemanden aus der Ferne kennenzulernen und sind sehr freundlich und erkundigen sich interessiert. Was mich berührt hat, wie offen und achtungsvoll mir als Deutscher begegnet wird- obwoh hier fast jede Familie jemanden im 2.WK verloren hat, unterscheiden sie die Geschichte und mich als Mensch von heute. Ich habe mich hier immer sehr wohlgefühlt. Wenn man privat eingeladen wird, wird man geradezu königlich verwöhnt. Sofort ist eine Tafel eingedeckt und es gibt viel leckeres Selbstgekochtes, Frisches oder Eingemachtes von der eigenen Datscha oder Beeren und Pilze aus dem Wald. Die Tataren singen gerne und pflegen ihre reiche alte Kultur. Die Fähigkeit friedlich Seite an Seite mit Nachbarn anderer Sprachen und Religion zu leben, ist den Menschen hier innewohnend und ein Bedürfnis.“ Schaut nur, wie die Marizen sich mit Kräutern auskennen, wie die Tschuwaschen gut bauen können, welch liebe Seelen die Russen sind“, so höre ich die Tataren über die anderen sprechen. Und was würde ich über die Tataren sagen? Sie sind Herzensmenschen, sehr familienverbunden, kinderlieb, heimatverbunden, haben viel Humor und sind sehr fleißig. Das große Herz kommt sicher auch von der Weite des Landes: die Wolga ist in Kasan mehrere Kilometer breit und beeindruckend schön. Im Sommer kan man in ihr baden gehen und im Winter ist sie zugeforen und die Autos fahren über das Eis wie auf einer Strasse. Am Ufer der Kasaner Wolga steht auch der Tempel der Religionen mit 16 verschiedenen Dächern: eins für jede Weltreligion. Auch die Umgebung von Kasan lohnt sich – die Mündung des Kamaflusses in die Wolga auf einem Boot erkunden, die bildhübsche Kleinstadt Yelabuga, die weisse Moschee in Bolgar – die Wiege des europäischen Islams oder die Klosterinsel Swiaschsk vor den Toren der Stadt. Da ich jedes Jahr mindestens einmal da bin sehe ich auch, wie die Stadt noch immer schöner wird: es gibt neue Grünflächen und Blumen im Sommer, Elektrofahrräder zum Ausleihen um das Zentrum zu erkunden, es gibt neue O-Busse und eine 3 km lange Eisbahn zum Schlittschuhlaufen im Winter direkt in der bezaubernd beleuchteten Innenstadt Sehr gern gehe ich auch in das tatarische Theater Kama (Karten rechtzeitig vorbestellen!) Dort gibt es die Übersetzung ins Englische auf die Kopfhörer, aber auch so sind die Geschichten ausdrucksstark und bewegend. Ich bin schon viel gereist und kann sagen: Kasan hat eine ganz besonderen Geist, wenn Sie hinreisen, nehmen Sie sich Zeit einzutauchen. Eine schöne Reise-Zeit ist zum Beispiel zum Frühlingsfest Sabantui, das bietet gleich auch die Möglichkeit einen Einblick in die tatarische Kultur und Musik zu bekommen.

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