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Neue (Denk-)Formen des Theaters

Endlich! Das Festival Theaterformen eröffnet am 9. Juni 2016 mit dem Theaterstück God Bless Baseball aus Japan. Wer mich kennt, weiß, dass sich bei mir schon im September des Vorjahres die Vorfreude auf die kommenden Theaterformen einstellt. Die Theaterformen sind meine Lieblingsveranstaltung in Braunschweig – dies vorweg zur Erklärung.

Das Festival Theaterformen verbindet Theater mit Musik, mit Kinofilmen, mit Workshops und Gesprächsformaten. Im Wechsel mit Hannover gastieren die Theaterformen jedes zweite Jahr in Braunschweig und 2016 ist es wieder soweit: Elf Tage lang, bis zum 19. Juni 2016, bevölkern rund 210 internationale Schauspielerinnen und Schauspieler aus zehn Ländern die Löwenstadt. Schwerpunkt ist in diesem Jahr Ost- und Südostasien – gleich sieben Gastspiele kommen aus dieser Region.

Unter Sternenhimmel, Lichter- und Wimpelketten lauscht das Publikum der Musik. Foto: BSM / Daniel Möller

Unter Sternenhimmel, Lichter- und Wimpelketten lauscht das Publikum der Musik. Foto: BSM / Daniel Möller

Beim Durchblättern des Programmheftes stoße ich auf das Stück Minefield von Lola Arias. In Minefield treffen Kriegsveteranen aus Argentinien und England auf der Bühne aufeinander – Männer, die sich vor 34 Jahren im Falklandkrieg gegenseitig bekämpft haben. Der Aufbau des Stücks erinnert mich an ein Stück von vor zwei Jahren. Dort habe ich Das Jahr, in dem ich geboren wurde gesehen und, tatsächlich, die Regisseurin war auch damals Lola Arias.

Arias beschäftigt sich mit der Historie und Politik in Südamerika – nicht dokumentarisch, sondern immer auf einer sehr persönlichen Ebene. Das hat mich vor zwei Jahren tief berührt. Damals standen junge Chileninnen und Chilenen auf der Bühne, die die Geschichte ihrer Eltern während der Diktatur Pinochets erzählten. Kinder von Tätern trafen auf Kinder von Opfern. Auch in diesem Jahr bleibt Arias ihrer Linie treu und inszeniert ihr Stück mit Menschen, die das Erzählte erlebt haben. Im Vorfeld darf ich sie per E-Mail interviewen, auch wenn sie gerade mitten in den Vorbereitungen für die Uraufführung in England steckt. Als erstes interessiert mich, wie die Regisseurin ihre Protagonisten aufspürt – schließlich sind es keine Schauspieler, mit denen sie arbeitet.

Die argentinische Regisseurin Lola Arias. Foto: Lola Arias

Die argentinische Regisseurin Lola Arias. Foto: Lola Arias

„Bei dieser Art der persönlichen Dokumentation sind Vorsprechen die wichtigsten Momente. Hier führe ich auch meine Recherche aus, höre verschiedene Stimmen der gleichen Geschichte. Ich habe mit ungefähr 40 argentinischen Veteranen in Buenos Aires und mit mehr als 20 britischen Veteranen in England gesprochen. Mit diesen Interviews habe ich die Geschichten, Erlebnisse und Sichtweisen über den Krieg gesammelt. Dann habe ich jeweils drei Briten und Argentinier ausgesucht und zuerst mit den Argentiniern – getrennt von den Engländern – gearbeitet. Ich habe Workshops geleitet, um sie besser kennenzulernen und mit ihnen zu reden. Ich habe versucht, in ihre persönlichen Geschichten zu schauen. Danach haben wir in Argentinien geprobt und während dieser Proben haben wir den Text des Stücks geschrieben – work in progress.“

Ich kann mir schwer vorstellen, dass die Proben einfach gewesen sind. Inwieweit haben die Kriegserlebnisse während der Proben für sie oder für die Protagonisten eine Rolle gespielt und wie sind sie damit umgegangen?

„Im Stück arbeite ich mit drei argentinischen Wehrpflichtigen, die keine Berufssoldaten waren. Deshalb haben sie ganz andere Erfahrungen als die, die professionell auf den Krieg vorbereitet wurden. Obwohl man nie darauf vorbereitet ist, in den Krieg zu ziehen, seine Freunde sterben zu sehen, auf Menschen zu schießen. Ich weiß nicht, ob man jemals jemanden darauf vorbereiten kann. Die Erfahrung, in den Krieg zu ziehen, hinterlässt unterschiedliche Spuren bei jedem Menschen – das was manche ‚traumatisch‘ nennen.“

Bühnenbild aus Minefield von Lola Arias im Royal Court, Jerwood Theatre, Downstairs. Foto: Tristram Kenton 06/16 (3 Raveley Street, LONDON NW5 2HX TEL 0207 267 5550  Mob 07973 617 355)email: tristram@tristramkenton.com

Bühnenbild aus Minefield von Lola Arias im Royal Court, Jerwood Theatre, Downstairs. Foto: Tristram Kenton

Was mich besonders beeindruckt ist, dass auf der Bühne Menschen zusammenkommen, die sich im Krieg bekämpft haben. Von Lola Arias möchte ich wissen, ob es keine Konflikte unter den Protagonisten gibt.

„Sie haben sich im Krieg gehasst. Wie einer der Argentinier im Stück sagt: ‚Du musst hassen, um töten zu können.‘ Aber es sind 34 Jahre vergangen. Heute sind sie alle 50+ und Veteranen desselben Krieges. Sie haben mehr miteinander gemeinsam als mit dem Rest der Welt.“

Die Protagonisten zeigen Minefield auf der ganzen Welt. Das Stück ist, wie Lola Arias sagt, ein „universelles Stück“. Egal, ob die Handlung in Argentinien, Japan oder Braunschweig spielt – es ist das Thema, das die Zuschauer berührt und das ihm Aktualität verleiht.

Bühnenszene aus Minefield vonLola Arias im Royal Court, Jerwood Foto: Tristram Kenton

Bühnenszene aus Minefield vonLola Arias im Royal Court, Jerwood Foto: Tristram Kenton

Lola Arias wird im Juni wieder nach Braunschweig reisen und bei den Theaterformen ihr Stück präsentieren. Zum Schluss habe ich sie noch gefragt, was sie am Festival mag. Ihre Antwort:

„Ich liebe das Festival. Erstens, weil es ein großartiges Programm gibt. Ich fühle mich jedes Mal geehrt, wenn die Festivalleitung mich fragt, eines meiner Stücke zu präsentieren. Zweitens mag ich das Open Air mit Livemusik und die anderen Programmpunkte. Und nicht zuletzt finde ich toll, dass zum Festival junge Künstler aus der ganzen Welt eingeladen sind, die ihre Theaterstücke zeigen, andere sehen und darüber diskutieren.“

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Informationen

Festival Theaterformen
9. bis 19. Juni 2016
Braunschweig – verschiedene Spielorte
Programm und weitere Informationen unter http://www.theaterformen.de/
Tickets online und an allen bekannten Vorverkaufsstellen erhältlich.

Titelbild: Theaterformen 2010. Foto: Andreas Etter

 

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