Oldtimer interessieren mich nicht. Das ist vielleicht ein ungewöhnlicher Einstieg in einen Blogbeitrag über Heinrich Büssing, aber ein ehrlicher. Um die Pointe vorwegzunehmen: Im Laufe meiner Recherche bekomme ich verrückterweise Lust, mir alte – Entschuldigung, historische – Lkw und Busse anzugucken.
Warum eigentlich dieser Büssing?
Heinrich Büssing kommt gerade jetzt ins Gespräch, weil die Region Braunschweig seinen 175. Geburtstag feiert. Meine Recherche zu ihm beginnt ganz klassisch mit Lesen. Nun erspare ich Ihnen an dieser Stelle eine ausführliche Biografie, denn das können Sie auch hier nachlesen. Also nur das Wichtigste: Heinrich Büssing kam am 29. Juni 1843 in Nordsteimke bei Wolfsburg zur Welt, lernte den Beruf des Schmiedes und hörte an der TU Braunschweig Vorlesungen über Maschinenbau und Bautechnik. Er erkannte in den 1860er Jahren die Chancen der Industrialisierung und gründete bald seine erste Firma, in der er Fahrräder herstellte. Nach erfolgreichen Jahren in der Eisenbahn-Signaltechnik kam er schlussendlich zum Nutzfahrzeugbau. Das war 1903. Der dann schon Sechzigjährige war mit seinen Bussen und Lkw bekanntlich weltweit erfolgreich und blieb als Lastwagenkönig und Mobilitäts-Pionier in Erinnerung.
Heute ziert der Braunschweiger Burglöwe, der schon die Büssing-Fahrzeuge schmückte, MAN-Lastkraftwagen. Denn die Firmengeschichte BÜSSING endete im Jahr 1972 mit der Übernahme durch die Konzerne Salzgitter AG und Gute Hoffnungshütte (GHH)/ M.A.N. (Maschinenfabrik Augsburg Nürnberg) (MAN).
Da ist noch Schulbusgeruch drin
Um den Menschen Heinrich Büssing greifbar zu machen, habe ich mich mit Wolfram Bäse-Jöbges verabredet. Kaum einer eignet sich wohl besser, denn er ist der Vorsitzender des Vereins „Heinrich Büssing – Technik und Geschichte“ und beschäftigt sich in seiner Freizeit mit Büssing und dessen Werk.
Also schwinge ich mich aufs Velociped, so hießen die Fahrräder zu Büssings Zeit, und besuche den Büssing-Kenner.
Warum ihn das Thema Büssing so bewegt? „Ohne jetzt so´n Vergangenheitsverträumter zu sein“, schiebt er vorweg, „muss ich sagen, ganz viele Leute verbinden mit Büssing den großen Fernlast-Lkw, den 8000er mit der langen, langen Schnauze. Mein Herz schlägt aber höher bei den Bussen. Hier in Braunschweig fuhren sie in meiner Kindheit überall. Zum Beispiel fuhr der Anderthalbdecker den Weg nach Wolfenbüttel, also die heutige 420.“ Wolfram Bäse-Jöbges wurde in den 1950ern in der Löwenstadt geboren und erinnert sich an die Büssing-Busse der Sechzigerjahre ganz besonders. „Wenn ich heute in den Anderthalbdecker reingehe, dann rieche ich meine Kindheit. Da ist noch mein Schulbusgeruch drin. Das sind die Materialien. Das ist eine Mischung aus Diesel, Leder, Öl, Linoleum und Holzlasuren. Den Geruch merkt man sich. Im Verein nennen wir das Dieselgeruch.“
Zwei Braunschweiger Jungs
Die Leidenschaft für Busse und Lkw begleitet Wolfram Bäse-Jöbges schon lange. Dass Heinrich Büssing eigentlich Braunschweiger war, hat er früh verstanden: „Als Braunschweiger Schüler kommt man da nicht so leicht dran vorbei.“ Dass Büssing sich auch für Kultur und Wissenschaft in Braunschweig einsetzte, machte ihn für Wolfram Bäse-Jöbges noch interessanter. Doch auf die Fahrzeuge kommt er immer wieder zurück: „Es gab damals die Spedition Fehr an der Frankfurter Straße. Die hatte dunkelblaue Büssing-Fahrzeuge mit langen Hauben und einem gelben Schriftzug. Am Wochenende standen sie immer in der Kurve, schön säuberlich aufgereiht am Zaun. Da habe ich als Kind fasziniert davorgestanden.“
Visionen in Zeiten des Umbruchs
Die Industrialisierung spielte wie oben schon einmal kurz erwähnt eine entscheidende Rolle für Büssing. Das sieht auch mein Interviewpartner so: „Das war eine Aufbruchssituation, vielleicht vergleichbar mit der Aufbruchsstimmung, die wir heute mit der Digitalisierung erleben.“ Fahrrad, Eisenbahn, Nutzfahrzeug: Büssings Werdegang zeigt, warum er auch heute noch relevant ist. „Mit diesem Universaldenken hat er Visionen entwickelt. Ich glaube, seine Qualität bestand nicht darin, Sachen zu erfinden, sondern sie besser zu machen.
