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Zukunfts-Wohnen auf 56 Quadratmetern

Letzte Woche fuhr ich zu einem Pressetermin der TU Braunschweig. „Einweihungsfeier für intelligentes Haus“ lautete der Betreff. Es sollte um sechs Wohnungen in einem vernetzten Haus gehen, ausgestattet mit modernster Gebäudetechnik. Auf meinem Weg stellte ich mir vor, was mich wohl vor Ort erwarten würde. Ich dachte an einen modernen Neubau, stilvoll geschnitten, mit moderner Ausstattung, vielen Glasflächen, Kameras und Fingerabdruck-Sensoren am Hauseingang, einem Kühlschrank, der von allein Lebensmittel nachbestellt und, und, und …

Umso verwunderter war ich, als sich das Gebäude an der Bochumer Straße 1 als unauffälliges 50er-Jahre Mehrfamilienhaus entpuppte. Auch von innen betrachtet, wirkten die Wohnungen auf den ersten Blick eben wie ganz normale Wohnungen. Weiße Wände, Laminatfußboden, Neben der Haustür eine Schaltfläche mit Party-Knopf. Moment, ein Party-Knopf? Beim näheren Hinsehen, fielen mir dann doch ein paar Dinge auf. Jeder Raum hatte beispielsweise eine Schaltfläche mit Temperaturanzeige. Kleinen LED-Spots, die sich an einer Leiste an der Zimmerdecke befanden, beleuchteten die Zimmer.

Vertreter der TU Braunschweig und der Nibelungen Wohnbau GmbH erklären, welche Technik sich in den vier Wänden um uns herum verbirgt. Etwa 100 Kleinstrechner sind, wenn auch kaum sichtbar, in jeder der sechs Wohnungen verbaut. Sie befinden sich beispielsweise in Lichtschaltern und verschiedenen Sensoren. Das Projekt ist Teil des Forschungsschwerpunktes „Stadt der Zukunft“ der TU Braunschweig. Und obwohl hier demnächst hauptsächlich junge Leute einziehen, die im Rahmen ihrer Abschlussarbeiten das System auf Herz und Nieren prüfen und weiterentwickeln werden, ist die Thematik besonders für Ältere Menschen interessant, die lieber in ihrer eigenen Wohnung leben möchten als in ein Altenheim oder Betreutes Wohnen zu ziehen.

Einweihungsfeier für intelligentes Haus

Projektleiter Dr. Harald Schrom erklärt die Technik hinter den intelligenten Wohnungen. Foto: TU Braunschweig

Daran hätte ich nun überhaupt nicht gedacht. Mir schwirren immer noch Bilder im Kopf, wie ich vom Sofa mit meinem Smartphone die Jalousien regle oder aus der Ferne checke, ob ich beim Verlassen der Wohnung auch wirklich die Kaffeemaschine ausgestellt habe. Und obwohl meine Oma technisch fit ist, WhatsApp-Nachrichten versendet und in Cafés die erste ist, die nach dem WLAN-Passwort fragt, frage ich mich, wie ihr die Technik in dem Gebäude im Alter helfen soll.

Das Zauberwort dafür heißt Ambient Assisted Living (kurz: AAL) oder auf Deutsch Altersgerechte Assistenzsysteme für ein selbstbestimmtes Leben. Der Begriff umfasst Methoden, Konzepte und Systeme, die ältere oder benachteiligte Menschen in ihrem Alltag unaufdringlich unterstützen. So können die hochsensiblen Bewegungssensoren in den Räumen beispielsweise Bewegungsprofile erstellen und merken, wenn sich die Person auffällig verhält, beispielsweise Wege in der Wohnung viel langsamer als gewohnt zurücklegt. Auch einen Sturz könnte das System registrieren. Was die Wohnungen machen soll, wenn sie merkt, dass etwas nicht stimmt, entscheiden die Mieter selbst. Zunächst ist die Technik in der Wohnung ein in sich geschlossenes System. Das bedeutet, wenn man nicht möchte, dass Daten die Wohnung verlassen, tun sie das auch nicht. Aber sie könnten. Gesicherte Gesundheitsdaten können so an den Arzt oder einen Pflegedienst übermittelt werden, der dann wiederum kurz vorbei schaut und sich vergewissert, dass mit dem Bewohner alles in Ordnung ist. Simpel und trotzdem genial ist eine weitere mögliche Funktion: Klingelt es an der Tür, fangen in einer Wohnung die Deckenlampen an zu blinken. Wer nicht gut hört, bekommt so trotzdem mit, dass jemand an der Tür steht. Tatsächlich ist die Technik in den Wohnung also viel mehr als eine nette Spielerei. Sie kann mit kleinen Hilfen das tägliche Leben unterstützen und sicherer gestalten. Optimaler Weise lernt die Wohnung dabei selbstständig, beispielsweise zu welchen Zeiten sie die Heizung regeln muss. Wer hier wohnt, muss deswegen kein Informatiker oder Elektriker und nicht einmal besonders technikbegeistert sein, um die Funktionen der Wohnung nutzen zu können.

