Es war einmal eine Prinzessin, deren Herz für Blumen, Bäume und alle Pflanzen schlug. Da hörte sie von einer schwimmenden Zauberrose namens Victoria. Einzig der kundige Michael sollte um die Eigenheiten des wundersamen Gewächses wissen. Es hieß, er riefe jedes Jahr die Victoria-Verehrer der Stadt zu einem besonderen Schauspiel zusammen, denn die Zauberpflanze blühte lediglich zwei Nächte im Jahr: In der ersten Nacht war ihre Blüte weiß, in der zweiten rosa. So zog die Prinzessin aus, um den kundigen Michael und die schwimmende Zauberrose zu finden.
Was auch der Beginn eines Märchens sein könnte, liegt überraschend nah an der Wirklichkeit. Als mir Michael Kraft, Leiter des 178 Jahre alten Botanischen Gartens in Braunschweig, bei unserem Interview von der Riesenseerose Victoria cruziana erzählt, fühle ich mich wie in eine Zauberwelt versetzt.
Der Traum vom Gärtnern
Michael Kraft begrüßt mich mit einem herzlichen Lächeln. Der Lebensweg des gelernten Gärtners ist eine Erfolgsgeschichte: „Es war immer mein Traum, im Botanischen Garten zu arbeiten.“ Bereits seit 30 Jahren übt der gebürtige Braunschweiger mittlerweile seinen Traumberuf aus und übernahm 2001 die Leitung der Gartenanlagen. Der Botanische Garten an der Humboldtstraße ist eine Abteilung des Instituts für Pflanzenbiologie der Technischen Universität Braunschweig. „Toll ist, dass der Garten noch an derselben Stelle ist, an der er 1840 gegründet wurde“, findet Michael Kraft. 1995 wurde ein Erweiterungsteil auf der anderen Seite der Okerbrücke erschlossen.
Gestatten: Victoria cruziana, Riesenseerose.
Seit 61 Jahren kultiviert der Botanische Garten schon die Riesenseerose Victoria cruziana. Jetzt eröffnete das neue Gewächshaus, das sie beherbergt. „Victoria ist für die Gäste und uns Mitarbeiter einfach faszinierend“, sagt Michael Kraft. „Im August öffnen wir zu unseren Victoria-Nächten die Tore, um den Besuchern die Blüte zu zeigen. Victoria blüht nämlich nur zwei Nächte im Jahr – die erste Nacht weiß, die zweite rosa.“ Der Tag, an dem ich mit Michael Kraft verabredet bin, ist kein heißer oder schwüler. Doch im neuen Victoria-Gewächshaus ist das anders: Als ich es betrete, beschlagen meine Brillengläser sofort. Klar, hier herrschen stets tropische Bedingungen für Victoria.
Von der Erbse zum Zweimeterriesen
Als sich der Nebel auf meiner Brille lichtet, erblicke ich sie endlich: die Riesenseerose. Das hohe Gewächshaus umschließt das Wasserbecken mit seiner grünen Bewohnerin wie einen exotischen Schatz. „Früher konnte man um das Becken nicht herumgehen. Es war mir wichtig, dass es jetzt von allen Seiten zu bewundern ist“, erklärt Michael Kraft. Victorias Blätter thronen majestätisch auf dem Wasser. Besonders fällt mir der Rand auf, der hochsteht und die Blätter wie grüne Tabletts ausstehen lässt. Doch noch ist Victoria nicht ausgewachsen. „Wir säen sie jedes Jahr im April neu aus. Die Samen sind erbsengroß und wir ernten sie selber. Bis Anfang Oktober wächst die Seerose dann und erreicht einen Durchmesser von knapp zwei Metern. Ich finde das nach all den Jahren immer noch so spannend“, schwärmt Michael Kraft.
