Vielleicht habe ich „Zurück in die Zukunft“ einmal zu oft gesehen, aber in die Kategorie „Mein größter Wunsch, wenn es technisch möglich wäre“ fällt definitiv: eine Zeitmaschine. Allein der Gedanke daran, die Beatles live auf der Bühne zu sehen oder durch die Innenstadt Braunschweigs um 1900 zu gehen, löst bei mir schon Freude aus. Bis es soweit ist, bleibt mir nichts anderes übrig, als mir Kostümfilme anzuschauen und in Museen angesichts antiker Ausstellungsstücke in anderen Zeiten zu schwelgen.
Oder man besucht eben Veranstaltungen mit historischem Hintergrund wie beispielsweise den Mittelalterlichen Markt. Bereits seit 29 Jahren findet er regelmäßig auf dem Burgplatz statt, was die letzten 28 Jahre irgendwie an mir vorbeigegangen ist. Also hin da, jetzt erst recht. Um das Spektakel von Anfang an richtig mitzubekommen, entscheide ich mich, der Eröffnungszeremonie beizuwohnen. Samstagmittag mache ich mich auf den Weg zum Burgplatz und entdecke bereits von Weitem die ersten kostümierten Gestalten. Das Tolle ist nämlich, dass sich die Akteure Gewänder nach historischem Vorbild anlegen: Handwerker, Tavernenleute, Fußvolk, Musikanten und sogar Bürgermeisterin Friederike Harlfinger hat sich stilecht in Schale geworfen. Ohne sie läuft bei dem Eröffnungszug über den ganzen Markt nichts. Begleitet von Sackpfeife und Trommel zieht mit ihr ein kleiner Tross und dem Marktvogt Pusterpalk zu den wichtigsten Ständen und sammelt die Handwerksmeister ein. Pusterpalk bittet die Herren der Zünfte, ihr bestes Werk mitzunehmen, das bekommt die Bürgermeisterin später als Zeichen der Anerkennung geschenkt. Wie ich schließen sich spontan einige Braunschweiger Marktbesucher an bis wir an der Bühne vor der Burg Dankwarderode halten. Der Burgplatz ist und bleibt für mich die schönste historische Kulisse in der Löwenstadt.Nicht nur optisch, auch verbal wird’s mittelalterlich. Da wird man von der Tavernenfrau auch schon mal frech von der Seite angeschnackt, witzig sind auch die kleinen Neckereien untereinander. Hierarchisch wird die Kette strikt eingehalten: Lehrlinge haben gar nichts zu sagen, alle kuschen vor Vogt und Bürgermeisterin (erinnert mich an die alte Theaterregel: Die anderen spielen den König auf der Bühne). Flächendeckendes Gekicher löst ein spontaner Kniefall des Bäckermeisters zu Füßen der Bürgermeisterin aus, um derselbigen die scheinbar leicht dreckigen Schuhe zu polieren.
Alle haben richtig Spaß und ich sehe auffällig wenig Smartphones im Einsatz. Mittlerweile sollte die 30 Grad-Marke geknackt sein, ich brauche dringend eine Erfrischung. Traubenschorle aus gekühlten Tontassen – perfekt! Nach wenigen Minütchen im Schatten des Doms schlendere ich Richtung Puppentheater Fadenreych. Im Vorbeigehen erhaschen Augen und Ohren ein wenig vom Auftritt der bekannten Mittelalterband Fabula. Obwohl eher nicht meine Musik, kann ich mich dem Rhythmus nicht so ganz entziehen. Vor der Bühne sehe ich Hände nach oben gehen und langes Haar kreisförmig durch die Luft wirbeln. Ich muss kurz schmunzeln – weil ich mich so freue, dass die anderen sich freuen.
Als ich das Puppentheater erreiche, ist die Geschichte schon in vollem Gange. Leicht geduckt setzte ich mich zwischen die Kinder auf den Boden. Der böse Zauberer ist gerade dabei – unter großem Protest des Publikums – jemanden in einen Stein zu verwandeln, was ihm leider auch gelingt. Mit Handpuppentheater ist es wie mit den Simpsons: Es sieht aus, als sei es für Kinder gemacht, aber am lautesten lachen die Erwachsenen. Es folgen unzählige Versuche den Zauberer auszutricksen (verflixt, wie kommt man nur an seinen Zauberstab?), am Ende siegt natürlich das Gute. Mein Magenknurren ruft mich schließlich zur Räson und an die nächste Speisebude. Ich entscheide mich für ein deftiges Knoblauchbrot mit Gemüse und meinen heutigen Lieblingsplatz an der kühlenden Dommauer. Ach, sogar ein Karussell gibt’s hier. Aus Holz und natürlich ohne elektrischen Motor. Stattdessen muss Vati ordentlich kurbeln, damit die Umdrehungen pro Minute stimmen und der Sohnemann Fahrt aufnimmt. Selber-machen ist ein Kernthema auf dem Pfingstmarkt. Verschiedene Stände bieten handgemachte Produkte an, zum Beispiel aus Seife, Holz, Eisen und Stein. Kinder können sogar eigenhändig das eine oder andere Handwerk ausprobieren.
Inwiefern die Umsetzung des Mittelalters originalitätsgetreu ist oder nicht, sei dahin gestellt, darum geht es bei der Veranstaltung aber auch nicht. Die altertümlich klingende Sprache der Akteure als Mittelhochdeutsch zu verifizieren, schaffe ich ad hoc auch nicht, dafür ist mein letzter Mediävistikkurs leider zu lange her. Wichtig ist, dass Besucher wie Teilnehmer Spaß haben, sich gemeinsam in eine andere Welt zu begeben und das im Rahmen des Möglichen ausleben. Was ich gesehen habe, ist ehrliche Leidenschaft und Begeisterung. Mir geht das Herz auf, wenn ich sehe, dass gerade Kinder, die sonst nur auf den Smartphones der Eltern herumspielen, total fasziniert beim Puppenspiel mit einfacher Kulisse mitfiebern und dem edlen Retter beide Daumen drücken, dass sein Vorhaben gelingt. Ich fühlte mich durchaus in eine andere Zeit versetzt, sei es ins Mittelalter oder in eine analoge Parallelwelt.
(Artikelbild: BSM)
Fritz Braunschweig
Schade, dass offenbar niemand aus der großen Mittelalter-Szene in Braunschweig hier etwas angemerkt hat. Der Markt hat bekanntlich sehr wenig mit dem realen Mittelalter zu tun, sondern ist ein Spectaculum mit viel Spaß für alle Altersstufen. Wenn hier von der Bekleidung geschrieben wird, so muss allerdings angemerkt werden, dass wir auf den Fotos ein sehr buntes Gemisch von Epochen sehen können, von vielleicht 1200 bis Larp/Fantasy ist alles vertreten. Und die Darsteller haben offenbar auch wenig Ahnung vom damaligen Leben – so geht die Frau eben nicht, wie heute, auf der rechten Seite des Mannes. Aber, wie gesagt: Spaß geht hier vor Historie! Nur sollte man es auch einmal anmerken.