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Kulturelle Vielfalt als Normalität

Ob Gastarbeiter, Flüchtlinge oder Austauschstudenten – Braunschweig ist in den letzten Jahrzehnten zur neuen Heimat zahlreicher Menschen aus aller Welt geworden. Um dem multikulturellen Charakter der Stadt gerecht zu werden und den interkulturellen Austausch zu fördern, wurde mit dem Haus der Kulturen am ehemaligen Nordbahnhof ein gemeinsamer Ort der gesellschaftlichen und kulturellen Teilhabe geschaffen, der Jahrzehnte erfolgreicher Migrationsgeschichte erstmals unter einem Dach vereint.

Lassen sich Menschen im Ausland nieder – sei es für einen begrenzten Zeitraum oder aber als neue Heimat – suchen sie in der Regel den Kontakt zu anderen Einwanderern ihrer Nationalität. Und ist diese Gruppe groß genug und dauerhaft beheimatet, gründen sie Kulturvereine. So organisiert, lassen sich die Hürden der Integration einfacher meistern und zugleich die heimatliche Kultur pflegen, um mitgebrachte Werte und Traditionen zu leben und auch bei den Nachkommen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Eine dieser Einwanderungsgeschichten schrieb das Leben von Cristina Antonelli-Ngameni, Mitglied der Geschäftsführung des Haus der Kulturen e.V. und verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit. Als italienische Gastarbeiter kamen ihre Eltern in den 70er Jahren mit Kind und Kegel nach Deutschland. Zuerst nach Wolfsburg, später – als die Wohnsituation dort schwierig wurde – nach Braunschweig. Eine Stadt, die auf Menschen aus dem mediterranen Raum nicht gerade den lebenswertesten Eindruck machte: „Braunschweig war damals völlig anders als heute, es war grau und trist. Und dann kamen wir auch noch ausgerechnet im Herbst hier an“, so Antonelli-Ngameni rückblickend. Doch Arbeit war reichlich vorhanden und die Bezahlung gut. Außerdem wollte man ja nicht für immer bleiben. Oder etwa doch? „Das habe ich damals als bedrohliche Frage gesehen, die immer über mir schwebte, und über die auch in der Familie diskutiert wurde“. Denn gerade für ein Kind sei es schwierig, Jahre in die Zukunft zu blicken und mit einer Rückkehr zu planen. Es möchte im Hier und Jetzt zuhause sein und sich als Teil der Gesellschaft fühlen. Die Eltern kehrten irgendwann in ihre italienische Heimat zurück. Doch Antonelli-Ngameni, die in Braunschweig inzwischen eine neue Heimat mit vielen Freunden gefunden hatte, blieb bis heute. Und erlebte dadurch nicht nur vier Jahrzehnte Einwanderungsgeschichte in Braunschweig, sondern gestaltete sie auch aktiv mit.

Denn sie war dabei, als nach und nach immer mehr internationale Vereine gegründet wurden, sei es von Italienern, Polen, Türken oder Koreanern – jede Nationalität schloss sich früher oder später in geregelten Strukturen zusammen und präsentierte sich der Öffentlichkeit. So wurde Braunschweig international, das Leben in der Löwenstadt zunehmend multikulturell geprägt. Und da es in den Vereinen nicht nur regen Austausch untereinander gab, sondern auch mit Deutschen sowie den Mitgliedern anderer Kulturvereine, wuchs der Wunsch nach einem gemeinsamen Ort der Zusammenkunft und des Austausches, der für die Zwecke aller Kulturvereine zur Verfügung steht. Es folgte eine Entwicklung bis ins Jahr 2007, als das bisherige Konzept der Stadt mit einem lokalen Aktionsplan überdacht und mehr als 60 internationale Vereine eingebunden wurden, um eine Bestandsaufnahme durchzuführen und den Bedarf zu analysieren. Am Ende dieses Prozesses stand die Idee eines Hauses der Kulturen, welches nach einer mehrjährigen Planungsphase schließlich im Mai 2013 seine Pforten im lichtdurchfluteten Gebäude des ehemaligen Nordbahnhofes öffnete. „Es ist ein Bahnhof und damit Sinnbild und Symbol für die gesamte Migrationsgeschichte. Es hätte kein besserer Ort sein können“, schwärmt Antonelli-Ngameni.

Doch kann man den Interessen so vieler Nationalitäten und Kulturen überhaupt an einem Ort gerecht werden? „Wir möchten vernetzen. Ein Schwerpunkt ist die Ermöglichung von Begegnung, um die verschiedenen Kulturen in Kontakt zu bringen“, erklärt Petra Ulbrich, ebenfalls Mitglied der Geschäftsführung und verantwortlich für das abwechslungsreiche Programm des Hauses. Und das gelingt auf vielfältige Weise, zum Beispiel mit der Kulturbrunch-Reihe. Gerade erst fand ein finnischer Kulturbrunch statt, am 19. April wird es einen indischen geben, gefolgt von einem französischen und einem indonesischen. Dabei gibt es nicht nur exotisches Essen mit kulturellem Rahmenprogramm, sondern es steht der kulturelle Austausch im Mittelpunkt. „Es geht über das Essen hinaus darum, dass die Menschen über ihre Kultur berichten. Auch darüber, welche Schwierigkeiten sie in Deutschland haben. Und umgekehrt: Welche Herausforderungen kämen auf eine deutsche Familie zu, wenn sie ins entsprechende Ausland reist?“, verdeutlicht Ulbrich das Konzept der Reihe.

Ein weiterer Schwerpunkt ist Verständigung und Dialog mit Hilfe bilingualer Lesungen und Literaturreihen, um den Blick nicht auf das Trennende zwischen den Kulturen zu richten, sondern auf die Gemeinsamkeiten. Und mit der jüngst eingerichteten Internationalen Bibliothek mit über 2000 Büchern in 23 Sprachen können Gäste des Hauses den geweckten Lesehunger jederzeit stillen. Neben klassischen Deutschkursen bietet das Haus der Kulturen Migranten auch die Möglichkeit, sich als Tandempartner regelmäßig mit einem Deutschen zu treffen, um im alltäglichen Umgang die Sprache zu lernen und neue Freundschaften zu schließen. Darüber hinaus widmet sich das Haus der Kulturen auch immer wieder kritischen Themen: So wird es im Sommer eine Ausstellung zum Thema Menschenhandel geben.

Mitmachen darf jeder; sowohl Vereine als auch Privatpersonen können sich einmieten und ihren Aktivitäten nachgehen. Oder man kommt mit einer eigenen Idee und macht gemeinsam mit den Mitarbeitern etwas daraus: einen Kurs anbieten, ein Konzert geben oder eine Kunstausstellung realisieren. „So entwickeln sich oftmals tolle Sachen. Jemand, der Ideen hat, ist hier immer gern gesehen“, verspricht Antonelli-Ngameni. Hautfarbe und Nationalität, kulturelle und soziale Herkunft spielen dabei keine Rolle. Somit ist das Haus der Kulturen gelebte Integration und das beste Beispiel dafür, dass Multikulti nicht gescheitert, sondern längst Realität ist – eine Realität, die Menschen verbindet und das tägliche Leben bereichert.

Ein ausführliches Interview mit Cristina Antonelli-Ngameni und Petra Ulbrich gibt es auf kulturblog38.net zu lesen.

Text und Fotos: Stephen Dietl

Artikelfoto: Parvin Hemmecke-Otte, Adama Logosu-Teko, Petra Ulbrich, Ishak Demirbag und Cristina Antonellli-Ngameni (v.l.)

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