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Alles andere als Provinz

Am 11. November startet das 28. Internationale Filmfestival Braunschweig. Zur Feier von mehr als 200 Filmen, darunter 25 internationale Premieren, werden wieder hochkarätige Gäste die Löwenstadt beehren. So auch Hollywood-Star Mads Mikkelsen: Der Däne erhält den „European Actors Award“ für herausragende darstellerische Leistungen und Verdienste um die europäische Filmkultur. Verantwortlich für das traditionsreiche Filmfest ist seit Juni dieses Jahres der Kölner Michael P. Aust. Im Interview verrät uns der renommierte Filmproduzent und erfahrene Veranstalter, wie man Festivaldirektor wird, was für ihn Braunschweig ausmacht und wie man internationale Stars in die vermeintliche Provinz holt.

Herr Aust, welchen Karriereweg muss man eigentlich einschlagen, um Festivaldirektor zu werden?

Der neue Chef des filmfests: Michael P. Aust. Foto: Stephen Dietl

Der neue Chef des filmfests: Michael P. Aust. Foto: Stephen Dietl

Nach dem Abitur habe ich zuerst eine Bankausbildung absolviert und anschließend BWL, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften sowie Kunstgeschichte und Kulturmanagement studiert. Bereits während des Studiums habe ich journalistisch gearbeitet und Kulturveranstaltungen gemacht. Neben kleineren Ausstellungen auch mein erstes Medienkunst-Festival. Daraus ergaben sich dann schnell weitere Tätigkeiten. So kam der WDR auf mich zu und beauftragte mich mit Werbung für seine jungen Kulturprogramme in Radio und Fernsehen. Ein Museum wollte Kataloge haben, und für die Junge Deutsche Philharmonie habe ich Sponsoring gemacht. In diesen Bereichen lag in den ersten Jahren mein Schwerpunkt. Aber als ich ungefähr verstanden hatte, wie alles funktioniert, überkam mich das Bedürfnis nach mehr, und ich habe begonnen, die ersten Filme und Fernsehsendungen zu produzieren. Daraus sind inzwischen 16 Spiel- und Dokumentarfilme geworden. Als 2004 die Internationale Filmmusik Biennale in Bonn, die ich als Vertreter des WDR über mehrere Jahre begleitet hatte, abgesagt wurde, war ich sehr empört. Also habe ich mich kurzerhand mit zwei Freunden zusammengesetzt und das Filmmusikfestival „SoundTrack_Cologne“ins Leben gerufen. Das war dann schon bei der ersten Ausgabe ein Erfolg. Wir haben den Blick aus der Branche in die Branche gewählt und dadurch einen ganz anderen Ansatz gehabt als die Filmmusik Biennale. Daneben habe ich noch weitere Veranstaltungen gemacht, beispielsweise das Festival „Play!Cologne“zu Videospielen als Kunstform oder die „The Art of Pop Video“, eine Ausstellung über Musikvideos, die zunächst in Köln im Museum für angewandte Kunst vorgestellt wurde und dann auch nach Odessa und Liverpool ging.

Und was hat Sie schließlich nach Braunschweig gebracht?

Das Filmfest 2014 wird sich noch stärker um die Verbindung zwischen Musik und Film drehen. Screenshot des Films Pulp - A Film About Life, Death and Supermarkets.

Das Filmfest 2014 wird sich noch stärker um die Verbindung zwischen Musik und Film drehen. Screenshot des Films Pulp – A Film About Life, Death and Supermarkets.