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An einer Deckenleiste in jedem Raum, befinden sich LED-Spots zur Beleuchtung sowie unterschiedliche Sensoren. Foto: BSM

Verschiedene Experten erklären weitere Funktionalitäten der Wohnungen: Der Kreativität scheinen dabei keine Grenzen gesetzt zu sein. Von Schutz vor Einbruch, Feuer und Wasserschäden über das bereits angesprochene assistierende Wohnen bis hin zu Technologien für die Wartung, Energieeffizienz und ein intelligentes Stromnetz … Am Ende des Termins brummt mir der Kopf. Das ganze Projekt klingt wahnsinnig spannend und ich bin gespannt, wie die Studenten die Wohnungen nutzen werden.

Besonders sympathisch ist mir auch, dass die Wohnung ganz ohne Kameras und Mikrofone auskommt. Aller Daten werden über Sensoren erfasst. Hier wird also niemand gegen seinen Willen überwacht und ausspioniert. Und sparsam ist das System auch noch: Die gesamte installierte intelligente Gebäudetechnik verbraucht pro Wohnung nicht mehr Strom als eine Zimmerlampe.

Bleibt also nur noch eine Frage offen: Was hat es mit dem Party-Knopf auf sich? Jede Wohnung hat im Eingangsbereich eine Schaltfläche, über die ihr Bewohner beim Verlassen sagen kann, wie lange er weg bleibe. Also ob er beispielsweise gleich zur Arbeit geht oder nur kurz einkaufen. Auch wenn er abends eine Party feiern möchte, kann er das per Knopfdruck mitteilen. Das bedeutet dann für die Wohnung, dass sie nicht wie gewohnt in den Nacht-Modus geht, sondern noch etwas länger wach bleiben muss. Wirklich clever, diese Wohnung.

(Titelbild: Braunschweig Stadtmarketing GmbH)

3 Comments

  • 06.08.2019at19:39

    Die Wohngemeinschaft in dem Alter scheint eine rationale Lösung zu sein, um den Kindern zur Last nicht zu fallen. Mein Freund ist eben in solcher Lage, dass der Zeitdruck ihm wenig Möglichkeiten gibt, der Oma die würdige Pflege zu leisten. Manchmal wird ja recht schrecklich, dass die Eltern und Großeltern doch Zeit für die Pflege um uns gefunden haben, uns aber fällt es je weiter, desto schwieriger. Dies sind vielleicht die Folgen der Zivilisation, in der kein Platz für den Menschen selbst geblieben ist. Am Lebensabend zusammen und dazu noch betreut ist bestimmt ein vernünftiges Modell, gut zu wissen! Die Ausrüstung mit Sensoren kann bedeutend den Senioren den Alltag erleichtern. Interessante Infos für Nicolas!

  • Schmidt

    Antworten
    27.12.2017at09:52

    Im Hinblick auf die Kosten erscheint es mir wenig sinnvoll, ein Miethaus aus den 50er Jahren mit dieser Technik auszurüsten. Welche angemessene und wirtschaftlich vertretbare Miete soll dabei herauskommen? Und wie steht es um die Wartungskosten dieser Technik und die erhöhten Renovierungsaufwendungen. Es ergeben sich Zweifel, ob diese Technik menschengerecht ist und nicht letztlich passive Menschen hervorbringt, die sich auf Technik abstützen anstelle soziale Strukturen aufrechtzuerhalten.

  • Manorainjan

    Antworten
    25.11.2016at12:17

    Müsste es nicht heißen: „Systeme, die ältere oder behinderte Menschen in ihrem Alltag unaufdringlich unterstützen.“? Benachteiligte scheint mir eine unpassende Übersetzung aus dem Englischen von „handicapped“ zu sein. Harz IV-Empfänger sind auch „benachteiligt“, unterprivilegiert. Für die sind solche kostspieligen Unterstützungen sicher nicht entwickelt worden 😉

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