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Umzingelt von wilden Tieren

Mein erster Besuch im Naturhistorischen Museum und ich bin ganz gespannt, was mich hier erwarten wird. Ich weiß, was Sie jetzt denken: Verbringt ihre Wochenenden im Harz und nennt sich Naturfreundin, war aber noch nie im Naturhistorischen Museum. Da passt doch was nicht. Und so ganz stimmt das auch nicht, denn einige Male habe ich das Museum schon besucht, aber immer zu bestimmten Ausstellungen. Ich habe mir die Dinos im Rebenpark angeschaut und die Osterküken im Haupthaus. Die Dauerausstellung aber, die betrete ich heute zum ersten Mal.

Mein Rundgang beginnt im neu gestalteten Erdgeschoss. Bewaffnet mit Zettel und Stift, um die interessantesten Dinge für Sie aufzuschreiben, betrete ich den ersten Ausstellungsraum: die Schatzkammer. Hier begrüßt mich zunächst Carl I., Herzog von Braunschweig und Lüneburg. 1754 eröffnete er das Herzogliche Kunst- und Naturalienkabinett, um der Bevölkerung einen Zugang zur Naturwissenschaft zu verschaffen. Ausgestellt waren in den ersten Jahren seltene Tiere, ausgestopft und präpariert, meist Schenkungen aus aller Welt. Der Herzog war bekannt dafür, dass er sich für Naturwissenschaften interessierte – als Gastgeschenk brachten ihm Reisende also statt Gold und Myrrhe einen Elefantenembryo mit. Oder zwei Skelette der europäischen Sumpfschildkröte, eine davon mit kunstvoll verziertem Panzer. Auch Strümpfe aus Muschelseide, das weltweit einzig bekannte Paar, befinden sich in der Schatzkammer. Ebenso ein ausgestopfter Färöer-Kolkrabe, der zwar zu den ältesten Präparaten der Sammlung gehört, dessen Gefieder aber immer noch glänzt.

Ich verlasse das 18. Jahrhundert und gehe in den nächsten Raum, der voller Tiere aus dem 19. Jahrhundert ist. In dieser Zeit verzeichnete das Museum die größten Zuwächse und das ist hier auch deutlich zu spüren. Überall befinden sich Tiere, rechts und links reihen sie sich an der Wand entlang, nebeneinander, übereinander, gegenüber. Spiegel an den kurzen Seiten des Raumes verstärken die Illusion, dass die Zahl der Tiere endlos ist. Mehr als 500 Präparate werden in den deckenhohen Glasvitrinen gezeigt, nach Arten sortiert, um natürliche Zusammenhänge besser verständlich zu machen. Der Braunschweiger Löwe (ein ausgestopfter Löwe, der so präpariert wurde, dass er wie der Löwe auf dem Burgplatz steht) und andere wilde Tiere neben Tieren aus der Heimat. An der Wand gegenüber sind Teile der größten Vogelsammlung Norddeutschlands (62.000 Exemplare umfasst die Sammlung) zu sehen, aber auch Fossilien von Meerestieren. Stundenlang könnte ich mir die unterschiedlichen Präparate anschauen, aber es zieht mich weiter zu den berühmten Braunschweiger Dioramen.

Das neue Schaumagazin im Erdgeschoss - alle Tiere auf einen Blick. Foto: Thomas Ammerpohl

Das neue Schaumagazin im Erdgeschoss – alle Tiere auf einen Blick. Foto: Thomas Ammerpohl

Im 20. Jahrhundert wurden heimische Tiere in Museen häufig in Dioramen gezeigt, wie zum Beispiel der letzte Luchs, der am 17. März 1818 im Harz getötet wurde. Anders als heute, war es im 19. Jahrhundert eine Ehre, gefährliche Tiere auszurotten. Heute sehen nicht nur Tierschützer das ganz anders – und so hat der Luchs sich glücklicherweise wieder im Harz angesiedelt.

Die Illusion ist fast perfekt: Im Biber-Diorama erkennt man kaum, wo der Vordergrund auf- und der Hintergrund anfängt. Foto: Peter Sierigk

Die Illusion ist fast perfekt: Im Biber-Diorama erkennt man kaum, wo der Vordergrund auf- und der Hintergrund anfängt. Foto: Peter Sierigk

Im Diorama im Naturhistorischen Museum ist der Harzer Luchs zu bestaunen, der 1818 starb. Um ihn herum ist eine Landschaft aus natürlichem Pflanzenmaterial aufgebaut, die dem Harz nachempfunden ist. Das Hintergrundgemälde – mit Blick auf den Brocken – vermittelt den Eindruck, das Diorama sei mehrere Meter tief, dabei ist es nicht tiefer als 1,5 Meter. Andere Dioramen zeigen Hirsche und Dachse, Kolkraben und Wölfe, aber auch hierzulande ausgestorbene Arten wie einen Elch und ein Wisent. Ein Diorama zeigt das Braunschweiger Rieselfeld, das im Frühjahr und Herbst von Zugvögeln auf ihrer Wanderschaft besucht wird.

