Suchbegriff eingeben:

Ein Teil von uns – Neue Ausstellung zur jüdischen Geschichte

Blick in den Ausstellungsraum.

Nach mehrjähriger Umbaupause eröffnet das Braunschweigische Museum am Standort Hinter Aegiden wieder mit einer spektakulären Dauerausstellung. Die renommierten Kuratorinnen Dr. Felicitas Heimann-Jelinek aus Wien und Dr. Lea Weik aus Braunschweig haben jahrelang an der Judaica-Sammlung des Museums geforscht und zur nun neu konzipierten Ausstellung „Ein Teil von uns. Deutsch-jüdische Geschichte in Niedersachsen“ zusammengestellt. Sie gibt anhand von interessanten Exponaten Einblicke in die wechselvolle niedersächsisch-jüdische Geschichte. Der Ausstellungstitel „Ein Teil von uns“ ist bewusst gewählt. Schließlich gehörten Jüd:innen seit dem Mittelalter zur niedersächsischen Gesellschaft – ob im Miteinander, Neben- oder Gegeneinander.

Eine Vitrine mit Chanukka-Leuchter, Tefillin-Beutel, Tallit Katan und andere Judaica.
Diese Gegenstände wurden von Sophie Margarete Kutner dem Museum übergeben. Mit der Präsentation wird ihrem Wunsch entsprochen, sie gemeinsam auszustellen. Foto: BSM

Was erwartet Sie in der Ausstellung?

Herzstück der Ausstellung ist die barocke Inneneinrichtung der Hornburger Synagoge. Sie ist prominent im Zentrum des Ausstellungsraums eingerichtet und zieht nicht nur alle Blicke auf sich, als Besucher:in geht man unweigerlich auf sie zu steht dann mitten in ihr – unter dem Baldachin, der oben an der Decke befestigt ist, neben dem Podest, hinter einem die Eingangstür und Empore, wo früher die Frauen saßen. Alles ist aus Holz gearbeitet, in einem dunklen grün gestrichen mit goldenen Akzenten und vielen Verzierungen. Die Inneneinrichtung ist ganz so wieder aufgestellt worden, wie sie damals in der Hornburger Synagoge stand.

Als sich die Hornburger jüdische Gemeinde in den 1920er Jahren auflöste, erkannte der Direktor des damaligen Vaterländischen Museums, Karl Steinacker, die kulturhistorische Bedeutung, dokumentierte vor Ort die Inneneinrichtung in zahlreichen Bildern und brachte sie schließlich nach Braunschweig. Hier wurde sie erstmals 1924 in der Aegidienkirche gezeigt. Diese Ausstellung wiederum zog viele Schenkungen von Braunschweiger Jüd:innen nach sich. Sie sahen in dem Museum einen Ort für die Bewahrung ihrer Geschichte. So entstand nach und nach die herausragende Judaica-Sammlung im norddeutschen Raum, die nicht nur den jüdisch-religiösen Kult, sondern auch die deutsche und niedersächsische Kultur zeigt.

In dem renovierten, stimmungsvoll beleuchteten Ausstellungsraum zieht die Inneneinrichtung die Besucher:innen gleich in ihren Bann. Von ihr ausgehend teilt sich der Raum in kleine Räume für erzählerische Sequenzen, in denen die Geschichte der jüdischen Gemeinden in Braunschweig und der Region nacherzählt werden. Mal allgemein, oft anhand der verzweigten Lebensgeschichten ehemaliger Braunschweiger Bürger:innen. Alle Räume stehen in Bezug zur Synagoge, denn ohne sie wäre die Ausstellung nicht denkbar.

Die Geschichte der Juden in Braunschweig und der Region

Nachdem im Mittelalter erstmals die in Braunschweig lebenden Jüd:innen vertrieben wurden, ließ sich Alexander David 1707 wieder in der Stadt nieder. Er war Hofagent von Herzog Anton Ulrich und erhielt von ihm Schutz gegen die offen Anfeindungen der Bürger:innen und Gilden. Er setzte sich für viele andere Jüd:innen ein, die sich durch seine Fürsprache in der Region niederlassen konnten. Es sollte aber noch mehr als 100 Jahre vergehen, bis unter Bismarck die Gleichbehandlung von Jud:innen verordnet wurde: Erst ab 1869 sind sie gleichberechtigte Bürger:innen in der Gesellschaft.

Die jüdische Gemeinde in Braunschweig war im 19. Jahrhundert geprägt von Rabbiner Levi Herzfeld, der das Reformjudentum vorantrieb. Riten und Traditionen wurden hinterfragt, allerdings trat die Frage zwischen Reform und Tradition aufgrund des wachsenden Antisemitismus bald in den Hintergrund. In der Weimarer Republik, spätestens aber nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden Jüd:innen verunglimpft, von der Gemeinschaft ausgeschlossen, verfolgt, mit Berufsverboten belegt und schließlich – wenn sie nicht fliehen konnten – deportiert und in der Schoa ermordet. Vergessen, dass viele von ihnen als Soldaten im ersten Weltkrieg für das deutsche Reich gekämpft hatten. Trotz der antisemitischen Anfeindungen (über die Jahrhunderte hinweg) fühlten sie sich als deutsche Bürger:innen. Die Exponate aus dieser Zeit, die nach 1945 in die Judaica-Sammlung hinzugekommen sind, sind vor diesem Hintergrund besonders ergreifend.

Eine bestickte Fahne in einer Vitrine. Unten ist ein Spiegel angebracht, so dass man die Rückseite sehen kann.
Die Fahne der Salomon-Schule Wolfenbüttel: Auf der Rückseite ist der Reichsadler gestickt, ein Zeichen, dass die Schule sich zum Deutschen Reich zugehörig fühlte. Foto: BSM

Die Ausstellung nimmt dann Bezug auf die Wiederbegründung jüdischen Lebens in Braunschweig. Nur 27 Braunschweiger Jüd:innen kamen nach dem Krieg wieder in die Löwenstadt und ließen sich hier nieder. Andere Überlebende wollten nicht zurück nach Deutschland. Eindrucksvoll das Zitat von Gisela Uhlmann: „Noch immer bedeutet Deutschland bzw. Braunschweig Angst und braune Stiefel“. Die Ausstellung erzählt aber auch von dem Juristen Fritz Bauer, der als Remigrant in Braunschweig Generalstaatsanwalt am Oberlandesgericht wurde. Er wollte zurückkommen, um in Deutschland aktiv am Aufbau eines demokratischen Staates mitzuwirken. 1956 ging er von Braunschweig nach Frankfurt, wo er als hessischer Generalstaatsanwalt die Auschwitz-Prozesse auf den Weg brachte.

Zum Ende des Rundgangs kommen die Besucher:innen in der Gegenwart an. In einem stummen Video werden Bilder von rechtsextremistischen und antisemitischen Aufklebern und Schmierereien im öffentlichen Raum aneinandergereiht. Eine eindrückliche Erinnerung daran, dass die Geschichte jüdischer Niedersachsen noch nicht zu Ende erzählt ist und es an uns liegt, sie zu formen. Auch heute ist die jüdische Gemeinde Teil von uns.

Informationen

Braunschweigisches Landesmuseum, Standort Hinter Aegidien
Hinter Aegidien, 38100 Braunschweig
www.3landesmuseen-braunschweig.de
Öffnungszeiten:
Di. – So. von 11:00 bis 18:00 Uhr
Führungen sonntags um 11:30 Uhr

Keine Kommentare

Hinterlassen Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind markiert *. Bitte beachten Sie unsere Netiquette und unsere Datenschutzerklärung.