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Werden Sie berühmt!

Ich glaube, ich bin noch nie mit so vielen Fragen zu einer Ausstellung gegangen wie zu „Werden Sie berühmt! Holle Hartmann_Wunderkammer“. Was genau wird da gezeigt? Wer ist Holle Hartmann und warum werden ihre persönlichen Kunst-/Wohngegenstände in der Galerie Geyso20 gezeigt? Und was hat die Lebenshilfe Braunschweig gGmbH mit diesem Projekt zu tun?

Schon im Eingang zur Ausstellung erkennt man: Hier gibt es viel zu entdecken. Foto: BSM

Schon im Eingang zur Ausstellung erkennt man: Hier gibt es viel zu entdecken. Foto: BSM

Gott sei Dank habe ich Dr. Gerhild Kaselow bei meinem Besuch an der Seite, ihres Zeichens Kunstwissenschaftlerin und bei der Lebenshilfe tätig. Sie erzählt mir, dass Holle Hartmann Kunsterzieherin war und in enger freundschaftlicher Verbindung mit dem Künstleratelier Geyso20 stand. Sie sammelte leidenschaftlich Bilder, Fotos und Dinge jeder erdenklichen materiellen Beschaffenheit, mit denen sie etwas Persönliches verband. Bis zu ihrem Tod im letzten Jahr lebte sie in einer Wohnung – für eine Siebzigjährige auffallend studentisch-spartanisch eingerichtet –, deren Auflösung schließlich bevorstand. In Absprache mit den Nachkommen entschied man sich, einen Raum in seiner Dekorationsanordnung nachzuempfinden, ohne jedoch eine 1:1-Kopie zu schaffen. Raumgroße Fotos an den Wänden geben einen Einblick in den Originalzustand der Wohnung, einzelne Dekorationselemente wie beispielsweise die rot bemalten Bananenkästen schaffen Übergänge zum Ausstellungsbereich wie eine Brücke.

Gerne würde ich an dieser Stelle die unglaubliche Vielfalt der gezeigten Stücke wiedergeben, aber meine Wortakrobatikkünste sind unterlegen. Vielleicht hilft ein Gedankenspiel: Stellen Sie sich vor, Sie bewahren jeden Gegenstand auf, der optisch einen attraktiven Reiz bietet – alles ist möglich: Postkarten, Fotografien, Kunstdrucke aus verschiedenen Epochen, Holzfigürchen, Bilderrahmen, Bücher, Zeichnungen Ihrer dreijährigen Tochter –, und produzieren dazu selbst noch welche. Doch Sie legen sie nicht weg, sondern integrieren jedes noch so kleinste künstlerische Etwas in Ihren Wohnraum. Es ergibt sich – zugegeben ein skurriles –  Sammelsurium Ihrer Biografie, Ihr Leben hängt buchstäblich an Wänden, steht in den Regalen und erzählt Ihre Geschichte.

Großformatige Fotos zeigen dem Besucher, wie es in der Wohnung von Holle Hartmann ausgesehen hat. Foto: BSM

Großformatige Fotos zeigen dem Besucher, wie es in der Wohnung von Holle Hartmann ausgesehen hat. Foto: BSM

Genau das sei am Anfang befremdlich gewesen, verrät eine hinzukommende Besucherin, die Holle Hartmann und auch ihre Wohnung gut kannte. Die Vermischung der einstigen Privatsphäre mit einem öffentlichen Raum, gerade bei der Eröffnung, als es so voll war. Gerhild Kaselow macht mich auf einen blau-weißen Teppich aufmerksam: Er ist auf die Holzdielen aufgemalt und ein ziemlich gutes Belegexemplar der Idee, die Holle Hartmann verfolgte, nämlich Kunst und Leben so in Einklang zu bringen, dass das eine das andere bedingt und beides symbiotisch auf ein neues Ganzes zustrebt. Authentisch und berührend.

Der Arbeitsplatz von Murat Akay. Foto: BSM

Der Arbeitsplatz von Murat Akay. Foto: BSM

Zwei Bilder stammen von Murat Akay, einem der Künstler des Ateliers Geyso20. Da dies direkt an die Galerie angrenzt, lädt mich Frau Kaselow ein, mal einen Blick reinzuwerfen. Sie führt mich in ein helles Studio mit vielen Fenstern. Die Lebenshilfe bietet hier seit 1992 Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit, künstlerisch zu arbeiten. Sieben Künstler kommen jeden Tag, rund 30 weitere aus anderen Werkstätten sind gelegentlich vor Ort. Einige von ihnen lerne ich heute persönlich kennen, unter ihnen ist Winfried Kostka, der auch das Logo der Geyso20, ein rotes quallenähnliches Wesen, kreiert hat. Ich schaue mir einige Werke von Volker Darneddes Papageienphase an. Eines zeigt vier bunte Vögel, die auf der Bettdecke sitzen und um halb drei Uhr morgens versuchen, den Schlafenden zum Aufstehen zu bewegen. Auch einige bekannte Braunschweiger Persönlichkeiten seien schon zum Modellstehen hier gewesen wie beispielsweise der ehemalige Domprediger Joachim Hempel oder der neue Oberbürgermeister Ulrich Markurth. Die Ergebnisse, sogenannte Outsider Art/Kunst, werden in der hauseigenen Galerie und im Schaukasten am Fußgängerdurchgang Casparistraße/Stecherstraße präsentiert. An der kommenden Präsentation wird schon gefeilt, vermutlich werden es Werke zum Thema Mode sein.

Nach und nach setzen sich alle Künstler an einen Tisch. Gerhild Kaselow klärt mich auf: Zweimal am Tag steht hier eine große Kaffeerunde an – ein festes Ritual. Na, da will ich nicht stören und verabschiede mich mit einem großen Winker in die Runde.

Die Ausstellung „Werden Sie berühmt! Holle Hartmann_Wunderkammer“ wird noch bis 12. September in der Galerie Geyso20, Geysostraße 20 gezeigt. Geöffnet ist Montag bis Freitag von 13 bis 17 Uhr. Personen, die es in diesem Zeitraum nicht schaffen, können einen Sondertermin vereinbaren. Wenn Sie vor Ort sind, verpassen Sie es nicht, ein Foto vor dem am Eingang positionierten leeren Rahmen zu schießen und den Gedanken der Ausstellung fortzuführen.

(Artikelbild: Andreas Greiner-Napp)

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