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Ein Zebraritt durch die Geschichte

Goethe hat also sein erstes Zebra in Braunschweig gesehen. Das ist erstaunlich, ein weitgereister Mann, der kurz vor seinem 35. Geburtstag im Sommer 1784 gerade in Braunschweig ein Zebra sieht? Erstaunlich, aber historisch nachgewiesen, weil Goethe noch umgehend fasziniert an Charlotte von Stein schreibt, das Muster des Zebras sei so charmant, dass man es unmöglich beschreiben oder sich vorstellen könne. Goethes Faszination für Zebras wurde von der offiziellen Goetheforschung bislang weniger beachtet, nur ein gewisser Bruno Bruns, Enkel von Joseph Bruns, dem Besitzer des Zebras, hat sich für diese folgenreiche Begegnung interessiert und alles sorgsam dokumentiert. Nach der Führung durch die Ausstellung Goethes Zebra ist zumindest sicher, dass die Begegnung zwischen Goethe und dem Zebra Ausgangspunkt einer Obsession war. Ob die von Bruno B. oder von Hans-Peter Litscher, der durch die Ausstellung führt, ist die Frage.

Hans-Peter Litscher wartet auf uns vor dem Kloster Aegidien. Mit Zeigestock und schwarzem Doktormantel führt er durch die Ausstellung im Erdgeschoss des Klosters. Zwei Regeln stellt er auf:

1. „Die Kleinen nach vorne, die Mittleren in die Mitte und die Großen nach hinten“.
2. „Wenn ich sage: ‚Kommt‘, dann folgt ihr mir“.

Sein Schweizer Dialekt und die leichte Zerstreutheit, mit der er von Vitrine zu Vitrine, von Ausstellungsstück zu Ausstellungsstück eilt, lassen ihn zwischen verrückter Professor und benebelter Künstler changieren. Und beides ist ja auch irgendwie richtig.

Ein ausgestopftes Zebra als Höhepunkt der Ausstellung. Foto: Theaterformen

Die Ausstellung ist ein wilder Ritt durch die Kultur- und Popgeschichte. Ausgehend von der schicksalhaften Begegnung im Sommer 1784 kann Litscher mit manchmal an den Haaren herbeigezogenen Argumentationen beweisen, wie ein regelrechtes Zebra-Fieber um sich griff. Neben Goethe sah auch Marquis de Sade eben jenes Zebra in Paris, das Goethe in Braunschweig zu Gesicht bekam. Beide nahmen das Zebra in ihr künstlerisches Schaffen auf und ebneten ihm dadurch den Weg in die Kulturgeschichte. Schwarz-weiß gemusterte Strümpfe kamen in Paris in Mode, weitere Künstler entdeckten das Zebra für sich. Ein Bauhaus-Architekt entwarf ein Haus mit Zebramuster – das natürlich nie gebaut wurde. Che Guevara, der in einer Biografie über Goethe von dessen Zebra-Leidenschaft las, nahm das Muster des Zebras zum Vorbild für die Guerilla-Kämpfer in der Kubanischen Revolution, U-Boote wurden in Zebramuster bemalt, um zu vertuschen, ob sie vor- oder rückwärts fuhren. Marlene Dietrich, erste und bedeutende deutsche Schauspielerin in Hollywood, brachte Gary Cooper eine Biografie über Goethe mit, der dann nur noch schwarz-weiß gemusterte Bademäntel trug. Josephine Baker ließ sich einen Zebra-BH anfertigen. Natürlich hatte auch Andy Warhol eine Zebra-Phase, genauso wie Mozart und Verdi nachweislich vom Zebra beeinflusst wurden. Verdi schreib schließlich die einzige Oper, in der ein Zebra vorkommt: Aida.