Da das Internationale Filmfestival Braunschweig schon immer einen musikalischen Schwerpunkt besaß, hatten wir bereits in den ersten Jahren Kontakt. In diesem Zusammenhang habe ich auch begonnen, den „German Film Music Day“ in Cannes zu veranstalten, und da haben wir dann die Kooperation mit Braunschweig noch mal intensiviert. Wir haben uns einfach gegenseitig immer ein bisschen geholfen: Ich war mal in Braunschweig in der Jury, und Volker Kufahl, mein Vorgänger hier in Braunschweig, hat sein Festival in Köln vorgestellt. Die Siegerfilme haben wir dann bei uns im Festival gezeigt. Und diese Partnerschaft hat sich über die Jahre fortgesetzt, der Kontakt war sehr regelmäßig. Wir hatten mindestens fünf oder sechs Mal im Jahr miteinander zu tun. Und im Januar habe ich halt angerufen und wollte wissen, wie es dieses Jahr so aussieht, ob wir was auf der Berlinale oder in Cannes zusammen machen. Aber Volker war nicht mehr da. Also fragte mich Frank Terhorst, der Kommunikationschef des Filmfests, ob ich den Job nicht machen wolle. Da habe ich erst mal gelacht. Aber Frank erwiderte, er meine das ganz ernst und ich solle doch mal darüber nachdenken. Also habe ich darüber nachgedacht, wir haben noch ein paar Mal telefoniert– und jetzt bin ich hier!

Sie kommen aus der Medienmetropole Köln ins beschauliche Braunschweig. Ist das für Sie eine besondere Herausforderung, so nach dem Motto „Jetzt mische ich mal die Provinz auf“?

Ich kann wirklich nicht sagen, dass ich Braunschweig für Provinz halte. Es ist ja quasi im Speckgürtel von Berlin, und allein durch die HBK, die zweitgrößte Kunsthochschule Deutschlands, ganz bestimmt nicht provinziell. Da unterschätzt man Braunschweig gewaltig. Hier gibt es natürlich keine große Film- und Medienbranche. Aber wir haben bei den Vorbereitungen fürs Filmfestival auch in diesem Jahr wieder festgestellt, wie viele Braunschweiger inzwischen erfolgreich in der Filmbranche angekommen sind. Und wir zeigen nicht zuletzt auch ein Programm mit Filmen, die hier in der Region entstanden sind – und das sind nicht wenige.

Sie sind erst seit Juni als Direktor des Filmfestivals dabei. Wo wird man Ihre Handschrift sehen?

So sieht das neue Logo aus.

So sieht das neue Logo aus.

Ich denke, meine Handschrift wird man gar nicht allzu direkt wahrnehmen, weil sie sich viel stärker im Hintergrund entfaltet. Eine der Hauptaufgaben, die ich vom Verein übernommen habe, war, das Festival weiterzuentwickeln. Damit es nach den Erfolgen, die Volker Kufahl erreicht hat, weiter wächst. Und um es für diese Zukunft fit zu machen, muss natürlich im Hintergrund viel gewirbelt werden. Wir haben zum Beispiel eine neue Software eingeführt, die die ganze Struktur des Festivals komplett umgekrempelt hat und klarere Zuständigkeiten organisiert. Wir haben einfach viele Dinge im Hintergrund getan, die eigentlich keiner sieht. Das Festival ist in der Mitte der Stadt angekommen, und jetzt muss man nicht mehr nur eine Grundaufmerksamkeit erzeugen, sondern sich viel differenzierter auf das Programm ausrichten. Deshalb haben wir zum Beispiel drei verschiedene Plakatmotive, die die Filme in den Vordergrund stellen. Auch das Logo hat sich ein klein wenig verändert. Das ist aber eigentlich auch nur dem Umstand geschuldet, dass wir immer wieder im internationalen Zusammenhang auftreten und das Logo dann nicht nur aus dem Wort „Filmfest“ bestehen kann, sondern eben auch klar sein muss: Braunschweig. International heißt es nun also „Braunschweig International Filmfestival“. All diese Veränderungen sind sehr organisch entstanden, ohne großen Ablösungsprozess.

Wer hilft Ihnen dabei, wie sieht Ihr Team aus?