An den durchsichtigen Wänden des modernen Gewächshauses, das zwei Meter höher als das Alte ist, ranken sich zahlreiche Sprossen von Kletterpflanzen empor. Ich fühle mich wirklich wie in den Tropen. In einem kleineren Becken schwimmen Lotuspflanzen und zu meiner Faszination wächst hier auch Reis. Von Michael Kraft möchte ich wissen, wie es zu dem Neubau kam. „Das 1957 erbaute Haus war einfach verglast und nicht besonders energieeffizient. Das war einfach nicht mehr vertretbar.“ Außerdem war das Becken undicht. Deshalb wurde mit der Unterstützung von Spendern und Sponsoren 2017 mit dem Abriss und Neubau begonnen.
Im Winter ist alles anders
Was Besucher des Botanischen Gartens oft nicht mitbekommen: Das Becken des Victoria-Gewächshauses wird im Winter trockengelegt. „Dann wird das Haus auf 10 bis 12 Grad beheizt und beherbergt Gewächse, die den Winter draußen nicht überstehen würden.“ Victoria wächst dann im nächsten Frühjahr wieder neu und die Wintergäste bevölkern wieder das Freiluftgelände des Gartens.
Alles neu macht – der Förderverein
Mit seiner mitreißenden Begeisterung für Pflanzen bewegt Michael Kraft aktuell noch mehr im Botanischen Garten als den Neubau des Victoria-Gewächshauses. Immer in seinen Erzählungen dabei: Der Förderverein „Freunde des Braunschweiger Botanischen Gartens e. V.“, dessen 450 Mitglieder die Projekte finanziell unterstützt. „Das komplette Tropenhaus musste wegen der Bauarbeiten geräumt werden. Im Herbst konnten wir es neu einrichten.“ Doch damit nicht genug: „Dann haben wir gesagt, wenn wir schon mal dabei sind, machen wir das Kakteen- und Sukkulentenhaus auch noch neu.“
Rankende Baumwürger und Eis aus Blüten
Bei seiner Leidenschaft für den Botanischen Garten wundert es mich nicht, dass Michael Kraft gerne Führungen anbietet und – wie schon im Märchen – sein Wissen teilt. Das kommende Thema sind am 17. Juni Rankpflanzen. „Das ist sehr interessant, da freue ich mich schon drauf. Es gibt ja Linkswinder und Rechtswinder, Baumwürger und vieles mehr. Die Zaunrübe zum Beispiel ist sehr hartnäckig und berankt auch Zierpflanzen und kann sie schädigen.“ Danach geht es am 19. August um essbare Blüten. „Da wird die Bude voll, denke ich. Zum Beispiel gibt es die Taglilie, Hemerocallis, die nicht nur schön aussieht, sondern auch super schmeckt. Und aus Malvenblüten kann man tolles Eis machen.“ Bei den Themenführungen gibt Michael Kraft auch praktische Tipps, welche Pflanzen man Zuhause im Garten oder im Haus gut pflegen kann.
Michael Krafts Highlights im Botanischen Garten
Bevor ich mich verabschiede, frage ich Michael Kraft noch nach seinen Lieblingsattraktionen im Botanischen Garten. „Natürlich Victoria, dann das Tropengewächshaus und die fleischfressenden Pflanzen.“ Das Haus der Carnivoren, auch Insektivoren genannt, wird übrigens als nächstes mit der Unterstützung des Fördervereins neugestaltet. Doch nur auf drei Highlights kann Michael Kraft sich doch nicht beschränken: „Der Wasserfall ist auch toll … Ach, die komplette Anlage finde ich hammermäßig!“
Nachdem die Prinzessin die Zauberrose mit ihren eigenen Augen gesehen hatte, schwor sie: Der nächsten Blüte der Victoria würde sie persönlich beiwohnen. So wandelte sie von da an immerfort durch den Garten der Victoria, wo sie die wundersame Rose noch zahllose Male blühen sehen sollte.
Titelbild: Die schwimmende Zauberros Victoria hat ein neues Eigenheim. Foto: Marisol Glasserman/TU Braunschweig
Botanischer Garten der Technischen Universität Braunschweig
Humboldtstraße 1
38106 Braunschweig
Öffnungszeiten
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