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Reformation von unten: wie Braunschweig evangelisch wurde

Wie ein großes Schiff thront die Aegidienkirche oberhalb der Auguststraße. Foto: BSM

2017 kämpft unsere Frauennationalelf um den nächsten EM-Titel, in 2017 wird der 19. Deutsche Bundestag gewählt, Hamburg hat endlich seine Elbphilharmonie eröffnet, die Gemeine Fichte ist der Baum des Jahres und die Reformation der Kirche durch Martin Luther jährt sich zum 500. Mal. Ganz schön viel los.

Während also die Nationalmannschaft der Frauen auf einen neuen Titel hofft, die Hamburger ersten Konzerten in ihrem neuen Konzerthaus lauschen und wir alle im September ein Kreuz auf dem Stimmzettel machen, hat sich vor 500 Jahren ein Mann entschieden, die Geschichte zu verändern. Und wir sind heute dazu aufgerufen, uns Luthers Taten und der europaweiten Reformation zu erinnern. Schließlich hat die Reformation nicht nur Änderungen im Kirchenwesen mit sich gebracht, sondern auch für Gesellschaft und Kultur, von denen wir bis heute profitieren.

Auch in Braunschweig haben einige für das Voranschreiten der Reformation wichtige Ereignisse stattgefunden. Gerade mit Blick auf die Reformation in Norddeutschland und Skandinavien lohnt sich eine nähere Auseinandersetzung mit diesem Thema. Deshalb mache ich mich gemeinsam mit Stadtführerin Ilse Geiler auf die Spuren der Reformation in Braunschweig.

Revolutionäre Gedanken im altehrwürdigen Benediktinerkloster

Los geht die Stadtführung Die Reformation in Braunschweig  an der Kirche St. Aegidien. Bei strahlendem Sonnenschein stehen wir vor dem mächtigen Gebäude, das während der Reformation ein Benediktinerkloster war und heute die katholische Hauptkirche Braunschweigs ist. Ilse Geiler, eine zierliche, aber kernige Frau, steigt sogleich in das Thema ein.

Eindrucksvolle Kulisse: Durch die großen Tore gelangt man in den Innenhof von St. Aegidien. Foto: BSM

Eindrucksvolle Kulisse: Durch die großen Tore gelangt man in den Innenhof von St. Aegidien. Foto: BSM

Die Reformation in Braunschweig begann hier, im damaligen Benediktinerkloster St. Aegidien. Wegbereiter war Gottschalk Kruse, der schon mit neun Jahren von seinen Eltern im Kloster untergebracht wurde. Für Kruse war das Kloster ein Ort der Seelennot und der Bedrängnis, konnte er doch dem strengen Ablauf des Mönchlebens wenig abgewinnen. Zum Studium ging Kruse alsdann nach Erfurt, wo auch Martin Luther seine Ausbildung erhielt. Mit humanistischen Themen im Kopf kehrte er nach Braunschweig zurück und bildete sich durch die Lutherschrift „Von der Freiheit eines Christmenschen“ weiter. Der Vorsitzende des Aegidienklosters, Abt Koch, unterstützte Kruse in seinen aufgeklärten Thesen und schickte ihn 1520 erneut zum Studium, diesmal nach Wittenberg, wo er zum ersten Mal auf Luther traf.

Zurück in Braunschweig hielt Kruse in St. Aegidien erste Predigten in Luthers Sinn. Das sprach sich in der Stadt schnell herum und immer mehr Menschen kamen, um Kruses Vorlesungen zu lauschen. Durch die Entwicklung des Buchdrucks und Unterstützer des evangelischen Glaubens aus allen Teilstädten Braunschweigs, fanden sich durch alle Gesellschaftsschichten hinweg immer mehr Menschen, die Luthers Ideen zugetan waren. Nicht zuletzt aber auch, weil viele Bürger vor 500 Jahren schon hoch gebildet waren – schließlich handelten sie mit Handelspartnern im internationalen Hansebund.

Selbständige Frauen in schweren Zeiten

Von St. Aegidien machen wir uns auf den Weg ins Magniviertel. In der Straße Ölschlägern bleiben wir vor einem der vielen schönen Fachwerkhäuser stehen. Bei dem Haus, so verrät es eine kunstvoll in einen Balken geschnitzte Inschrift, handelt es sich um ein ehemaliges Beginen-Haus. Beginen waren unverheiratete, selbstständige Frauen im Mittelalter, die nicht in ein Kloster eintreten wollten, aber in einer christlichen Gemeinschaft lebten. Ein Leben als Begine ermöglichte es einer Frau, die sozial auferlegten Rollen wie Ehe und Mutterschaft zu verweigern. Weil sich mit der Reformation auch die Ansicht Luthers, dass Frauen ausschließlich zu Hausfrauen und Müttern geschaffen seien, immer weiter verbreitete, wurden die meisten Beginenkonvente aufgelöst.

