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Die Stadt mit den Augen anderer sehen

Ein alter Hochbunker auf einer kleinen Anhöhe, am Horizont geht die Sonne unter.

Mit Handy und Kopfhörern im Gepäck mache ich mich auf in den Prinzenpark. Mein Ziel ist der Eingang an der Matthäuskirche. Am geteerten Weg steht ein Schild „Prinz-Albrecht-Park“ mit historischen Informationen zum Park. Hier bin ich richtig, dieses Schild ist Ausgangspunkt meines heutigen Spaziergangs, auf dem ich Phil begleite. Er zeigt mir seinen Prinzenpark, welche Szene sich wo trifft und welche Erinnerungen er an den Park hat.

Phil und ich treffen uns nicht wirklich, vielmehr ist Phils Stimme in meinem Ohr. Denn ich begebe mich auf einen Audiowalk des Vereins Grins e. V. Derzeit gibt es vier Hörspaziergänge, weitere sollen folgen. Bei dem von mir gewählten Audiowalk führt Phil mich sprachlich durch den Prinzenpark, ohne dass ich an bestimmte Zeiten oder an das Wetter gebunden wäre. So kommt es auch, dass ich in diesem verregneten Februar am einzig schönen Sonntag durch den Park laufe. Um mich herum Kinder, Familien, Pärchen und Freundesgruppen. Aber ich kann mich trotz des Trubels ganz auf Phil und seine Geschichte konzentrieren. Seine Stimme ist angenehm offen und herzlich, ich habe gleich das Gefühl, nicht allein sondern mit einem neuen Freund durch den Park zu schlendern.

Rechts ein geteerter Weg in einen Park hinein, links vorne im Bild eine Tafel mit Informationen zum Prinz-Albrecht-Park sowie einem Lageplan.
Startpunkt für den Audiowalk ist der Eingang zum Prinzenpark südlich der Matthäuskirche. Foto: BSM

Das Audiowalk-Projekt stadt.sehen.hören

Das Audiowalk-Projekt „stadt.sehen.hören.“ entstand während der Pandemie, erzählt mir Theresa Meidinger, eine der Initiatorinnen und Gründerinnen des GRINS-Vereins. „Im Herbst 2020 haben wir ein Bühnenstück im LOT-Theater aufgeführt und wussten ständig nicht, ob, wie, wer und wo wir spielen durften. Deshalb fiel die Entscheidung bei unserem neuen Projekt sehr klar auf das Format Audiowalk, bei dem wir in Kleingruppen arbeiten konnten. Und das Publikum kann individuell und zu jeder Tages- und Nachtzeit das Produzierte erleben.“

Die Hörspaziergänge führen durch mehrere Braunschweiger Stadteile, entlang bekannter und weniger bekannter Straßen und Orte. „Das Besondere an den Routen ist, dass sie von Menschen aus Braunschweig aufgrund einer persönlichen Verbindung ausgewählt und mit Inhalten bestückt wurden“, erzählt Theresa Meidinger weiter. „Fast alle Walks sind zweisprachig. So können wir viele Menschen erreichen, die in Braunschweig leben“. Neben Deutsch wird in den Hörspaziergänges noch Portugiesisch, Russisch, Türkisch und Arabisch gesprochen.

Verschiedene Routen, verschiedene Themen, eine Gemeinsamkeit

Dabei ist jeder Audiowalk individuell und unterscheidet sich stark zu den anderen: Während Phil mich durch den Prinzenpark mitnimmt, erzählen in der Innenstadt zwei Menschen, was sie aus der Kindheit erinnern. Im Norden können Sie sich auf einen lyrischen Spaziergang begeben. Im Süden werden Sie vom Bahnhofsgeist empfangen. Und im Westen können Sie das Mütterzentrum kennenlernen und etwas über die dortigen Entwicklungen aus der Perspektive der Menschen dir dort leben oder arbeiten lernen.

Theresa Meidinger ergänzt: „Was alle Walks verbindet ist, dass alle Teilnehmenden zum allerersten Mal an einem solchen Projekt teilgenommen haben. Mit dem Audiowalk wollten sie Braunschweig, die Stadt, in der sie schon immer oder erst seit kurzem leben, mit neuen Augen sichtbar machen und den Blick auf ihre Löwenstadt schärfen. Dafür eignet sich ein Hörspaziergang ganz besonders, weil der Sprechende den Blick des Hörenden lenken kann.“

Mit Phil durch den Prinzenpark

Und so lasse ich mich von Phils Stimme durch den Park leiten. Das ist ganz einfach: Im Browser meines Smartphones rufe ich die Seite www.grinsverein.de/audiowalk auf und suche mir den entsprechenden Hörspaziergang auf. Die Audiodatei kann ich streamen oder vorher herunterladen und dann offline hören. Auf der Internetseite ist auch ein PDF mit nützlichen Tipps zum Walk sowie eine Karte mit der Route hinterlegt. Allerdings führt mich Phil mit seinen Beschreibungen so gut durch den Park, dass ich nicht einmal auf die Karte schauen muss.

Ich bin überrascht, wie gut meine Schrittgeschwindigkeit und der Audioguide zusammenpassen. Das liegt wahrscheinlich an den eingespielten Schritten im Hintergrund, an deren Geschwindigkeit ich mich ganz automatisch anpasse. Die erste Station unseres Walks ist die „Rollo“ also die Rollschuhbahn. Obwohl ich tagsüber unterwegs bin, kann ich mich sehr gut in die geschilderte Szene an einem Sommerabend hineinversetzen. Und lerne so eine Szene kennen, der ich schon längst entwachsen bin. Weiter geht es durch den Park, vorbei an markanten Stellen bis hinauf zur Kanzel und dem Schlusspunkt, dem Bunker.

Ohne zu viel verraten zu wollen – schließlich sollen Sie den Spaziergang selbst erleben – kann ich verraten, dass Phil mich auf Merkmale im Park aufmerksam gemacht hat, über die ich sonst immer hinweggesehen habe. Und das, obwohl ich den Park wie meine Westentasche zu kennen glaubte. Ich bin froh, den Audiowalk gemacht zu haben. Auf jeden Fall werde ich auch die anderen vier Spaziergänge ausprobieren und die Stadt mit den Augen anderer sehen.

Hier findest du alle Audiowalks des GRINS-Vereins und weitere Rundgänge durch die Löwenstadt.

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