Meine Großeltern zu besuchen, war für mich als Kind immer etwas Besonderes. Ich saß meist, während meine Oma kochte, auf der Eckbank am Küchentisch und habe von allem erzählt, was mir gerade auf dem Herzen lag. Von unfairen Lehrern, zickigen Mitschülerinnen, kleinen und großen Erfolgen beim Sport und in der Schule. Oma hat sich alles angehört und in den genau richtigen Momenten gelacht, mir zugestimmt oder empört die Hände zusammengeschlagen und gesagt: „Ja, das gibt es doch nicht!“ Und ganz nebenbei hat sie die weltweit leckersten Eierkuchen gebacken.
Mein Opa war meist etwas zurückhaltend, hatte ich aber eine mathematische Frage oder zeigte Interesse an seiner Hühnerzucht, konnte ich ihn aus der Reserve locken. Damals wie heute bin ich sehr gern bei meinen Großeltern, auch wenn wir uns nun natürlich nicht mehr so häufig sehen. Die beiden sind mir sehr wichtig und ich bin froh, dass ich sie habe.
Solch ein Glück hat aber nicht jeder. Manchmal wohnen die Großeltern zu weit weg, sind früh verstorben oder das Verhältnis zueinander ist nicht besonders gut. Für Familien, die das betrifft, gibt es in Braunschweig seit 2006 die Wunschgroßelternvermittlung. Hier werden Familien mit kleinen Kindern und Menschen ab 50 Jahren zusammengebracht.
Aktuell sind rund 50 Wunschgroßeltern im Einsatz, 70 bis 80 Familien warten noch auf eine Vermittlung. Rita Dippel, die Leiterin des Projekts im Mütterzentrum/MehrGenerationenHaus, stand mir Rede und Antwort zu meinen Fragen rund um die Wunschgroßeltern.
Die Menschen, die sich bei Rita Dippel als Wunschgroßeltern melden, suchen im Wesentlichen nach ihrer Erwerbstätigkeit eine neue Aufgabe. „Manche hatten ein aktives Berufsleben und haben keine Kinder und Enkelkinder. Bei anderen sind die Enkelkinder vielleicht schon groß oder leben nicht in der Nähe. Es gibt aber auch Situationen, in denen Familien zerstritten sind“, erklärt mir Rita Dippel. Ebenso sind die Familien, die sich bei der Wunschgroßelternvermittlung melden, vollkommen unterschiedlich. „Von Eltern, die durch das Jugendamt vermittelt werden über Alleinerziehende, die etwas Zeit gebrauchen können, bis Familien, die einfach Großeltern vermissen, gibt es jede Situation. Und jede Familie bringt ihre eigenen Erfordernisse und Ansprüche mit.“
Rita Dippel unterhält sich zunächst mit allen Eltern und Großeltern, die sich bei ihr melden und lädt dann Paarungen, die gut zusammen passen würden, zu einem ersten gemeinsamen Gespräch ein. Dieser Punkt ihrer Arbeit ist für sie etwas ganz Besonders. „Wenn ich merke, dass die Menschen gut zusammenpassen und das Gespräch fließt, ist das für mich ein Glücksmoment.“
Rita Dippel hat ein sehr gutes Händchen dafür, die richtigen Menschen zusammen zu bringen. Das bestätigt mir auch Heide Dohrin. Sie ist eine Wunschoma und seit Beginn des Projekts dabei. Wir sitzen gemeinsam auf einem gemütlichen Sofa im Mütterzentrum und sie erzählt mir, was sie als Wunschoma schon alles erlebt hat. Durch einen Zeitungsartikel ist sie auf die Wunschgroßelternvermittlung aufmerksam geworden. „Ich bin quasi eine der ersten Stunde. Frau Dippel schaut, wer zusammen passen könnte. Man muss ja mit den Vorstellungen der Erziehung auf einer Linie sein. Nach zwei bis drei Wochen hatte sie ein junges Ehepaar gefunden und wir fanden uns beim ersten Treffen sehr sympathisch. Die Mutter war aber hochschwanger und hatte nach der Geburt erst einmal Hilfe und da habe ich gesagt, ich hätte gern noch eine zweite Familie. Mit dieser bin ich heute noch verbunden. Wir sind so zusammengewachsen, da bin ich noch einmal Oma geworden“, erzählt sie lachend.
