Mit Ben Willikens „Das letzte Abendmahl 4“ fing alles an. Der zeitgenössische Künstler hat die Vorlage Leonardo Da Vincis auf die räumliche Anordnung reduziert: keine Personen, keine Apostel, keine gedeckte Tafel und auch kein Jesus Christus. Die nüchterne Gestaltung wirkt klinisch-steril. Für Jochen Prüsse, Vorsitzender der Karin und Jochen Prüsse Stiftung der jakob-kemenate, war es Liebe auf den ersten Blick. Jedes Jahr am Gründonnerstag nimmt er das Bild zum Anlass, um die biblische Geschichte dahinter auf seine Art und Weise ins Heute zu übertragen.
Herr Prüsse, mit „Das letzte Abendmahl“ von Ben Willikens startete die jakob-kemenate 2010 eine Sammlung mit Werken, die das Sujet aus der Sicht der Gegenwartskunst beleuchten. Wie kommen Sie an neue Exponate?
Jochen Prüsse: Wir stellen jedem Künstler, der in der kemenate ausstellt, unsere kleine Sammlung vor und sagen dann: Mach doch mal! Wir geben weder das Format vor, noch die Art. Der Brauschweiger Bildhauer Magnus Kleine-Tebbe will beispielsweise etwas in Stein machen. Wir warten auch immer noch auf einen Beitrag von Günter Grass, das könnte auch eine Grafik werden. Der Schlingel hat sich aber noch nicht gerührt.
Am Gründonnerstag beschäftigen Sie sich immer wieder neu mit dem Werk von Williken. Haben Sie einen starken Glauben oder warum bewegt Sie diese biblische Geschichte so?
Jochen Prüsse: Meine Mutter bestand zwar darauf, dass ich in die Kirche gehe, aber ich bin in keinem gläubigen Haushalt groß geworden. Es geht auch um keine Heldengeschichte. Es geht nicht darum, das Leid und das Kreuz zu verherrlichen. Es geht darum, dass das Abendmahl eine Frage beantwortet: Was ist das Leben und was kommt nach dem Tod? Christus verabschiedet sich nämlich von seinen Jüngern mit den grandiosen Worten: Ich trinke ab jetzt keinen Wein mehr, es sei denn, mit euch zusammen bei meinem Vater. Die Botschaft: Wir sehen uns wieder. Das ist die Antwort auf unsere Angst. Es geht weiter! Das ist die schöne Osterbotschaft.
Und wie läuft der Abend bei Ihnen ab?
Jochen Prüsse: In jedem Fall sehr persönlich. Insgesamt haben wir im Raum in der jakob-kemenate 80 freie Plätze, die wir nach dem Windhundverfahren vergeben. Wer sich meldet, bekommt eine Karte und kann teilnehmen. Ich selbst lade elf Gäste, imaginäre Gäste wie die Furcht, die Liebe oder die Hoffnung ein, und stelle vor, wie diese plötzlich in das Bild kommen und am Tisch Platz nehmen. Das mache ich schon seit einigen Jahren mit immer wechselnden Gästen. In diesem Jahr sind das Vergeben und Verzeihen neu dabei.
Inwiefern brennt Ihnen das Thema „Vergeben und Vergessen“ unter den Nägeln, dass es den Wert hat, neben so großen Werten wie der Liebe Platz zu nehmen?
Jochen Prüsse: Wir verzeihen in unserer heutigen Gesellschaft ziemlich schnell, vergeben aber nicht. Verzeihen ist oberflächlich, Vergessen jedoch nicht. Bei passender Gelegenheit zieht man die Geschichte dann doch noch einmal hervor. Aber wenn ich vergebe, dann ist es weg, ist es getilgt, dann kann ich nicht noch einmal damit anfangen. Für mich gibt es ein äußeres Kriterium, das Vergeben von Verzeihen unterscheidet, nämlich dass bei der Vergebung oft Tränen fließen. Bei beiden. Es ist ja so, dass der, dem Unrecht getan wurde, auch eine Last trägt.
Wann haben Sie das letzte Mal jemandem vergeben?
Jochen Prüsse: Ich vergebe, seitdem mir das so bewusst ist, häufiger als es früher der Fall war. Ich hatte eine Situation, in der ich gerne um Vergebung gebeten hätte, es aber nicht mehr möglich war, weil der Mensch gestorben ist. Und dann habe ich eine neue Erfahrung gemacht, nämlich, dass mir stellvertretend jemand anderes vergeben muss, mein Schöpfer. Und dass der mir nur vergibt, wenn ich Frieden mit mir schließe, wenn ich mir selbst vergebe und sage: Mir tut es furchtbar leid, aber ich kann es nicht ändern. Ich habe da beispielsweise ein Foto von diesem Menschen. Das hat mich jahrelang zu Tränen gerührt. Heute kann ich lächeln, wenn ich es ansehe. Es ist dasselbe Bild, aber irgendetwas ist passiert. Das ist gigantisch.
Im September sind die Abendmahlbilder auch Teil einer neuen Ausstellung in der jakob-kemenate. Was erwartet die Besucher?
Jochen Prüsse: Die Ausstellung zeigt das Jesus-Bild im 20. und 21. Jahrhundert, wo man erwarten sollte, dass das eigentlich kein Thema mehr ist. Viele berühmte Künstler sind involviert, zum Beispiel Marc Chagall, Joseph Beuys, Otto Dix. Wenn sie mir irgendeinen Namen nennen, kann ich Ihnen sagen: Jawoll, der hat Christus gemalt. Die Ausstellung zeigt rund 140 Druckgrafiken von Arbeiten und 20 Werke aus der eigenen Sammlung in drei Kategorien: Kunst, Kommerz, also wie mit dem Christusnamen und den Bildern Geschäfte gemacht werden, und Karikatur. Uns ist es gelungen, ein Blatt mit einer Christus-Karikatur von einem der Grafiker zu kaufen, der bei dem Terroranschlag auf das Pariser Redaktionsbüro von Charlie Hebdo im Januar umgekommen ist.
Gibt es für Sie irgendein Kriterium, bei dem Sie ein Werk beispielsweise für die Abendmahl-Sammlung ablehnen würden?
Jochen Prüsse: Nein. Ich bin der Meinung, man kann über Kunst diskutieren, aber nicht abstimmen.
Das sehe ich genauso. Vielen Dank für das Interview.
Der Vortrag von Jochen Prüsse „Die bleibende Einladung – Das letzte Abendmahl“ am Gründonnerstag um 17 Uhr ist bereits ausgebucht. Wie er aber selbst sagt, kommt es durchaus vor, dass Menschen mit Karte nicht erscheinen. Bei Interesse also einfach spontan vorbeischauen. Frohe Ostern!
(Artikelbild: „Das Letzte Abendmahl 4“ von Ben Williken, Foto: jakob-kemenate)
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