Die Basis des Filmfests bildet der Verein „Internationales filmfest Braunschweig e.V.“, der auch sehr viele inhaltliche Leistungen erbringt. Im Kernteam gibt es dann drei Leute, die das ganze Jahr über beschäftigt sind: Frank Terhorst als Kommunikationschef, Claudia Morawe für die Finanzen und Imke Pöschel für die Organisation. Dazu kommen Assistenten, Mitarbeiter und Praktikanten, die eben temporär dabei sind. Zum Beispiel meine Assistentin Felicitas Kotzias, die auch stark kuratorisch gewirkt hat, und Corinna Melcher als Assistentin von Frank Terhorst, die im Verein auch für die junge Generation steht und zudem als Mediendesignerin viele tolle Ansätze eingebracht hat. Wir haben ein sehr harmonisches Team, das extrem gut zusammenarbeitet. Sonst hätte das in der Kürze der Zeit auch gar nicht funktioniert.

Der Schwerpunkt soll dieses Jahr noch stärker auf der Verbindung von Film und Musik liegen. Spielen da auch Ihre eigenen Interessen eine Rolle?

Ja, einerseits hat man mich genau deshalb ausgesucht, weil ich diesen Hintergrund mitbringe. Das Spannungsverhältnis von Film und Musik beschäftigt mich seit Jahren. Es ist schön, seine Interessen auf diese Art und Weise noch stärker ausleben zu können. Und dadurch, dass wir bei SoundTrack_Cologne ähnliche Sachen machen, gibt es natürlich viele Synergien. Einige Filme, die jetzt hier in Braunschweig laufen, haben wir auch für Köln ausgesucht; die laufen da eine Woche später. Andere Sachen liefen in Köln schon im letzten Jahr. Manche Filme haben wir hier in Braunschweig ausgesucht und transportieren sie anschließend weiter nach Köln. Der Eröffnungsfilm in Köln ist beispielsweise zuvor hier im Wettbewerb. Das sind sehr praktische Synergien, und das kommt meinen Neigungen natürlich sehr entgegen.

Stellt es eine besondere Herausforderung dar, internationale Gäste nach Braunschweig zu holen?

Es ist schon etwas schwieriger, da Köln natürlich einige Elemente hat, die international sehr interessant sind. Einer der wichtigsten Punkte ist natürlich der Flughafen. Das macht es viel einfacher, in Köln ein Festival zu veranstalten als in Braunschweig. Viele internationale Gäste kommen gerne nach Köln, weil es ein europäischer Knotenpunkt ist – das ist offensichtlich gerade für Amerikaner ein unheimliches Argument. Viele bringen dann beispielsweise ihre Familien zum Shoppen mit. Aber auf der anderen Seite habe ich das Gefühl gewonnen, dass die Leute, die schon mal hier waren, gerne wiederkommen und auch weitererzählen, wie schön es in Braunschweig ist. Wir gleichen viel durch eine persönliche Atmosphäre und warmherzige, empfangsbereite Menschen aus. Das wird bei Filmemachern sehr geschätzt. Von daher ist es hier gar kein großer Nachteil gegenüber Köln, außer dass man eben nicht direkt bis vor die Haustür fliegen kann.

Was macht für Sie persönlich Braunschweig aus?

Wenn ich früher den Begriff Braunschweig gehört habe, war es für mich irgendwie eine kleine graue Stadt, von der ich nichts wusste. Jetzt wo ich die Stadt kenne, denke ich immer an dieses warme, herbstliche Licht und das Magniviertel. Braunschweig ist für mich eine sehr schöne, atmosphärische Stadt, in der aber auch knallhart mit Geld umgegangen wird. Es ist für mich ein sehr interessantes Spannungsfeld, dass dann plötzlich trotzdem so viel Kultur da ist. Diese Stadt hat im Vergleich zu ihrer Größe extreme kulturelle Dimensionen. Und es gibt offensichtlich auch ein Bedürfnis der Bewohner, sich mit diesen kulturellen Dingen auseinanderzusetzen, sonst wäre das Filmfest nicht derart in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Was sind Ihre Highlights beim diesjärigen Filmfest, worauf freuen Sie sich am meisten?

