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Oma auf dem Mars und Bratwurst in der Hand

Heißer Schlagabtausch: Beim Regionalwettbewerb Nord des Science Slam im Wissenschaftsjahr 2014 erfuhren die Zuschauer unter dem Motto „Digitale Gesellschaft“, was Oma Ida mit dem Mars-Rover gemeinsam hat und warum so viele Politiker am Bratwurstessen scheitern. Das Kulturblog38 war für uns unterwegs beim Science Slam im Haus der Wissenschaft.

Das Thermometer zeigte knapp 30° Celsius, als das Haus der Wissenschaft am Freitagabend wieder zum beliebten Science Slam lud. Die hochsommerlichen Temperaturen bei tropischer Luftfeuchtigkeit taten dem Besucheransturm jedoch keinen Abbruch: Bereits um 19:20 Uhr, also 40 Minuten vor Beginn der Veranstaltung, waren die 240 Zuschauerplätze der Aula im dritten Stock restlos belegt. Von mangelnder Begeisterung für die Wissenschaft kann also keine Rede sein. Nur die Wissenschaftsgemeinde selbst übte sich diesmal ein wenig in Zurückhaltung, und so fanden sich nur vier statt der sonst üblichen fünf „Slammer“ zum Wettkampf ein. Was sich jedoch als Glück im Unglück erwies, denn dadurch fiel die Veranstaltung etwas kürzer aus und war mit den schweißtreibenden klimatischen Rahmenbedingungen besser vereinbar.

Roland KremerDer Form halber sei an dieser Stelle noch einmal erklärt, was ein Science Slam überhaupt ist: Beim Science Slam treten Nachwuchswissenschaftler mit zehnminütigen Kurzvorträgen über ihre eigene Forschung gegeneinander an. Ziel ist es, die Zuschauer nicht nur zu informieren, sondern auch möglichst gut zu unterhalten. Das Publikum vergibt anschließend durch das Hochhalten von Stimmkarten Punkte auf einer Skala von 1-6. Wer die meisten Punkte erhält, gewinnt und darf die Siegertrophäe, das blaue Gehirn, mit nach Hause nehmen. Zusätzlich heißt es für den Erst- und Zweitplatzierten diesmal: Ab nach Berlin zum großen Bundesfinale! Und natürlich wurde auch dieser Science Slam wie immer gewohnt souverän von einem bestens aufgelegten Roland Kremer moderiert. Zur Erleichterung aller Anwesenden – nach seinem kleinen Ausfall beim letzten Mal – auch wieder in seinem rosafarbenen Slam-Hemd.

Den Auftakt machte Michael Stengel vom Institut für Computergraphik der TU Braunschweig. Unter dem Titel „Do-it-yourself customized hardware“ plädierte der Diplomingenieur und findige Bastler für mehr Eigeninitiative bei der Anpassung moderner Gebrauchsgegenstände an die individuellen Bedürfnisse. Ziel solle es sein, möglichst kostengünstig eigene Hardware-Ideen umzusetzen, beispielsweise mit 3D-Druckern oder Mini-Computern. Vom ausgedruckten High-Heel für die Freundin bis zum computergesteuerten Handschuh, der das Klavierspielen lehrt, sei der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Er selbst ist an seinem Institut zudem an der Entwicklung einer 3D-Brille zum Eintauchen in virtuelle Welten beteiligt. Stengels interessanter Vortrag krankte leider an zwei Stellen: Einerseits war er deutlich zu lang und überzog das Zeitlimit um knapp fünf Minuten. Zum anderen war er schlicht ein wenig zu trocken. Für einen herkömmlichen Uni-Vortrag hervorragend, für Science-Slam-Verhältnisse jedoch etwas zu gewöhnlich. Das Publikum bewertete ihn daher auch nur mit 34 von 72 möglichen Punkten.

Ist euch auch so warm? Sehen wir also zu, dass wir das schnell durchkriegen!“, leitete Dr. Felix Büsching vom Institut für Betriebssysteme und Rechnerverbund der TU Braunschweig seinen Vortrag ein und gab damit gleich einen Vorgeschmack auf die rasante Dynamik der nun folgenden zehn Minuten. Anhand einer Alterspyramide verdeutlichte er das bekannte Grundproblem: Die Gesellschaft vergreist. Und da nicht zu erwarten sei, dass eine Steigerung der Sexualaktivität in absehbarer Zeit genügend Abhilfe verschaffen werde, forsche er zum Thema „Kommunikationsprotokolle für altersgerechte Lebenswelten“. Das bedeutet: Sensoren und Computerchips sollen Senioren das Überleben im Alltag einfacher machen, durch Überwachung der Vitalparameter, Ganganalyse oder Sturzerkennung. Homer Simpson und Fußballer Arjen Robben dienten Büsching dabei als sprichwörtliches „Fall“beispiel. Doch derlei Funksignale müssen auch trotz Unterbrechungen noch beim Empfänger ankommen, wenn dieser mal außer Reichweiter des WLANs ist. Und dort setzt Büschings Arbeit an. Zur Veranschaulichung zog er anschließend eine auf den ersten Blick absurd anmutende Parallele: Den Mars-Rover „Curiosity“ und … seine Oma Ida. Denn die sogenannte „store-carry-forward“-Methode, die bei der NASA dafür sorgt, dass die Funksignale zwischen Erde und Mars auch dann noch intakt ankommen, wenn die Verbindung auf direktem Wege (z.B. aufgrund der Erdrotation) zeitweise nicht möglich ist, kann in abgewandelter Form auch den Rentner-Alltag vereinfachen und werde derzeit in Braunschweig weiterentwickelt. Büschings Vortrag war gleichsam gehalt- wie humorvoll, und das würdigte auch das Publikum: 63 Punkte!

