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„The point is poetry“

Trotz absolviertem Germanistikstudium und der damit verbundenen Liebe zur Sprache bin ich nie auf die Idee gekommen jemals einen Poetry Slam zu besuchen. Das kann ich nicht auf mir sitzen lassen. Fix mal im Internet recherchiert: Kommenden Freitag 20 Uhr, großes Poetry Slam-Best of im Roten Saal – da kann ich! Um nicht ganz unvorbereitet dort aufzukreuzen, habe ich mich vorab mit Patrick Schmitz, einem der Organisatoren, getroffen.

Patrick, ich habe gelesen, Du bist seit über 14 Jahren in die regionale Poetry Slam-Szene involviert. Wie war Dein Einstieg?

Patrick Schmitz: Ich wurde damals von einem Bekannten gefragt, ob ich nicht Lust hätte, mitzumachen. Meine Schulzeit war noch nicht allzu lang her, daher hatte ich auf Literatur und Lesen bis dato keine Lust, dachte ich dabei doch zuerst an die zwanghaften Gedichtinterpretationen im Deutschunterricht. Als ich schließlich auf meinem ersten Slam war, merkte ich, was für coole Sachen man mit Texten machen kann. Nach und nach habe ich mehr Aufgaben übernommen und heute bin ich Slam Master.

Was verbirgt sich hinter dem Begriff Slam Master?

Patrick: Slam Master sind die Veranstalter der Slams, wobei sich die Rolle unterschiedlich definiert. Um die regionale Szene im Raum Braunschweig, Wolfsburg und Helmstedt kümmere ich mich zusammen mit Dominik Bartels. Dominik moderiert und steht auch selbst auf der Bühne. Ich hingegen kümmere mich um das Organisatorische wie Termine und Abrechnung und mache das Artwork. Uns verbindet der Kontakt zu den Slammern. Einen Organisator für die gesamte deutsche Szene gibt es nicht.

Auch das Artwork der Flyer übernimmt Patrick Schmitz. Satz und Layout: pottzblitz.com, Foto: Sarah Bosetti

Auch das Artwork der Flyer übernimmt Patrick Schmitz. Satz und Layout: pottzblitz.com, Foto: Sarah Bosetti

Was sind die Grundsätze eines Slams beziehungsweise der Szene?

Patrick: Es gibt vier Hauptregeln: 1. Du verfasst den Text selbst. 2. Singen ist verboten beziehungsweise lediglich zitierend erlaubt. 3. Es gibt ein Zeitlimit, das von den Slam Mastern festgesetzt wird, in Braunschweig haben wir fünf Minuten. 4. Du kommst so auf die Bühne, wie du dich im Alltag anziehst, sich zu verkleiden ist verboten. Bei Sonderveranstaltungen kann es die eine oder andere Abweichung geben. Vorher muss man sich anmelden oder gebucht werden, um teilzunehmen. Offene Abende führen wir nicht mehr durch. Ansonsten gibt es thematisch keine Vorgaben. Die Szene untereinander geht sehr respektvoll miteinander um. Möchte Hannover einen Slam in Wolfenbüttel machen, fragt der Slam Master uns als örtlichen Veranstalter vorher, ob das in Ordnung ist.

Wie verläuft ein typischer Slam-Abend?

Patrick: Das ist unterschiedlich, denn es gibt zwei verschiedene Arten: Wettbewerbe und Galas. Wettbewerbe üben auf Zuschauer gelegentlich einen höheren Reiz aus, bergen aber auch die Gefahr, dass auf den Sieg hin getextet wird. Genau das jedoch geht gegen das Slammer-Motto: „The points are not the point. The point is poetry.“ Nicht das Erreichen der Höchstpunktzahl steht im Vordergrund, sondern die Dichtung, die Texte selbst. In der Regel ist es so, dass ein lustiger Text eher gewinnt als ein lyrisch tiefsinniger. Weltweit sind wir übrigens das einzige Land, das Prosa erlaubt, daher ist Poetry Slam nirgends so groß wie bei uns.

Wer steht da auf der Bühne?