Zum Beispiel entwickelte er die verstellbaren Pedale für die Velocipedes. Und er hat sozusagen das Differentialgetriebe erfunden: Denn er hat gesehen, dass sich beim Fahren in einer Kurve das äußere Rad schneller dreht, als das auf der inneren Seite. Er hat auch gemerkt, dass Holzräder die Lasten nicht ideal verteilen und die Straßen kaputtmachen. Also hat er den Gummireifen erfunden.“ Wolfram Bäse-Jöbges überlegt etwas und fasst zusammen: „Büssing hat Dinge dort verbessert, wo es notwendig, sinnvoll und effektiv war.“ Mit etwas Humor ergänzt er: „Über die A39 und das Auspendeln in Höhe Fallersleben und über die Weddeler Schleife hätte Büssing vielleicht geschmunzelt.“
Dachböden voller Zeitzeugen
Okay, dieser Büssing scheint wirklich ganz interessant gewesen zu sein. Die Fotos von alten Bussen und Lkw, die Wolfram Bäse-Jöbges mir im Anschluss an das Interview zeigt, haben auch wirklich Charme, das muss ich zugeben. Warum aber direkt einen Verein gründen? „Es gibt ganz viele, die in Braunschweig in irgendeiner Form mit Büssing zu tun hatten. Ob sie wie ich in Büssing-Schulbussen fuhren oder der Opa vielleicht mal bei Büssing als Polsterer gearbeitet hat.“ Daher liegen auf ihren Dachböden oft noch Erinnerungsstücke rund um Büssing: Embleme, Firmenzeitschriften, Fotos. „Die Erben schmeißen es oft weg“, bedauert Wolfram Bäse-Jöbges. Daher will er mit dem Verein „Nutzfahrzeuggeschichte im Braunschweiger Land festhalten“, denn „das Erbe Heinrich Büssings ist so umfangreich, dass wir es in irgendeiner Form bündeln müssen.“
Man muss ja auch mal größer denken dürfen
Ein Büssing 6000 S vor (gelb) und nach (blau) der Restaurierung durch ein Mitglied des Vereins. Fotos: Heinrich Büssing – Technik und Geschichte e. V.
Der „Heinrich Büssing – Technik und Geschichte e. V.“ besteht zum großen Teil aus Braunschweigern, und einige von ihnen besitzen, restaurieren und pflegen selbst ein historisches Büssing-Fahrzeug. „Wir haben einen regelmäßigen Stammtisch, und die Mitglieder tauschen sich untereinander über die besten Werkzeuge, die Tipps und Tricks aus. Die wissen auch, was wo zu kriegen ist“, erklärt Wolfram Bäse-Jöbges. Was, wenn ich jetzt einen Büssing-Lkw haben möchte? Ich meine, ich fange erst an, mich in das Thema einzuarbeiten, aber man muss ja auch mal etwas größer denken dürfen. „Das wäre ein ganz toller Grund, sich bei uns zu melden“, sagt Wolfram Bäse-Jöbges. „Unsere Leute im Verein wissen, wo noch was steht, wo man was abholen kann, wer etwas verkaufen will.“
Dieselgeruch zwischen zwei Pferden
Bevor ich mir einen Büssing-Lkw oder Omnibus in meine kleine Wohnung hole, schaue ich sie mir lieber erstmal an. „Zum modeautofrühling werden wir mit acht Büssing-Lkw vor dem Schlossportal zwischen den Reiterdenkmälern Spalier stehen. Die historischen Fahrzeuge bringen einen geschichtlichen Bezug mit, was gut zum Schloss passt.“ Ich denke, das ist ein guter Anlass für mich, mal diesen viel gepriesenen Dieselgeruch schätzen zu lernen. „Außerdem wird es ein kleines Infozelt und einen Büchertisch geben. Und wir haben eine Modellsammlung im Maßstab 1:87 dabei.“
Beim modeautofrühling geht es – wie der Name vermuten lässt – um Mobilität und Mode. Neben den Büssing-Fahrzeugen wird es auch ein Angebot für Radfahrer wie mich geben. Mit einem kostenlosen Frühjahrscheck kann man im Moment schließlich nichts falsch machen. Auch Modeschauen locken übrigens an diesem verkaufsoffenen Wochenende in die Innenstadt.
Die Geburtstagsfeier
Wer dann noch immer nicht genug von liebevoll restaurierten Büssing-Schätzen hat, besucht das Büssing-Treffen am Samstag, 30. Juni, auf dem Betriebsgelände Wandt: „Wir sind sehr froh und dankbar, dass die Firma Wandt uns unterstützt. Am Freitag, also an Büssings Geburtstag, treffen die Lkw und Busse nachmittags ein. Es werden um die 20 Fahrzeuge da sein, was bei den großen Lkw viel Platz benötigt. Außerdem wird es eine Bühne mit Livemusik geben. Für das leibliche Wohl wird ebenfalls gesorgt.“
Ich bin noch immer perplex, dass mich das Thema Büssing so interessiert. Von Wolfram Bäse-Jöbges ging aber auch so eine Begeisterung aus, dass ich schon richtig gespannt auf den Schulbusgeruch seiner Kindheit bin.
Büssing-Freunde kennenlernen
Wenn Sie den Verein „Heinrich Büssing – Technik und Geschichte“ näher kennenlernen oder ihm beitreten möchten, können Sie sich per Mail an info@buessing-verein.de wenden.
Titelbild: Heinrich Büssing gilt als Mobilitätspionier – oder auch, ganz salopp, als Lastwagenkönig. Foto: MAN Truck & Bus historisches Archiv München
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