Suchbegriff eingeben:

Gar nicht so naiv

Im Viertel am Botanischen Garten hat das Figurentheater Fadenschein ein wunderschönes, altes gelbes Backsteingebäude bezogen. Auf der Bühne im Theatersaal werden auf höchstem künstlerischen Niveau Theaterstücke für Kinder und Erwachsene aufgeführt, Eigenproduktionen oder Gastspiele wechseln sich im Spielplan ab. Obwohl aber nur wenige Schauspieler die Bühne betreten, kann es dort richtig voll sein: Dann tummeln sich Figuren, Puppen und Objekte auf der Bühne, hauchen Figurenspieler den leblosen Körpern eine Seele ein und plötzlich ist man als Zuschauer mittendrin in einer fantasievollen Szene, fiebert mit, lacht herzlich oder ist zu Tränen gerührt.

Glauben Sie nicht? Dann lesen Sie einmal, was die Berliner Zuschauer über ihr Theatererlebnis erzählen zum kommenden Gastspiel „Fantasien zu Paul Klee“ vom Fliegenden Theater. Mit den Aufführungen in Braunschweig, kehrt das Stück zu seinem „Ursprungsort“ zurück, wie Regisseur, Figurenspieler und -bauer Rudi Schmid im Interview erklärt.

Herr Schmid, zunächst einmal eine grundlegende Frage: Figurenspieler oder Marionettenspieler, wie bezeichnen Sie sich selbst?
Ich bin Figuren- und Objektspieler.

Puppen, Objekte, Schauspieler - alles kann zu einer Figur im Stück werden. Foto: Fliegendes Theater

Puppen, Objekte, Schauspieler – alles kann zu einer Figur im Stück werden. Foto: Fliegendes Theater

Wie sind Sie zum Figurentheater gekommen?
Ich habe mich erst mit Malerei und Graphik beschäftigt. An der Uni fing ich dann am Studententheater als Schauspieler an. Als ich dort ein Gastspiel eines Puppentheaters sah, erkannte ich die für mich reizvolle Möglichkeit, beide Medien zu verbinden. Die im Lauf der letzten Jahrzehnte rasante Entwicklung des Figuren- und Objekttheaters ergab dann ein interessantes Experimentierfeld für mich.

Was interessiert Sie an Figuren und Objekten? Warum sind Sie nicht einfach Schauspieler geworden?
Dafür gibt es mehrere Gründe: Als Figurenspieler kann ich aus der Distanz betrachten, was ich spiele. Ich kann als einzelner Spieler ein ganzes Szenario darstellen und mehrere Rollen gestalten. Figuren- und Objekte ermöglichen Überzeichnungen ins Groteske oder Symbolisierung – Möglichkeiten, die dem Schauspieler so nicht gegeben sind.
Dennoch setzen wir auch Schauspieler in unseren Stücken ein, die wir mit Figuren konfrontieren.

Bauen Sie Ihre Figuren auch selbst? Oder geben Sie auch Figuren in Auftrag?
Wir bauen unsere Figuren selbst, holen uns aber teilweise Unterstützung, zum Beispiel bei Näharbeiten.

Mit dem Stück „Fantasien zu Paul Klee“ sind Sie zu Gast im Theater Fadenschein. Wie kam es dazu?
Ich habe das Stück vor einigen Jahren unter dem Titel „die Kleemaschine“ als Regisseur am Theater Fadenschein inszeniert. Durch Ausscheiden eines Spielers konnte das Stück dort nicht mehr gespielt werden. 2012 habe ich es in den Spielplan des Fliegenden Theaters in Berlin übernommen und dafür uminszeniert. 2015 wird es nun erstmals wieder in Braunschweig zu sehen sein.

Sie sagen über sich selbst, dass sich für Ihre Theaterform Themen aus der bildenden Kunst anbieten. Wieso?
Das Figuren- und Objekttheater gibt vielerlei Möglichkeiten der Umsetzung abstrakt bildnerischer Stoffe. Figurentheater in seiner modernen Form ist ja im Gegensatz zum Schauspiel Theater mit Mitteln der bildenden Kunst, denn die Figur ist Skulptur, gestaltetes Objekt oder als flache Darstellung Grafik und Malerei.