Slammerin Jessy James LaFleur ist eine der echten Lyrikerinnen. Foto: Andreas Reiffer

Slammerin Jessy James LaFleur ist eine der echten Lyrikerinnen. Foto: Andreas Reiffer

Patrick: Zum einen gibt es die Lyriker, die gerne rhythmisch arbeiten und auswendig vortragen. Oft sind das Germanistikstudenten, die ganz genau wissen, was sie da tun. Auf der anderen Seite sind die Prosa-Vortragenden, die mit Skript auf die Bühne gehen. Vom Alter her geht es etwa bei den Jugendlichen los, unser ältester Slammer in Braunschweig ist 74. Es gibt auch professionelle Slammer, die davon leben können. Darüber hinaus gibt es Querverbindungen zur Pop- oder Hiphop-Szene, sowohl bei den Slams als auch allgemein. Letztens hat sich zum Beispiel MC Fitti nach einer Location bei uns erkundigt. Nichtsdestotrotz ist die Szene null abgehoben und sehr entspannt. Das Publikum ist allerdings mindestens genauso wichtig.

Inwiefern?

Patrick: Die Zuschauer entscheiden, wer gewinnt. Kurz vor Beginn der Veranstaltung bekommen einige Zuschauer Benotungskarten von 0 (Flop) bis 6 (Top) und bewerten die Vorträge. Der Rest des Publikums reagiert jedoch auf unfaire Bewertungen gnadenlos mit Buhen. Außerdem gehen Slammer oft während des Vortragens auf die Regungen des Publikums ein, ein bisschen Improvisation ist immer dabei.

Welche Rolle spielen Finanzierung und Professionalität?

Patrick: Das kommt auf die Veranstaltung an. In Braunschweig finanzieren wir uns über die Eintrittsgelder. Davon zahlen wir Hotel, Anfahrt und, wenn es geht, auch Gagen. Sponsoren haben wir so gut wie nie, obwohl wir dem sehr offen gegenüber stehen. Um die Professionalität zu fördern, bieten wir auf Wettbewerben manchmal Workshops, zum Beispiel in Steuerrecht oder Social Media, für die Slammer an. Poetry Slams können auch ein Sprungbrett sein. Immer wieder beobachtete ich, wie gute Slammer in die Comedy oder ins Kabarett abwandern, da sie damit mehr Geld verdienen.

Lachendes Publikum bei einem Slam. Foto: Andreas Reiffer

Freude im Publikum bei einem Slam. Foto: Andreas Reiffer

Wie ist deine Prognose für die Zukunft des Poetry Slams?

Patrick: Ich denke, das ganze Format wird sich weiter etablieren und regelmäßiger auch im Fernsehen Thema sein. Schon heute finden wir dort Slammer, die Hälfte der Comedy Shows arbeiten bereits damit, das weiß man nur noch nicht. Dann wird es zwei Strömungen geben: Zum einen kleine Bühnen zum Experimentieren und größere zum Geldverdienen. Wir werden ab 2015 einmal monatlich eine Veranstaltung haben. Jeden ungeraden Monat einen Slam und jeden geraden eine Lesebühne. Ein persönlicher Wunsch von mir ist ein deutschlandweites Slam-Magazin.

Zum Schluss wünsche ich mir eine Anekdote. Hast Du eine in petto?

Patrick: Da gibt es sicher einige. Besonders kurios waren die frühen Zeiten, als die Slammer noch bei einem zu Hause und nicht im Hotel übernachtet haben. Bei manchen musste man aufpassen, wenn man Bier da hatte. Einmal war ein Heavy Metal Slammer bei mir und hat meine sämtlichen Vorräte gefunden und getrunken. Im Endeffekt waren wir gegen fünf im Bett. Ich musste am nächsten Tag früh raus und dachte mir, wie komme ich bloß durch den Tag. Und er stand auf und war das blühende Leben.

Vielen Dank für das Interview und bis Freitag!

Die 14. „Best of Poetry Slam“-Gala am 17. Oktober im Roten Saal ist leider schon ausverkauft. Der nächste „echte“ Slam, bei dem das Publikum über Gewinner und Verlierer entscheidet, findet am 5. Dezember 2014 im LOT-Theater statt. Es empfiehlt sich, rechtzeitig Karten zu reservieren. Der Beginn des Vorverkaufs wird auf unserer Facebook-Seite bekannt gegeben.

(Artikelbild: Andreas Reiffer)

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