Und so geht es weiter im Kloster Aegidien, wo Schriftstücke, Bilder, Kostüme und Kuriositäten unter anderem aus den Sammlungen des Braunschweigischen Landesmuseums, des Herzog Anton Ulrich Museums, der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel und der Klassikstiftung Weimar in dunklen, schlecht ausgeleuchteten Vitrinen zu entdecken sind. Litscher zeigt mit seinem Zeigestock hierhin und dorthin, läuft durch den Raum von einer Vitrine in der linken hinteren Ecke zur nächsten in der vorderen rechten und zurück zu einer in der Mitte des Raums. Ganz hinten im Raum wartet ein ausgestopftes Zebra auf den Besucher – natürlich nicht das echte, also das von Goethe, das sei nicht mehr vorhanden. Dennoch wollte Bruno B. es so, in seinem Nachlass ist eine konkrete Beschreibung einer Zebra-Ausstellung zu finden. Nach dieser hat Hans-Peter Litscher die heutige Ausstellung gestaltet. Und es geht noch weiter: Bruno B. hat eine Zebrazeitmaschine konstruiert, aber nie gebaut. Im Allgemeinen Konsumverein wurde sie nun vom Künstler Thomas Bartels fertiggestellt.

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Zebrazeitmaschine. Konstruiert von Bruno B., realisiert von Thomas Bartels. Foto: BSM

Also Ortswechsel: Wir folgen Hans-Peter Litscher zum Allgemeinen Konsumverein, das sich für die Zeit der Ausstellung in ein Zebrarium verwandelt. Den Innenraum nehmen die Installationen von Thomas Bartels ein, faszinierende Video- und Lichtspiele, die mechanisch angetrieben werden. An den Wänden galoppieren Zebras, ein rotes, blaues und gelbes Zebra werden zu einem weißen Zebra und lösen sich wieder farbig voneinander. Neben der Zebrazeitmaschine, die Bartels nach den Aufzeichnungen von Bruno B. gebaut hat, findet sich hier auch das rekonstruierte Arbeitszimmer von Bruno B.

Bruno B.´s Arbeitszimmer, rekonstruiert. Foto: BSM

Bruno B.´s Arbeitszimmer, rekonstruiert. Foto: BSM

Auf engem Raum stößt man hier auf Poster, Gemälde, Fotos, Schriften, Zitate, Bücher … Das Sakko von Bruno B. hängt noch über dem Stuhl, als sei er gerade zur Kaffeepause gegangen. Diesen Anschein macht auch der vollgepackte Schreibtisch, der den Eindruck eines geordneten Chaos hinterlässt. Alles dreht sich um Zebras, selbst die Uhr ist eine Zebra-Uhr. Litscher zeigt mit seinem Stock auf einzelne Karten, pickt hier ein Bild heraus, zitiert dort eine Zebraweisheit. Nach mehr als einer Stunde geballten Wissens aus der Kulturgeschichte des Zebras bin auch ich nun völlig überzeugt: Goethes Begegnung mit dem Zebra hat die Geschichte nachweislich geprägt.

Das glauben Sie alles nicht? Dann lassen Sie sich von Hans-Peter Litscher durch die Ausstellung führen!

Führungen finden während des Festivals Theaterformen
dienstags bis freitags um 17.00 Uhr,
am Wochenende jeweils um 15.00 und 18.00 Uhr statt.
Karten an der Theaterkasse.
Vom 23. Juni bis 13. Juli finden die Führungen
donnerstags und freitags um 18.00 Uhr und
samstags und sonntags um 15.00 und 18.00 Uhr statt.
Karten gibt es im Braunschweigischen Landesmuseum am Burgplatz.
Treffpunkt ist das Kloster St. Aegidien, Dauer circa 70 Minuten. Empfohlenes Mindestalter 14 Jahre.

Update: Goethes Zebra zieht weiter nach Weimar. Im Deutschen Nationaltheater ist die Ausstellung vom 23. August bis 7. September zu erleben.

(Artikelfoto: Theaterformen)

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