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“the landed – the landless”

Woran muss ich unwillkürlich denken, wenn ich ein fotogen-verschneites Alpenpanorama sehe, aufgenommen beispielsweise im Schweizer Kanton Graubünden? Ich gebe es offen zu: an Heimatfilme – das ist eben die Macht des Klischees.

Der Schweizer Künstler Chris Hunter ist in Graubünden aufgewachsen und produziert gewissermaßen auch Heimatfilme. Aber Dirndl und Gamsbart sucht man vergeblich, statt Wiesenidyll in Spielfilmlänge gibt es Bildsequenzen in karger Landschaft. Und statt eines leisen „Servus“ vernimmt man von seinen Videoinstallationen höchstens das Rauschen des Windes – und das ist gut so, denn nichts dürfte Hunter ferner liegen, als das ländliche Idyll zu zelebrieren und daraus ein traditionalistisches Identitätsmodell zu schustern, wie es die Klassiker des Heimatfilm-Genres der 50er- und 60er-Jahre gemacht haben. Warum? Weil Hunter selbst auf der Suche ist nach Identität, seiner eigenen und der von anderen. Das ist Hunters künstlerisches Leitmotiv und der Film ist nur ein Medium, das Hunter dabei nutzt. Die Frage nach den eigenen Wurzeln kommt bei Hunter nicht von ungefähr: Seine Mutter kommt aus der Schweiz, sein Vater lebt in Neuseeland. Aber Hunter fühlt sich nirgends wirklich zugehörig. Er steht dazwischen, er ist „the landed – the landless“ in einer Person, wie es der Titel seiner Ausstellung im Allgemeinen Konsumverein verkündet: „Menschen, die Land besitzen und Menschen, die keines haben – für mich gilt das im übertragenen Sinn auch. Eine Videoarbeit ist in Neuseeland entstanden, wo mein Vater lebt, die andere in der Schweiz, wo meine Mutter lebt.“

Hunter sucht die Identität stets im Konkreten und Gegenständlichen. Entweder in Ort und Landschaft, wie in seinen Videoarbeiten, oder in Objekten und Artefakten, wie in den gezeigten Ready-mades „Voltaplatz 1“ und „Markircherstrasse 5“. Seine Motive sind angereichert mit den Spuren persönlicher Geschichte, mit Biographien. So wie die Regalböden aus dem Abrisshaus an der „Markircherstrasse 5“, auf denen sich die vergilbten Umrisse von Büchern und anderen Gegenständen der verstorbenen Hausbewohnerin finden. Spuren der Nutzung, Spuren eines Lebens, Spuren einer Identität.

Aber auch wenn die Einzelperson bei Hunters Arbeiten im Mittelpunkt steht – Identität und Heimat sind universelle Begriffe. Verbindet Hunter mit seinen Werken auch einen universellen Anspruch, gibt es eine konkrete Message? „Nein“, meint der 31-jährige Basler, der gerade ein Kunststipendium in Paris angetreten hat, „ich liefere lediglich Anknüpfungspunkte für die Betrachter, über dieses Thema nachzudenken: Erinnerungen, Momente der Entdeckung.“

Mit Braunschweig ist ein Ort auf der Landkarte des Schweizers, der gestern auch eine kurze Performance präsentierte, hinzugekommen. Wird es demnächst auch eine Arbeit mit dem Namen Braunschweig geben? „Vielleicht“, lächelt Hunter verschmitzt.

Information

Die Ausstellung ist zu sehen bis zum 15. März immer donnerstags von 16.00 bis 20.00 Uhr und Samstag, Sonntag jeweils von 14.00 Uhr bis 18.00 Uhr.

Allgemeiner Konsumverein
Hinter Liebfrauen 2
38100 Braunschweig

(Text: Jan Engelken, Fotos: Stephen Dietl)

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