Als nächstes schritt Constantin Alexander zur Tat, seines Zeichens freier Journalist. „Anwendungsorientierte Analyse volkstümlicher Lebensmittel in der politischen Berichterstattung, oder: Politiker, die in Bratwürste beißen“, so der kryptische Titel seines Slam-Beitrags. Er widmete sich der Frage, wie Lebensmittel in der digitalen Gesellschaft von Politik und Medien inszeniert werden. Denn wer kennt sie nicht, die Bilder von hochrangigen Politikern, die im Wahlkampf beherzt in eine Bratwurst – das wohl deutscheste aller Lebensmittel – beißen, um sich volksnah zu geben? Das Problem: Beim Halten und Verzehren des heißen und fettigen Phallussymbols sieht kaum jemand gut aus. Es gelte also, die richtige Technik zu beherrschen, wolle man sich nicht den Wahlkampf ruinieren. Zum Beispiel ein Brötchen als Haltehilfe oder Senf an der Würstchenunterseite zur Zungenkühlung. Dazu noch „Serviette unter die Wurst und Mund leicht geöffnet, damit Luft reinkommt“, rät der Journalist. Und ein angriffslustiger Blick symbolisiere Tatkraft und runde die Zeremonie ab.

Merkel reisst WurstZur Veranschaulichung zeigte Alexander eine Bilderstrecke mit Angela Merkel beim Wurstverzehr: Während sie auf frühen Aufnahmen noch mädchenhaft und unbeholfen mit dem gefüllten Schweinedarm hantierte, wirkt sie auf aktuellen Bratwurst-Fotos wie ein Raubtier, das gerade seine Beute erlegt. Vielleicht das stille Geheimnis ihrer langjährigen Kanzlerschaft? Constantin Alexanders humorvoller und mit zahlreichen Praxisbeispielen gespickter Vortrag sorgte jedenfalls für viele Lacher im Publikum und wurde mit 55 Punkten belohnt.

Die Luft in der Aula wurde immer dicker, in den Zuschauerrängen mehrten sich die offenen Münder, Schweißperlen auf den Stirnen und als Fächer genutzte Infoblätter. Und so störte sich niemand daran, als mit Tim Gailus schon der vierte und zugleich auch letzte Teilnehmer die Bühne enterte. Der Medienpädagoge aus Hannover trat mit seiner Forschung unter dem Titel „Advergame Wars Episode 3 – Die Rache der Werbewirkung“ an. „Advergames“ sind Online-Werbespiele und der neuste Trend in der Werbeindustrie. Sie verknüpfen interaktive Unterhaltung mit Werbebotschaften und sollen so schon die Jüngsten unterschwellig für ein Produkt begeistern und dauerhaft binden. Sie seien die zurzeit „trickreichste und hinterhältigste Form der Werbung“ und würden aufgrund der fehlenden Trennung zwischen Spiel und Werbung zu Recht auch als das „trojanische Pferd“ der Werbeindustrie bezeichnet. Das Ungewöhnliche an Gailus Referat war seine Vortragsform: Mit gefühlten 300 Wörtern pro Sekunde fegte er über die Zuhörer hinweg wie ein entfesselter Infotainment-Tornado. Dabei persiflierte er mit absichtlich übertriebener Gestik und Mimik die berüchtigten Verkäufer im Spätprogramm der Homeshopping-Sender. Das honorierten auch die Zuschauer: Die intelligente Mischung aus Medienkritik und Entertainment erhielt 69 Punkte. Somit ging Tim Gailus als verdienter Sieger aus dem Regionalwettbewerb Nord des Science Slam hervor!

Gruppe

Moderator Roland Kremer, die Slammer Michael Stengel, Constantin Alexander, Tim Gailus, Felix Büsching und Organisatorin Ann-Kathrin Meyerhof (v.l.n.r.)

So endete ein ungewöhnlicher Science Slam, bei dem das Publikum genauso am Schwitzen, Ächzen und Stöhnen war, wie die Wissenschaftler im grellen Licht der Scheinwerfer. Wenn jedoch trotz dieser klimatischen Bedingungen die Veranstaltung restlos ausverkauft und die Stimmung hervorragend ist, scheint das Haus der Wissenschaft wohl nach wie vor alles richtig zu machen. Jetzt heißt es Daumendrücken für Slam-Champion Tim Gailus und unseren zweitplatzierten Braunschweiger Vertreter Felix Büsching am 1. Dezember beim Bundesfinale im Berliner FritzClub!

Text und Fotos: Stephen Dietl

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