Schon beim ersten Schritt über die Türschwelle fühle ich mich wohl im kabinett24. Das hat vermutlich die gleichen Gründe wie mein Faible für Buffets: Man kann sich von einer Auswahl überraschen lassen. Von allem gibt es etwas und alles kann man probieren. So auch in diesem kleinen Laden. Entdecken, ausprobieren, was zu einem passt, und Inspirationen einholen, wenn eine Möbelumräumaktion alleine nicht den gewünschten Wohlfühleffekt daheim auslöst. Der Laden ist übersichtlich und bietet dennoch viele Ecken zum Stöbern. Drei rechteckige Räume sind über eine kleine Treppe miteinander verbunden, eine Fensterfront bietet direkten Blick auf das Geschehen der Heinrichstraße. Freunde der strikten Warentrennung mögen hier verzweifeln, ich aber mag es, wenn Kaffeetassen aus Porzellan neben einem Regal voller Schals und verschnörkelten Teelichthaltern stehen. Farben und Interieur gehen in Richtung skandinavisches Design – viel Holz, klassisch, ein bisschen verspielt mit gesetzten Akzenten in bunt. Kollektionen weichen hier Einzelstücken – da kann es schon mal passieren, dass es die Tasse, die sich eine Freundin letztens gekauft hat und in die man sich anschließend selbst verliebt hat, beim nächsten Besuch nicht mehr gibt. Bewegung im Sortiment ist Inhaberin Femmie Tollkiens oberste Priorität. Anders als große Ketten kann sie flexibler auf Kundenwünsche und eigene Ideen eingehen. Was nicht gefällt, fliegt wieder raus.
Wir sitzen auf zwei Holzstühlen mit einem guten Überblick auf Laden und Straßengeschehen. Um uns herum Regale voller Farbtöpfe und eine Spüle mit Pinseln – hier wird gelegentlich auch gewerkelt. Femmie Tollkiens Mitarbeiterin und Freundin Julia steht uns gegenüber und packt neue Gürtel aus. Es fühlt sich eher wie ein Plausch unter guten Bekannten an als ein berufliches geführtes Interview. Femmie Tollkien erzählt mir von ihren Anfängen. Sie ist gebürtige Niederländerin und gelernte Floristin. Vor über 20 Jahren kam sie nach Deutschland und hat das Blumenhaus Burggärtchen aufgebaut, danach führte sie einen Blumenladen am Hagenmarkt, den sie verkaufte, als ihr Sohn auf die Welt kam. Seit dem 1. Februar 2010 lässt Femmie Tollkien ihr Gespür für Farben, Formen und Materialien in das kabinett24 fließen. Die meisten Artikel kommen aus ihrer Heimat von kleinen Firmen und Einzelhändlern, mit denen sie sich regelmäßig austauscht. Die Sortimentspalette bewegt sich zwischen Dekorationen, Schmuck, Pflanzen, Textilien und kleinen Möbelstücken, die sie zum Teil auf Flohmärkten entdeckt und anschließend selbst aufarbeitet.
Für Do-it-youself-Fans, die gerne einen alten Einrichtungsgegenstand aufhübschen möchten, hat Femmie Tollkien einen besonderen Tipp: Kreidefarbe. Dieser umweltfreundliche Anstrich auf Wasserbasis mit Kreideanteil ist geruchsarm, atmungsaktiv, feuchtigkeitsregulierend und laut Femmie Tollkien extrem leicht zu verarbeiten. „Die Kreidefarbe ist nahezu auf allen Materialen anwendbar. Man kann damit Stein, Beton, Papier, Pappe und natürlich Holz, sogar lackiertes, damit anstreichen. Selbst der Ungeübteste kann viele Effekte damit zaubern“, erzählt sie mir. Für jeden, der mehr über den Umgang erfahren will, bietet sie regelmäßig Workshops und Infoabende an. Wer dem Pinselschwingen nichts abgewinnen kann, erhält vielleicht in einem anderen Seminar kreative Inspiration, zum Beispiel beim Gießen von Betonschalen oder beim Kränzebinden.
Sich mit Femmie Tollkien zu unterhalten, heißt viel zu lachen, aber auch mal über das Leben zu philosophieren. Von vielen Kunden kennt sie die Lebensgeschichte, bei freudigen Ereignissen freut sie sich mit. Genau das ist es vermutlich, was die Kunden an ihr schätzen. Familiäre Atmosphäre herrscht auch am „Langen Donnerstag“, mittlerweile eine feste Institution im kabinett24, jeweils am ersten Donnerstag des Monats. Die Inhaberin zeigt hier, dass sie sich nicht nur als Verkäuferin, sondern auch als Gastgeberin versteht: Berufstätige oder andere Menschen, die es zu den üblichen Öffnungszeiten nicht schaffen, finden sich zusammen, tauschen sich bei Prosecco und Keksen aus, im Sommer wird gegrillt. „Jeder ,Lange Donnerstag‘ ist anders, es ist nie vorauszusehen, wer vorbeischaut. Es gibt aber auch ganz treue Kunden, wie zum Beispiel eine Truppe älterer Damen, die mit ihren Yogamatten unter dem Arm nach ihrer Sporteinheit immer bei uns einkehren.“ Das klingt vielversprechend und ich gehe innerlich schon mal die nächsten Donnerstage in meinem Kalender durch.
Nach dem Interview sehe ich mich noch ein wenig um. Eine Kollegin hatte mich bereits im Vorfeld scherzhaft gewarnt: „Wenn du ins kabinett24 gehst, lass‘ bloß dein Portemonnaie hier.“ In der Tat fällt mir ein Amulett ins Auge und ich kann gar nicht anders als es zu erwerben. Dann gibt es die nächsten Tage einfach ein paar Coffee-to-go weniger.
Information
Heinrichstraße 24
38106 Braunschweig
Öffnungszeiten: Di. bis Fr. 10 – 18 Uhr, Sa. 9 – 18 Uhr, Mo. geschlossen
Jeden ersten Donnerstag im Monat empfängt Femmie Tollkien ihre Kunden am „Langen Donnerstag“ bis 21 Uhr.
(Artikelfoto: BSM)
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