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Eine Wildkräuter-sammlung

Der Brennnesseltee dampft schon aus einigen Tassen, als ich den Seminarraum im Waldforum in Riddagshausen betrete. Um den Tisch herum sitzen 14 Frauen und ein Mann – er fühlt sich sichtlich wohl als Hahn im Korb. Gisela Stöckmann erzählt gerade, was uns an diesem Abend erwarten wird: Gemeinsam werden wir Wildkräuter im Arboretum sammeln und daraus die Neunkräuter- oder Gründonnerstagsuppe kochen.

Das Waldforum in Riddagshausen ist Ausgangspunkt unserer Sammlung. Foto: BSM

Das Waldforum in Riddagshausen ist Ausgangspunkt unserer Sammlung. Foto: BSM

Gisela Stöckmann ist Naturpädagogin und bietet seit 2005 in Riddagshausen Führungen durch die Natur an, wie heute die Führung „Ach´ du grüne Neune“. Passend zum Gründonnerstag will sie mit uns eine alte Tradition wieder aufleben lassen. Früher sammelten die Menschen an Gründonnerstag die ersten neun Kräuter, die sie in der Natur fanden, und kochten daraus die Gründonnerstag- oder Neunkräutersuppe. Nach dem langen Winter wirkt die Suppe aufgrund der vielen Bitterstoffe entschlackend und immunstärkend. Im Mittelalter wurde den Kräutern noch manch andere Eigenschaft zugesagt: So sollte jeder, der die ersten drei Blüten aß, einen Monat lang nicht an Fieber erkranken. Wer das ganze Jahr vom Fieber befreit bleiben wollte, musste die ersten neun Kräuter des Jahres essen. Neun Kräuter deshalb, weil die Neun als magische Zahl galt. Auch die Drei gilt von alters her als göttliche oder mythische Zahl. Und da 3 x 3 = 9 ist, ist die Neun noch wirksamer. Christen aßen die Gründonnerstagssuppe, weil der leicht bittere Geschmack sie während der Karwoche an das Leiden Christi erinnerte.

Wir allerdings kochen die Gründonnerstagssuppe vor allem, weil die Kräuter voller Vitamine und wichtiger Mineralien stecken. Nach der kleinen Einführung geht es los, über den Parkplatz ins Arboretum. Dort erklärt uns Gisela Stöckmann wie die Kräuter aussehen, die wir sammeln sollen und welche Wirkung sie haben. Einige der Teilnehmer sind schon echte Wildkräuterexperten, andere, wie meine Sammelpatin Sabine und ich, sind das erste Mal dabei. Wir sammeln den Berliner Lauch oder auch Wunder-Lauch (Allium paradoxum), der nicht mit giftigen Pflanzen zu verwechseln ist. Er sieht aus wie Gras, schmeckt aber wie Bärlauch. Gisela Stöckmann erklärt, dass dieses Kraut erst vor wenigen Jahren nach Deutschland eingewandert ist, aus dem Kaukasus über Berlin, woher es seinen Namen hat.

Die fortgeschrittenen Teilnehmer suchen Giersch, Löwenzahn (gut, den hätte ich auch noch erkannt), Scharbockskraut, behaartes Schaumkraut (schmeckt wie Kresse), Spitzwegerich, Sauerampfer, Knoblauchrauke, Gundermann und Erdbeerblätter. Ja, richtig gelesen: Erdbeerblätter kann man auch essen, besonders schmackhaft sind die jungen Blätter. Insgesamt brauchen wir eine gute Hand voll von jedem Kraut, damit die Suppe für alle reicht. Die Regenschauer, die am Gründonnerstag noch vom Himmel fallen, machen uns zwar nichts aus, aber die Kälte treibt uns dann doch bald wieder zum Waldforum in den Seminarraum.

