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Glück auf 88 Tasten

Liebe Leserinnen und Leser, ich nehme Sie nun mit in die Welt der Klaviere – eine wunderbare Welt. Ganz unvoreingenommen bin ich dabei nicht, denn schließlich gehört Klavierspielen zu meinen Lieblingshobbies. Seitdem ich sechs bin, spiele ich das Instrument nun schon und obwohl seitdem schon ein paar Jahre ins Land gegangen sind, kann ich mich noch ganz gut an die Anfangszeit erinnern: Damals war ich sogar noch zu klein, um auf dem Schemel zu sitzen und musste stattdessen stehen. Stetig entwickelte sich meine Leidenschaft für dieses beeindruckende Instrument und ich bin dankbar, dass ich es beherrsche. Für mich gibt es nach einem anstrengenden Tag nichts Entspannenderes, als mich auf den Schemel zu setzen, die Tasten anzuschlagen und in Tagträume abzudriften.

Wussten Sie, dass die Löwenstadt mit Schimmel und Grotrian-Steinweg eine Hochburg erfolgreicher Klavierbauern ist? Für mich als begeisterte Klavierspielerin ist es allerhöchste Zeit, mehr über die beiden Traditionsunternehmen zu erfahren.

Viola Schimmel zeigt mir die Schimmel-Klaviere und -Flügel. Foto: BSM

Viola Schimmel zeigt mir die Schimmel-Klaviere und -Flügel. Foto: BSM

Betrete ich einen Raum mit Klavieren oder Flügeln, spüre ich regelrecht die Tradition und die Liebe zum Klavierbau. Es ist, als warten die Instrumente darauf, angeschlagen zu werden und den Raum mit Musik zu füllen. So ergeht es mir auch, als ich die Räume von Schimmel und Grotrian-Steinweg betrete. Denn heute bin ich in den beiden Traditionsunternehmen unterwegs: Zuerst besuche ich Grotrian-Steinweg, wo mich Sales Manager Charles Wegner besucht. Anschließend schaue ich mir gemeinsam mit Viola Schimmel, verantwortlich für die Markenkommunikation, Mitglied der Geschäftsleitung und Ur-Enkelin des Firmengründers Wilhelm Schimmel, das Unternehmen Schimmel an.

Charles Wegner hat als Sales Manager einen Überblick über die Produktion und den Verkauf bei Grotrian-Steinweg. Foto: BSM

Charles Wegner hat als Sales Manager einen Überblick über die Produktion und den Verkauf bei Grotrian-Steinweg. Foto: BSM

Jedes Klavier ein Unikat

Bei Grotrian-Steinweg und Schimmel werden die Klaviere zu 80 Prozent aus Handarbeit hergestellt, nur die wenigsten Produktionsschritte sind automatisiert.

Schimmel stellt rund 2000 Klaviere und 400 Flügel pro Jahr her, bei Grotrian-Steinweg sind es 500 Klaviere im Jahr und ungefähr 100 Flügel. Bis ein Klavier fertig ist, verstreichen acht Monate, bei einem Flügel ist es sogar ein ganzes Jahr.

In diesem Geschäftszweig scheint die Uhr ein Stück weit stehen geblieben zu sein, auf eine positive Art. Das merke man auch im Verkauf: „Ein Klavierkauf ist ein absoluter Emotionskauf. Man muss es sehen und anfassen“, sagt Viola Schimmel. Und Charles Wegner meint: „Die Kunden wollen in Kontakt mit dem Instrument treten. Das ist nur möglich, wenn sie es vor dem Kauf mit allen Sinnen erfassen“. Das kann ich gut verstehen und freue mich deshalb, dass ich ein Konzertflügel Probe spielen durfte.

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Ein tolles Spielgefühl habe ich an einem der Flügel. Foto: BSM

Die ersten Töne

Grotrian-Steinweg wurde bereits in den 1830er Jahren gegründet. „1830 verließ Friedrich Grotrian Deutschland und ging als Musikalienhändler nach Moskau“, erzählt mir Charles Wegner. Dort lernte Friedrich Grotrian Künstler wie Clara Schumann oder Franz Liszt kennen. Er hatte ein Gespür dafür, worauf es den Künstlern beim Klang eines Instrumentes ankam. Mit seinem Wissen kehrte er in seine Heimat zurück, lernte hier Theodor Steinweg, Sohn eines Pianomanufakturbesitzers in Wolfenbüttel, kennen. Die beiden gründeten „Grotrian-Steinweg“ und entwickelten zusammen die ersten Klaviere. Doch das erfolgreiche Duo existierte nicht lange: Theodor Steinweg folgte 1865 seinem Vater nach Amerika und verkaufte seine Geschäftsanteile an die Familie Grotrian. Das Unternehmen wurde dann von Wilhelm Grotrian übernommen. Der Ratschlag von ihm an seine Söhne lautete: „Jungs, baut gute Klaviere, dann kommt alles andere von selbst“.

Parallel dazu entwickelte sich auch die Erfolgsgeschichte von Schimmel: Das Unternehmen wurde 1885 in Leipzig von Wilhelm Schimmel gegründet. Die Instrumente zeichneten sich schon damals durch fortschrittliche Technik und zeitgemäße Formen aus. 1927 übernahm dann Sohn Wilhelm Arno Schimmel die Geschäftsleitung. Er war es, der den Firmensitz von Leipzig in die Löwenstadt verlegte, der damalige Standort befand sich auf dem heutigen Schimmelhof.

