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Langsam wird‘s leckerer

Schon länger wollte ich mich dem Thema Slow Food widmen, am vergangenen Sonntag hatte ich endlich den perfekten Anlass dafür gefunden: Der 5. Genussmarkt im Kennelbad! Petrus muss ein Slow Food-Fan sein, denke ich mir und lasse Schal und Jacke getrost zu Hause liegen. Wochenend‘ und Sonnenschein plus lecker Essbares und Informationen aus erster Hand – eine gute Kombination.

Meine erste Begegnung mit dem Nackthafer. (Foto: BSM)

Meine erste Begegnung mit dem Nackthafer. (Foto: BSM)

Der Verein Slow Food Deutschland legt folgende Kriterien für ein Slow Food-Produkt fest: gut, sauber, fair. Die Lebensmittel werden ohne künstliche Zusatz- und Konservierungsstoffe und Hilfsmittel hergestellt. Die Produktion darf die Pflanze, das Tier, den Boden und den Produzenten so wenig wie möglich belasten oder schädigen. Produzenten und Händler müssen für ihre Arbeit fair entlohnt werden. Organisiert ist der Verein in sogenannten Convivien (von lateinisch convivium: Tischgesellschaft, Tafelrunde), regionalen Gruppen, die den Slow Food-Gedanken in einem bestimmten Umkreis verbreiten und pflegen, in unserem Fall das Convivium Braunschweiger Land. Soweit zur Theorie.
Ich löse gerade ein Ticket zum Eintrittspreis von einem Euro, da höre ich hinter mir ein langgezogenes „Hallo Annikaaaaaa“. Zwei alte Bekannte stehen plötzlich hinter mir und entpuppen sich überraschend als langjährige Slow Food-Interessierte. Sie erzählen mir, dass einer der Vorreiter des hiesigen Conviviums, Hans Helmut Oestmann vor drei Monaten verstorben sei und dass der Genussmarkt in diesem Jahr zum zweiten Mal im Kennelbad und nicht am Dowesee stattfindet. Und sie stellen die gewagte These auf: Für Vegetarier wie mich sei das hier nix. Na, das wollen wir doch mal sehen, ein kurzer Plausch und ab durch die Mitte an den ersten Stand. Der hat mit Essen nichts zu tun, sondern beschäftigt sich mit der Produktion von Seifen. Eine Manufaktur aus Heidelberg stellt in Handarbeit wahrhafte Unikate aus natürlichen Zutaten, ohne Einsatz von Tierfett, Palmöl und künstlichen Farbstoffen her (Palmöl steht in der Kritik, da zu seiner Gewinnung Plantagen angebaut werden, für die Regenwaldflächen zerstört werden). Mein persönlicher Favorit ist die Sorte Kaffee, die, wie mir ein Schild neben den Inhaltsstoffen verrät, nicht nur hartnäckige Verschmutzung löst, sondern die Hände auch peelt und von Küchengerüchen wie Zwiebel und Knoblauch befreit.

So bunt und alles Tomate. (Foto: BSM)

So bunt und alles Tomate. (Foto: BSM)