Neben den Dioramen ist der neue Entdeckersaal entstanden. Spielerisch kann man hier Spuren lesen lernen, bekommt erklärt, wie sich Tiere tarnen und in der 13 Meter langen Landschaftsvitrine entdecken, wie das Leben oberhalb und unterhalb der Erde aussieht.

Im 1. Obergeschoss findet sich ein lebender Bienenstock, den der frühere Museumsleiter Otto von Frisch als Reminiszenz an seinen Vater bauen ließ. Karl von Frisch wurde 1973 mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin für seine Entdeckungen der Bienentanzsprache geehrt. Daneben finden sich hier die Insektensammlung und der Fossiliensaal, in dem ein geologisches Landschaftsmodell der Region Braunschweig zu bewundern ist. Auf Knopfdruck fahren unterschiedliche Gesteinsschichten hoch. Das finde ich ziemlich cool und sehr informativ.

Eine Etage höher, im 2. Obergeschoss, befindet sich der Lichtsaal mit Höhlenbären, Moschusochsen und Mammuts aus der Eiszeit. Die Geschichte der in Salzgitter-Lebenstedt gefundenen Neandertaler wird ebenso nacherzählt, wie die tragische Ausrottung der Seekuh, die schon 20 Jahre nach ihrer Entdeckung von den Menschen vernichtet wurde. Weltweit gibt es nur wenige erhaltene Exemplare, ein sehr gut erhaltenes Skelett hängt über den Köpfen der Besucher. Mein persönliches Highlight: Michel aus Hondelage, ein Ichtyosaurierskelett, das mit Teilen eines weiteren Saurierskelettes 2011 bei Grabungen gefunden wurde. Ein Fischsaurier in Hondelage? Möglich deshalb, weil Braunschweig vor 200 Millionen Jahren überflutet war.

Der Dino sieht zwar friedlich aus, es wird aber angenommen, dass er mit dem langen Schwanz seine Gegner getötet hat. Foto: Marek Kruszewski

Der Dino sieht zwar friedlich aus, es wird aber angenommen, dass er mit dem langen Schwanz seine Gegner getötet hat. Foto: Marek Kruszewski

Von Michel geht es gleich weiter in den Dinosaal, wo der Braunschweiger „Spinophorosaurus nigerensis“ zu sehen ist. Der Saurier wurde auf Expeditionen in der Republik Niger zwischen 2004 und 2008 entdeckt, von Mitarbeitern des Naturhistorischen Museums. Im Dinosaal sind freilich nicht die echten Knochen des Sauriers aufgebaut, die würden mit ihren über 20 Tonnen Gewicht das Gebäude zum Einsturz bringen. Zu sehen ist eine Rekonstruktion der Saurierknochen, zusammengebaut zu einem Skelett des stacheltragenden Langhalssauriers. Die echten Knochen werden gerade wissenschaftlich untersucht, um so Rückschlüsse auf die jüngst entdeckte Saurier-Art zu ziehen.

Meine letzte Station im Naturhistorischen Museum ist das Aquarium. Lebende Tiere im Museum? Wie passt das denn zusammen? Die Geschichte des Hauses verrät, dass schon Herzog Carl I. lebende Tiere hielt, um sie zu beobachten. Und das tue ich nun auch, setze mich vor die Aquarien und lasse die vielen Eindrücke in meinem Kopf zur Ruhe kommen. Schön war der Besuch, es gab viel zu entdecken und so viel zu lernen, dass ich bestimmt ein zweites und drittes Mal herkommen werde, bis ich alle Informationen aufgenommen habe.

Informationen

Staatliches Naturhistorisches Museum Braunschweig
Pockelsstraße 10 | 38106 Braunschweig

Öffnungszeiten:
Mo geschlossen
Di, Do – So 9 – 17 Uhr
Mi 9 – 19 Uhr

Eintritt:
Erwachsene 5 €
ermäßigt 3 €
Kinder (6 – 14 Jahre) 2 €
Freier Eintritt für Kinder unter 6 Jahren, alle Lerngruppen (Schulklassen/Kindergärten etc., für jeweils 5 Kinder ist 1 Begleitperson ebenfalls frei), eine Begleitperson von darauf angewiesenen Schwerbehinderten und Mitgliedern der Gesellschaft für Naturkunde.

(Titelbild:  Thomas Ammerpohl)

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