Heide Dohrin hat selbst Enkel, die allerdings in Holland leben. Sie ist alleinstehend und wollte während ihrer Rente gern für Kinder da sein. Die Wunschgroßelternvermittlung war für sie das richtige Projekt. Sie betreut aktuell drei Familien. Das ist natürlich nicht die Regel, passt aber zu der sympathischen und aktiven Frau, die mir gegenüber sitzt.
Die meisten Wunschgroßeltern betreuen nur eine Familie. Wie viel Zeit und Engagement man als Wunschoma oder Wunschopa aufwenden möchte, ist jedem selbst überlassen. Von Heide Dohrin erfahre ich, dass sie eines ihrer Wunschenkel, Emil, beispielsweise immer montags behütet, wenn dessen Mutter länger arbeiten muss. Bei der dritten Familie hilft sie manchmal am Wochenende aus, liest Geschichten vor und bringt die Kinder ins Bett, wenn die Eltern sich mit Freunden treffen wollen. „Es ist ja auch der Gedanke dieses Projekts, dass die jungen Eltern durch die Wunschgroßeltern eine Entlastung und die Kinder auch mit älteren Menschen Umgang haben“, erklärt sie. Zu ihrer zweiten Familie hat sie ein ganz besonderes Verhältnis. Hier ist sie ein- bis zweimal in der Woche zu Besuch. Dann wird abends noch ein Spiel gespielt oder die zwei Wunschenkelinnen dürfen Fernsehen. „Dann kuscheln sie mit mir und das genieße ich. Man bekommt eine Menge zurück.“ Heide Dohrin spricht mit einer ganz weichen Stimme. Die Kinder bedeuten ihr sehr viel, das spürt man bei jedem Satz.
Auf meine Frage, was die schönsten Erinnerungen an ihre Wunschenkel sind, weiß sie erst nicht, was sie sagen soll. Dann kommt ihr aber ein Gedanke nach dem anderen in den Sinn. Sie erzählt mir von einem Ausflug an die See und davon, wie sie einem der Enkel die Angst vor dem steinigen Ufer nahm. Wie sie mit einem Kind im Garten auf der Wiese lag und die Wolken beobachtet hat. Und von Emil, der vor einer Weile bei jeder Gelegenheit stolz behauptete „Ja, meine Oma kann das aber!“. Sie erzählt mir von Klavierauftritten und Schulaufführungen und davon, wie viel es ihr bedeutet, zu Geburtstagen und Einschulungen eingeladen zu werden.
Das Gespräch mit Heide Dohrin zeigt mir, welchen Mehrwert die Wunschgroßelternvermittlung beiden Seiten bietet. Sowohl den Kindern, die lernen, wie es ist, mit älteren Menschen umzugehen und neben den Eltern eine weitere Bezugsperson gewinnen, als auch den Großeltern, die dank der Kinder in Bewegung kommen und ihre Zeit nicht allein verbringen.
Zum Schluss hat mir Wunschoma Heide Dohrin noch verraten, welche Leitlinien sie sich für den Umgang mit den Kindern setzt: Liebe, Konsequenz und Achtung. Damit hat sie, wie ich finde, ziemlich auf den Punkt getroffen, worum es bei dem Projekt geht. Egal, ob man ein- bis zweimal die Woche mit einem Kind auf den Spielplatz gehen will oder Zeit hat, sein Wunschenkel jeden Morgen zum Kindergarten zu bringen. Die beiden Gespräche haben mir gezeigt, wie wertvoll es ist, Großeltern zu haben. Und so nehme ich mir für den nächsten Besuch bei meinen Großeltern fest vor, mich wieder auf die Eckbank zu setzen und zu erzählen, was ich im schönen Braunschweig so erlebe.
Informationen
Ansprechpartner: Rita Dippel
Telefon: 0531 89 54 50
Adresse: Mütterzentrum
Hugo-Luther-Str.60A
38118 Braunschweig
http://www.muetterzentrum-braunschweig.de/
(Artikelbild: Mütterzentrum Braunschweig e.V. / Wunschgroßelternvermittlung)
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