Vor dem ehemaligen Beginen-Haus haben wir etwas über unabhängige Frauen sowie die Balkeninschrift erfahren. Foto: BSM

Vor dem ehemaligen Beginen-Haus haben wir etwas über unabhängige Frauen sowie die Balkeninschrift erfahren. Foto: BSM

Merke: Veränderungen sind nicht immer für alle nur gut oder schlecht. Luthers Frauenbild ist für die emanzipierte Frau der Moderne nicht gerade zeitgemäß, aber dass er sich für eine Verbreitung der Bildung in der Gesellschaft und für die Gleichberechtigung von Geistlichen und Menschen der bürgerlichen Schicht eingesetzt hat, kommt uns bis heute zu Gute.

Eine besondere Taufe in der Magni-Kirche

Der nächste Stopp ist gleich nebenan, vor der Kirche St. Magni. Ilse Geiler erzählt, dass diese Kirche im zweiten Weltkrieg den meisten Schaden davongetragen hat. Ihr Altar war größtenteils zerstört, doch nach dem Krieg wurde der kunstvoll verzierte Altarbogen als Durchgang zum Taufbecken wieder aufgebaut. Während wir um das Taufbecken Platz nehmen, erklärt unsere Stadtführerin, dass wir auf das Original-Taufbecken aus dem Jahr 1426 blicken. Eine wichtige Rolle in der Reformationsbewegung spielte das Taufbecken 1527, als die Prädikanten Heinrich Lampe und Johann Oldendorp die erste Taufe in deutscher Sprache vornahmen. Später führten Lampe und Oldendorp in St. Magni erstmals ein Abendmahl mit Brot und Wein durch – für die damalige Zeit war das unerhört.

Das Altstadtrathaus und die Kirchenordnung Bugenhagens

Von St. Magni aus machen wir uns auf den Weg Richtung Altstadtrathaus. Wir passieren Burgplatz und Altstadtmarkt und betreten das Altstadtrathaus, wo wir den Balkon des Altstadtrathauses, sozusagen den Geburtsort der braunschweigischen Reformation, betreten.

Vom Balkon des Altstadtrathauses hat Johannes Bugenhagen 1528 seine Braunschweiger Kirchenordnung verkündet. Foto: BSM

Vom Balkon des Altstadtrathauses hat Johannes Bugenhagen 1528 seine Braunschweiger Kirchenordnung verkündet. Foto: BSM

Ilse Geiler erzählt, dass Johannes Bugenhagen am 5. September 1528 von diesem Balkon aus die von ihm verfasste Kirchenordnung verkündet hatte. Bugenhagen, der Stadtpfarrer von Wittenberg und ein enger Vertrauter Luthers war , kam auf Bitten des Braunschweiger Stadtrates im Jahr 1528 zu Ostern nach Braunschweig. In nur wenigen Monaten verfasste Bugenhagen eine Kirchenordnung, in der er die Grundlagen des christlichen Glaubens erläuterte, die richtungsweisend für die Entwicklung des evangelischen Glaubens bis 1671 waren. So schrieb er unter anderem nieder, dass alle Menschen lesen können und Sonntage gefeiert werden sollen. Auch über den Schulalltag wird in der Kirchenordnung verfügt. Langsam wird für mich immer deutlicher, warum die Reformation einen Einfluss auf so viele Lebensbereiche genommen hat.

Auf dem Balkon des Altstadtrathauses nehmen wir die Perspektive Bugenhagens ein und stellen uns die Menschenmenge auf dem Altstadtmarkt vor. Foto: BSM

Auf dem Balkon des Altstadtrathauses nehmen wir die Perspektive Bugenhagens ein und stellen uns die Menschenmenge auf dem Altstadtmarkt vor. Foto: BSM

Ich muss zugeben, dass die Reformation ein spannendes Thema ist, egal ob man gläubig ist oder nicht. Sie hat unser aller Leben bis heute geprägt. Wer wissen will, was Luther, Bugenhagen und Co. uns noch vermacht haben, kann mit Freunden oder Familie die Stadtführung buchen. Denn egal, wie lange man schon in Braunschweig lebt, man lernt nie aus.

Informationen:

Stadtführung: Reformation in Braunschweig
Stadtführerin: Ilse Geiler
Buchbar über:
Touristinfo
Kleine Burg 14
38100 Braunschweig
Tel.: (05 31) 4 70-20 40
www.braunschweig.de/tourismus/

Montag – Freitag 10:00 – 18:30 Uhr
Samstag 10:00 – 16:00 Uhr

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