An Odd Fish von Regisseur. Er fliegt für das filmfest das erste Mal nach Europa.

An Odd Fish von Fei Pang Wong. Der Regisseur fliegt für das filmfest das erste Mal nach Europa.

Ich bin natürlich sehr gespannt auf Mads Mikkelsen. Es müssen auch alle die Daumen drücken, dass er es tatsächlich schafft, direkt nach den aktuellen Dreharbeiten in Kanada ins Flugzeug nach Hannover zu steigen, um keine 24 Stunden später schon wieder zurück nach Toronto zu fliegen. Ich freue mich auf den Komponisten Jean-Michel Bernard, der ein sehr sympathischer Typ ist, mit dem wir bestimmt zwei lustige Abende verbringen werden. Ich freue mich auf Jörg Buttgereit, Michael Kosakowski und Andreas Marschall, die unsere „German Angst at midnight“-Reihe kuratiert haben. Das sind drei sehr humorvolle Menschen, denn nur mit viel Humor kann man solche Horrorfilme drehen. Ich freue mich auf Aki Nakazawa, die einen spannenden Vortrag über Musikvideos in Japan halten wird. Und ich freue mich natürlich auf die anderen 90 Gäste, die dabei sein werden. Zum Beispiel auf Nachwuchsregisseur Timm Kröger, der mit „Zerrumpelt Herz“einen der besten Filme der Saison hingelegt hat– und das als Hochschulabschluss-Film. Ich freue mich auf „Limbo“ von Mike Ott; ein Film, der aus dem Dokumentarischen plötzlich in eine ganz rührende Liebesgeschichte mündet. Ich freue mich auf die Premiere von „An Odd Fish“, dessen Regisseur aus Hongkong kommt und ganz aufgeregt ist, das erste Mal in Europa zu sein. Ein Film, der am Rande auch die Proteste in Hongkong thematisiert und aus dem abgefilmten Leben plötzlich in viele kleine Geschichten gleitet, die sich dann aber wieder zusammenfügen. Ich bin aber auch auf großes Popcorn-Kino gespannt wie „In Order of Disappearence – Einer nach dem anderen“mit Stellan Skarsgard und Bruno Ganz, der zwei Wochen nach dem Festival ins Kino kommen wird; ein ziemlich brutaler aber zugleich unheimlich witziger Blockbuster. Und Terry Gilliam wird mit „The Zero Theorem“einen Film präsentieren, der viele Elemente aus seinen früheren Werken wie Brazil wieder aufnimmt und mit Christoph Waltz noch mal eine Stufe weiterdreht. Und was natürlich auch zum Festival gehört, ist jede Menge Party. Wir haben eigentlich jeden Abend eine Aftershow-Party in der Lounge des Universum Filmpalasts, am Donnerstag nach der Premiere von „Pulp“ im Café Riptide und am Sonntag den großen Abschluss im Gewandhaus.

Gibt es aus der Vorbereitungszeit etwas, das Ihnen noch lange im Gedächtnis bleiben wird?

Eigentlich lief alles ziemlich glatt… *lacht augenzwinkernd* Aber eine Sache muss ich gestehen: Im Kino des Universum Filmpalasts, in dessen Haus wir unsere Räume haben, gibt es M&Ms zu kaufen. Und das Schönste am Job als Festivalchef ist, dass wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum der M&Ms unten im Kino abgelaufen ist und sie nicht mehr verkauft werden dürfen, gehen sie immer zu uns nach oben. Wir haben da nämlich einen eigenen M&M-Automaten, an dem man sich ununterbrochen bedienen kann. Es ist nicht einfach, die Kilos später beim Joggen am Löwenwall wieder runterzutrimmen. *lacht*

Herr Aust, vielen Dank für das Gespräch!

(Text: Stephen Dietl, Artikelbild: The Zero Theorem mit Christoph Waltz.)

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