Der Großteil der Stände beschäftigt sich jedoch mit dem leiblichen Wohl und vor allem der Ernährung. Jeder Stand, und ist er noch so klein, klärt auf und gibt zusätzliche Informationen über die Hintergründe zu dem, was man so probieren kann. Das fängt an mit Erläuterungen, wie produziert wird und geht bis zur Aufklärung über Themen, die in den Medien eher ein Schattendasein fristen. So erfahre ich beim Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt (kurz: VEN e. V.) Details über die fortschreitende Monopolisierung auf dem Saatgutmarkt. Hybride Hochleistungssorten, an maschinelle Ernteverfahren und bestimmte Pestizide angepasst, verdrängen die Vielfalt. Vor mir liegen unzählige verschiedene Tomatensorten mit exotischen Namen wie „Sibirisches Horn“, „Zahnrad“, „Kremser Perle“ und „Gestreifte Flasche“ und die sind nicht mal alle rot! Wer mag, kann direkt vor Ort ein Samentütchen mit der neu auserkorenen Lieblingssorte käuflich erwerben und die Verbreitung der Vielfalt von zu Hause aus unterstützen. Selber Gärtnern steht auch bei der Solidarischen Landwirtschaft „SoLaWi“ Dahlum im Vordergrund. Mitglieder zahlen einen Jahresbeitrag und erhalten dafür wöchentlich Ernteanteile von biologisch-dynamisch erzeugtem Obst und Gemüse nach demeter-Richtlinien verlinken. Im Mittelpunkt stehen dabei nicht die Profitmaximierung, sondern das Fortbestehen des Hofes und ein angemessener Lebensunterhalt für die Produzenten. Kann man die Ware nicht selbst abholen, gibt es zur Zeit fünf Verteil- und Abholstationen in Braunschweig. Regional, saisonal und biologisch – die Vorgehensweise gefällt mir.

(Foto: BSM)

(Foto: BSM)

Immer noch steht die Aussage meiner Bekannten im Raum, für Vegetarier gäbe es hier kein richtiges Angebot. Dem kann ich nicht so ganz zustimmen. Zugegeben – auf dem Gelände dominiert der Geruch von Wildgrill und Ziegenbratwurstbude, aber auch der eine oder andere Käseduft streicht mir um die Nase. Apropos Ziege: das Trendtier schlechthin auf dem Slow Food-Markt. Nicht nur Wurst, Käse (lecker: Ziegenfrischkäse mit Dattel und Vanille-Pfeffer), und Quark, auch Eis aus Ziegenmilch wird hier angeboten. Aus meiner veganen Phase ist mir das Micky & Molly – Cafè (mit integriertem Katzenmuseum – Doppelcheck) bereits ein Begriff. Sie sind hier ebenfalls mit ihrem Wagen vertreten und beweisen, dass vegane Ernährung nicht bedeutet, eintönig zu essen oder gar zu hungern.

Vegan, natürlich und gesund: Fruchtleder. (Foto: BSM)

Vegan, natürlich und gesund: Fruchtleder. (Foto: BSM)

Jetzt möchte ich unbedingt noch etwas Neues ausprobieren. Ich lasse meinen Blick schweifen und entdecke: Fruchtleder, eine Süßigkeit aus Fruchtmus. Ich entscheide mich für die Sorte Banane mit Chiasamen. Es schmeckt ähnlich wie Trockenobst, sättigt super schnell und ist gesund: ohne Industriezucker, Gelantine, Farb-, Geschmacks- und Konservierungsstoffe. Als gelegentlicher Snack geeignet, die zartschmelzende Schokolade wird es mir jedoch nicht ersetzen …

Wer jetzt denkt, lediglich eine bestimmte Zielgruppe treibe sich hier herum, liegt falsch. Das Publikum ist bunt gemischt, jung, alt, mit Strickpulli oder im Anzug – Slow Food scheint in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Das äußere Erscheinungsbild spielt aber keine Rolle, es geht um die Sache. Ich habe den Eindruck, die Leute haben Lust sich zu informieren und trotzdem die Fähigkeit, zu genießen. In der Tat wird beim Slow Food nicht der mahnende Zeigefinger zum Verzicht erhoben, sondern der Mehrwert beim Verzehren, der Genuss, betont. Und wer hat’s erfunden? Natürlich die Italiener.

Termin zum Vormerken: Am 28. November findet zum 6. Mal das Braunschweiger Braunkohl Bankett statt. Gemeinsam mit der Bürgerstiftung lädt das Slow Food Convivium Braunschweiger Land ein, den echten Altmärker Braunkohl und die Queen-Birne zu kosten. Weitere Informationen zu Ablauf, Kosten und Anmeldung gibt es bei der Geschäftsstelle der Bürgerstiftung Braunschweig per E-Mail info@buergerstiftung-braunschweig.de oder per Telefon (05 31) 48 03 98 39.

(Artikelbild: Astrid Oberthuer)

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