Schauspieler Bernd Raucamp studiert die Malerei Paul Klees. Foto: Fliegendes Theater

Schauspieler Bernd Raucamp malt wie in einem Traum Bilder von Paul Klee. Foto: Fliegendes Theater

Bleiben wir beim Klee-Stück: Was darf der Zuschauer erwarten?
Die Ausgangsidee zu dem Stück bestand darin, zu Bildern von Paul Klee frei zu assoziieren. Wir wollten sehen, was uns dazu einfällt, wollten sie in Bewegung bringen und zum Leben erwecken. Wir haben Texte, Geschichten, Figuren und Objekte zu den Bildern gesammelt und daraus eine szenische Collage gemacht.

Wie einem Traum entstiegen, tauchen drei seltsame Gestalten im Atelier des Malers auf und erwecken seine Bilder und Objekte zum Leben. Sie setzen mechanische Objekte in Gang, spielen mit Figuren oder malen Bilder. Die Szenen sind ganz subjektive Fantasien zu den Arbeiten des Malers und orientieren sich an wichtigen Themen seines Schaffens: Die Suche nach dem Kindlich-naiven, die Verbindung zwischen Musik und Malerei, seinem Hang zum Grotesken und der Diffamierung seiner Werke als entartet. Ganz im Sinne Klees will die Inszenierung „geheim Erschautes sichtbar machen.“ Wir möchten die Zuschauer einladen, mit uns zu fantasieren und die Bilder in ihrem Kopf weiterzuspinnen. Deshalb empfehlen wir, den Kopf auszuschalten und sich treiben zu lassen.

Neben Figuren gibt es auf der Bühne also auch noch allerhand andere Objekte, mit denen Sie spielen. Kann bei Ihnen alles zu einer Figur werden? Oder gibt es Grenzen?
Es kann tatsächlich alles zur Figur werden, von einem Streichholz bis zur meterhohen Großfigur. Jedem Objekt wohnt eine Eigenart inne, ein potentielle Geschichte, die erzählt werden will.

Sie spielen Kinderstücke aber ebenso auch Stücke für Erwachsene. Was ist die größere Herausforderung?
Die Herausforderungen sind ganz unterschiedlich. Kinder reagieren sehr spontan und zeigen sehr deutlich, wenn sie etwas nicht verstehen oder sich langweilen. Sie analysieren aber nicht, woran es liegt, dass eine Szene sie nicht interessiert. Das bedingt einen Prozess, bei dem man das Stück im Lauf der ersten Aufführungen verändert, an die Wahrnehmung der Kinder anpasst.
Von einem erwachsenen Publikum bekommt man differenzierte Rückmeldungen und Analysen des Gesehenen. Ebenso eine Spiegelung der künstlerischen Qualität.

Bestimmte abstrakte oder poetische Inhalte sind für Kinder nur schwer zu vermitteln und bedingen oft für uns schmerzliche Streichungen nach der Premiere. Bei Erwachsenen können wir höhere Ansprüche an das Abstraktionsvermögen stellen. Auch gibt es für Kinder inhaltliche Tabus, die wir bei einem erwachsenen Publikum nicht beachten müssen. Je nach Altersgruppe vermeiden wir bei Kindern angstmachende Inhalte. Themen wie Gewalt oder Erotik, die im Abendprogramm vorkommen können, sind hier tabu.

Herzlichen Dank für das Interview.

Bernd Raucamp, Edelgard Hansen und Rudi Schmid. Foto: Fliegendes Theater

Bernd Raucamp, Edelgard Hansen und Rudi Schmid. Foto: Fliegendes Theater

Das Fliegende Theater Berlin kommt am 20. und 21. Februar 2015 nach Braunschweig, um im Erwachsenenprogramm “Fantasien zu Paul Klee” zu zeigen. Besonders ans Herz legen möchte ich Ihnen die Veranstaltung am 21. Februar, die AugenSchmaus-Veranstaltung, bei der die Gäste auch kulinarisch verwöhnt werden.

Informationen

Fantasien zu Paul Klee
Figurentheater Fadenschein
Bültenweg 95, 38106 Braunschweig

20.02.2015, Beginn 20.00 Uhr
21.02.2015 AugenSchmaus-Vorstellung, Beginn 19.30 Uhr

(Artikelbild: Fliegendes Theater)

Keine Kommentare

Hinterlassen Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind markiert *. Bitte beachten Sie unsere Netiquette und unsere Datenschutzerklärung.