Gisela Stöckmann hat aus ein paar Blüten der Kornelkirsche, die sie draußen gesammelt hat, einen leckeren, lieblich schmeckenden Tee aufgesetzt. Sie findet überall im Wald Essbares, dabei ist sie eigentlich Germanistin und Sozialpädagogin und – wie das Leben so spielt – erst durch Zufall zur Waldpädagogin geworden. Als erwachsene Frau interessierte sie sich für die Pflanzen im Wald, für das, was um sie herum wuchs und blühte, was sie als Kind – Gisela Stöckmann ist gebürtige Riddagshausenerin – nur als grüne Kulisse wahrnahm. Sie machte Seminare und Führungen, gründete die Kernbeißer eG und stand plötzlich vor einer Gruppe, die einen Kräuterlehrgang machen wollte. Aus Krankheitsgründen konnte die damalige Seminarleiterin das Seminar nicht durchführen. Statt es abzusagen, kontaktierte Gisela Stöckmann eine befreundete Biologin und hielt das Seminar gemeinsam mit der Biologin ab. 2004 entschied sie sich dann dazu, die Waldpädagogenausbildung im Waldforum zu machen. Seitdem ist sie als zertifizierte Waldpädagogin selbständig tätig. Ihr Spezialgebiet: Wildkräuter und Heilpflanzen.

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Das gesammelte Gut muss vor dem Verzehr noch einmal sortiert und gewaschen werden. Foto: BSM

Unter ihrer Aufsicht sortieren wir die gesammelten Kräuter noch einmal nach. Der essbare Sauerampfer zum Beispiel hat in seinem jetzigen Stadium deutliche Ähnlichkeit mit dem giftigen Aronstab. Gut, dass der Aronstab ungenießbar ist, wie – fast – alle giftigen Pflanzen. Mit einem oft scharfen Gift schützen sich viele davor, von Tier und Mensch gefressen zu werden – und uns davor, eine tödliche Menge zu essen. Trotzdem wollen wir nur den leckeren Sauerampfer in die Suppe geben, weshalb Gisela Stöckmann unsere Ausbeute noch einmal kontrolliert. Gemeinsam zupfen wir die Kräuter, waschen sie und schneiden sie klein. Die Gespräche währenddessen kreisen um Power-Chi (praktiziert der Herr der Gruppe täglich), grüne Smoothies, gesunde Ernährung und die richtige Atemtechnik in Stresssituationen. Alle hier setzen sich bewusst mit ihrer Gesundheit und ihrem Körper auseinander. Auch deshalb nehmen sie an dieser Kräuterführung teil: Sie wollen wissen, wie sie sich auf natürlichem Weg und ohne Giftstoffe etwas Gutes tun können – was bestenfalls noch gut schmeckt.

So wie die Suppe, die zwischenzeitlich vor unseren Plätzen steht. Aus einer Mehlschwitze, Gemüsebrühe, Sahne und den Kräutern ist eine sehr leckere Suppe geworden. Wir verfeinern sie mit gerösteten Brotwürfeln und unterhalten uns über die Wildkräuter im Arboretum. Da der Garten aus dem Naturschutzgebiet in Riddagshausen herausgenommen wurde, dürfen die Kräuter dort schonend gesammelt werden.

Für viele Teilnehmer ist diese Führung nur eine von vielen, die sie bei Gisela Stöckmann besuchen wollen oder schon besucht haben. Und auch ich muss wohl noch an mehreren Führungen teilnehmen, bis ich sicher den Gundermann erkenne und weiß, wie das Scharbockskraut aussieht. Gisela Stöckmann beschreibt die Natur wie den Besuch einer großen Konzertveranstaltung: Wenn man niemanden kennt, ist das Publikum eine gesichtslose Menschenmenge, wenn man aber jemanden kennt, geht man hin und begrüßt ihn. Und je mehr Menschen man erkennt, desto mehr freut man sich. Bis ich erfreut alle Kräuter begrüßen kann, wird es noch dauern, Gisela Stöckmann kann es seit langem.

Yummy. Die wärmende Suppe haben wir uns nach der Suche redlich verdient. Foto: BSM

Yummy. Die wärmende Suppe haben wir uns nach der Suche redlich verdient. Foto: BSM

 

Information

Wildkräuterführungen und verschiedene andere Veranstaltungen im Waldforum Riddagshausen.

(Artikelbild: BSM)

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