Inspiration und Innovation

Von Beginn an optimierten sowohl Grotrian-Steinweg als auch Schimmel ihre Instrumente weiter. Einer der wichtigsten Innovationen von Schimmel ist das rastenlose Klavier, das Wilhelm Arno Schimmel in den 1930er Jahren entwickelte. In diesem befand sich ein neu konzipiertes Spielwerk mit besonderem Klangcharakter. Viola Schimmel zeigt mir eins dieser rastenlosen Klavier: „Schaut man oben in das Klavier, sieht man den Unterschied: Die Mechanik sitzt nicht an vier, sondern an drei Bolzen“, erklärt sie mir. „Mein Großvater war ein sehr innovativer Klavierbauer“, fügt sie stolz hinzu.

Innovationen gab es bei beiden Klavierbauern seit Anbeginn. Foto: BSM

Innovationen gab es bei beiden Klavierbauern seit Anbeginn. Foto: BSM

Beide Unternehmen wuchsen stark, bis die Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges auch vor ihnen nicht Halt machten. „Die Menschen hatten zu dieser Zeit existenzielle Sorgen. An eine große finanzielle Anschaffung, wie es ein Klavier ist, war damals nicht zu denken“, erzählt mir Viola Schimmel. Nach Kriegsende wurde die Produktion bei beiden Klavierbauern wiederaufgenommen. Die Nachfrage stieg und das Wirtschaftswunder verhalf ihnen schließlich, an anfängliche Erfolge anzuknüpfen.

Im Jahr 1951 folgte mit dem Glasflügel die nächste Innovation bei Schimmel. Besonders bei Konzerten ist er heute sehr gefragt. Zehn Jahre später trat dann Nikolaus Wilhelm Schimmel an die Firmenspitze und setzt die Erfolgsgeschichte fort. 2003 übergab er die Geschäftsführung an Hannes Schimmel-Vogel, der das Unternehmen bis 2016 erfolgreich leitete. Im Anschluss übernahm dann Pearl River Piano, der größte Klavierhersteller der Welt, zu 90 Prozent das Traditionsunternehmen Schimmel.

Auch Grotrian-Steinweg erfand sich mit Innovationen stets neu: Die Inspiration bezog das Unternehmen anfangs vor allem aus Reisen und Gesprächen mit namhaften Künstlern und anderen Klavierbauern. „Schon Ende des 19. Jahrhunderts schickte Wilhelm Grotrian seine Söhne Willi und Kurt auf internationale Reisen, damit sie Erfahrungen im Klavierbau sammeln konnten“, so Charles Wegner. Die Söhne verstanden es, ihr Wissen mit den handwerklichen Fähigkeiten aus Deutschland zu verbinden. So entstand beispielsweise auch die für Grotrian-Steinweg typische Sternraste: „Die Rasten in Sternform sind für unsere Klaviere charakteristisch: Sie sind die beste Konstruktion, um Spannungen gleichzeitig aufzunehmen und so einen optimalen Klang zu erzeugen“, erzählt mir Charles Wegner.

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Auch die nachfolgendenden Generationen von Grotrian-Steinweg sorgten immer wieder für revolutionäre Neuerungen. In der fünften Generation, unter der Leitung von Knut Grotrian-Steinweg, entstand die Produktionsstätte, in der auch heute noch die Grotrian-Steinweg-Klaviere und -Flügel gebaut werden. Danach wurde Burkhard Stein Geschäftsführer, der den Vertrieb der Instrumente in Asien und den USA weiter ausbaute. Seit 2015 hat Grotrian-Steinweg einen neuen Gesellschafter, die Parsons Music Group, ein Familienbetrieb mit Sitz in Hongkong.

Ausruhen können sich die Klavierbauer auf ihren Erfindungen auch heute nicht: „Wir optimieren unsere Instrumente stets weiterhin, damit wir den Kunden mit unseren Produkten eine möglichst lebenslange Freude machen können“, sagt Charles Wegner. Auch Viola Schimmel betont, dass Innovationen auch in einem Traditionsunternehmen nicht fehlen dürfen.

Für Nachwuchsmusiker

Grotrian-Steinweg und Schimmel produzieren nicht nur für den Privatgebrauch oder für Konzerte, sondern auch für Musikschulen. „In Musikschulen stehen nach wie vor Klaviere und eher selten E-Pianos oder Keyboards. Hingegen vieler Erwartungen, die Jugend interessiere sich nicht mehr für klassische Musik, erfreuen sich Musikschulen heute immer noch großer Beliebtheit“, erzählt mir Viola Schimmel.

Und wie sieht es mit dem Nachwuchs bei Klavierbauern aus? Ich bin erstaunt, als mir Charles Wegner erzählt, dass es in Deutschland nur eine Ausbildungsstätte mit dualem System gibt – und zwar in Ludwigsburg. Sowohl Grotrian-Steinweg als auch Schimmel nehmen für den praktischen Teil der Ausbildung Schüler in ihren Produktionsstätten auf. Um das Talent von Nachwuchsmusikern hervorzuheben, veranstaltet Grotrian-Steinweg einen internationalen Klavierspielwettbewerb. Die neun Semifinals fanden von April bis Juni unter anderem in Australien, China, Russland, Frankreich und Deutschland statt. Vom 21. bis 23. September messen sich die besten Spieler im Finale im Konzertsaal der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Am 23. September findet dann ein Abschlusskonzert im großen Haus des Staatstheaters Braunschweig statt.

Titelbild: Auf 88 Tasten entstehen schöne Melodien. Foto: BSM

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