Suchbegriff eingeben:

Geschichten hinter den Klischees

Am 27. Oktober 1828 wurde in Braunschweig ein gewisser Carl Julius Berthold Götting geboren. Wenige Jahrzehnte später benennt er sich in Südamerika in Carlos um, bereist die Welt und landet 1876 schließlich in Japan. Fasziniert von der fremden Kultur erwirbt er zahlreiche traditionelle Gegenstände, die heute Teil der Sonderausstellung „Tourist in Japan um 1900“ im Haus am Löwenwall sind. Besonders ist hier nämlich, dass die Sammlung nicht etwa durch eine gezielte, unter kunstwissenschaftlichen Aspekten ausgewählte Zusammenstellung der Exponate Form angenommen hat, sondern durch Schenkungen von Braunschweigern entstanden ist.

Foto: Städtisches Museum

Foto: Städtisches Museum

Zuvor habe ich mich noch nie mit Japan, geschweige denn mit seiner Geschichte, befasst. Was mir zu Japan spontan einfällt? Geishas, Samurai, Sumo-Ringer. Irgendwie ganz schön oberflächlich, denke ich, und nehme mir daher vor, die Informationstafeln besonders gründlich zu studieren. Das Verhältnis zwischen Exponat und erklärendem Text finde ich auffallend ausgewogen, beide Teile fügen sich gut zusammen und vermitteln leicht eine Kernaussage, die bei mir hängen bleibt. Gleich zu Beginn geht es um die Samurai. Ich bin dankbar über diese thematische Übereinstimmung zu meinem – sagen wir, wie es ist – rudimentären Vorwissen, hatte ich doch erwartet, von einem geschichtlichen Abriss der vergangenen 1000 Jahre überrollt zu werden. Dass gerade dieses Thema am Anfang aufgegriffen wird, ist nicht zufällig, denn es begründet, warum sich Teile der Ausstellung heute überhaupt hier befinden.

Das bis Mitte des 19. Jahrhunderts dem Ausland gegenüber verschlossene Japan brach zum Ende der Edo-Ära (1603-1867) in seinen Strukturen auseinander. Bis dato genossen die Samurai beispielsweise die Privilegien, Familiennamen zu besitzen und Schwerter zu tragen. Nach politischen Umbrüchen durften sie diese jedoch samt Rüstung nicht mehr am Leib führen und verkauften sie. Ich begutachte unterschiedliche Lang- und Kurzschwerter sowie einzelne Rüstungsteile aus Rochenhaut, Lack, Silber und Eisen. Gerade die schönen Verzierungen vermögen die damaligen Japanreisenden zu einem Souvenirkauf bewogen zu haben. Kärtchen geben mir Auskunft über die Herstellung der Ausstellungsstücke: Die in einem langwierigen und komplizierten Prozess entstandenen Schwerter sind extrem scharf und gleichzeitig immens flexibel. Die japanischen Rüstungen bestehen hauptsächlich aus einzelnen lackierten Eisenlamellen, sind folglich vergleichsweise leicht und erlauben eine hohe Beweglichkeit.

Foto: Städtisches Museum

Foto: Städtisches Museum

Die insgesamt drei Räume sind voll von Eindrücken, die mit wenig Text viel erzählen. Die ausgestellten Fotos stammen überwiegend von zwei Herren, deren Namen so schön klingen wie ihre handkolorierten Motive: Raimund Stillfried von Rathenitz (1839-1911) und Felice Beato (1832-1909). Beide gelten als führende Japan-Fotografen ihrer Zeit und machten zahlreiche Porträt-, Genre- und Landschaftsaufnahmen. Die Fotos wirken manchmal positioniert, manchmal wie zufällig abgelichtet, an einigen kleben die Klischees (siehe oben), andere zeigen mir nie zuvor Gesehenes. Mein erstes Urteil hebt den Stempel: Typisch japanisch! Dann betrachte ich eine Abbildung mit einer kleinen Gruppierung von Frauen etwas näher und brumme eine fragendes „Hm?“ in den Raum. Das ist doch keine Asiatin … Wieder einmal helfen mir die Kärtchen am Rande, um zum Kern vorzudringen: Bei der japanischen Souvenirfotografie handelt es sich um inszenierte Fotos, meist um Studioaufnahmen, die die damalige Erwartungshaltung der Kundschaft erfüllten. Mütter mit Kindern sind eher selten zu sehen, halbnackte Frauen, Bordelle – in der handschriftlichen Originalbildunterschrift als „Damenpensionat“ bezeichnet – und Alltagsszenen hingegen sind beliebte Motive. Bei den Modellen handelt es sich meist um Geishas und Prostituierte, oft aber auch um Angehörige des Fotografen.

Foto: Städtisches Museum

Foto: Städtisches Museum

An dieser Stelle gäbe es noch unzählige Aha-Eindrücke von Einblicken in die japanische Tradition, die in mir zappeln, um niedergeschrieben zu werden: Obi, Kesa, das Knabenfest, Mangas … Doch an dieser Stelle stoppe ich meine tippenden Finger, schließlich möchte ich Ihnen auch noch ein paar Entdeckungen für Ihren Ausstellungsbesuch übrig lassen.

„Tourist in Japan um 1900“ läuft noch bis zum 19. Oktober 4. Januar im Haus am Löwenwall, geöffnet dienstags von 10 bis 21 Uhr sowie mittwochs bis sonntags 10 bis 17 Uhr.

(Artikelbild: Städtisches Museum)

Keine Kommentare

Hinterlassen Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind markiert *. Bitte beachten Sie unsere Netiquette und unsere Datenschutzerklärung.