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ÖPNV der Zukunft – Aber bitte barrierefrei!

In unserer Wissenschaftsserie berichtet Vera Neumann über das aim4it-Projekt des DLR. Sie arbeitet als Referentin am DLR-Institut für Verkehrssystemtechnik.

Im DLR forschen wir tagtäglich in nationalen und internationalen Projekten. Wer jetzt allerdings denkt, dass wir uns nur mit Marsmissionen, Raumsonden und Flugzeugen beschäftigen, der irrt! An unserem Institut für Verkehrssystemtechnik in Braunschweig wird das Thema Mobilität ganz groß geschrieben. Neben dem Bahnverkehr der Zukunft, hochautomatisierten Autos und Fahrerassistenzsystemen beschäftigen wir uns auch mit dem öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Wie werden wir in Zukunft in den Städten mobil sein? Welche Anforderungen muss das Verkehrssystem der Stadt von morgen erfüllen? Und: Wie können wir in ihrer Mobilität eingeschränkte oder gehörlose Fahrgäste bei der Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel sinnvoll unterstützen?

aim4it – barrierefrei und fair
Foto: DLR

Foto: DLR

Die öffentlichen Verkehrsmittel sollen – wie es der Name schon sagt – öffentlich und damit für jeden zugänglich sein. Die Realität sieht leider etwas anders aus: Oftmals sind die Umsteigezeiten für Rollstuhlfahrer und Eltern mit Kinderwagen zu kurz bemessen und die vorhandenen Informationssysteme sind für gehörlose Fahrgäste nur unzureichend nutzbar. Bis 2022 schreibt das Personenbeförderungsgesetz in Deutschland eine „vollständige Barrierefreiheit“ beim ÖPNV vor. Dies erfordert den Abbau baulicher und informationstechnischer Barrieren in öffentlichen Verkehrssystemen. In dem Projekt aim4it entwickeln unsere Wissenschaftler nun eine Lösung für  dieses Problem. Das Ziel: Das öffentliche Transportsystem soll allen Gruppen der Gesellschaft zugänglich sein. Eine ganzheitliche und barrierefreie Nutzung der Fahrgastinformationen für alle Personen soll geschaffen werden.

Ein animierter Avatar informiert

Smartphones sind aus der Reiseplanung heutzutage nicht mehr wegzudenken. Viele Menschen verwenden Reiseassistenzanwendungen und versenden hierüber Routenanfragen für Reiseketten „von Tür zu Tür“ an die zentralen Fahrplanauskunftssysteme. Deswegen entwickeln unsere Wissenschaftler in Zusammenarbeit mit den Projektpartnern in aim4it derzeit eine App, die für alle Fahrgäste hilfreich sein soll – aber vor allem für gehörlose Reisende einen echten Mehrwert bietet: In einem Gebärdensprachenvideo informiert ein animierter Avatar den Fahrgast direkt auf dem Smartphone in Echtzeit über Störungen, Fahrplanänderungen und aktualisierte Routeninformationen. Durch die zusätzliche Einblendung von Untertiteln erreicht die Information auch alle anderen Fahrgäste, beispielsweise in Situationen mit erheblichem Umgebungslärm.

Aber wie gelangen die Informationen so schnell auf das Smartphone?
Ein Avatar übermittelt die Informationen in Zeichensprache. Foto: Sign Time GmbH

Ein Avatar übermittelt die Informationen in Zeichensprache. Foto: Sign Time GmbH

Das Fahrplanauskunftssystem erhält vom Intermodal Transport Control System (ITCS) des Verkehrsunternehmens aktuelle Informationen über die Verkehrsmittel. Auf dieser Grundlage werden die von einer Störung betroffenen Fahrgäste ermittelt. Störungsmeldungen oder alternative Routingvorschläge werden dann als Push-Nachricht an die Mobiltelefone der Fahrgäste gesendet. Zeitgleich wird automatisch ein Video mit einem Gebärdensprachavatar erzeugt und in einer zentralen Datenbank abgelegt. Der Avatar ist dazu ausgelegt, sämtliche bedeutungstragenden Elemente der Gebärdensprache darzustellen. Das umfasst Kombinationen aus Hand-, Arm- und Körperbewegungen. Gleichzeitig können auch Gesichtsausdrücke dargestellt werden, um zusätzliche Bedeutungen (z.B. Emotionen) mit zu übermitteln. Über einen Link können die gehörlosen Fahrgäste die betreffende Störungsmeldung dann als Videostream abrufen.

Weitere nützliche Funktionen

Mit Hilfe der App kann der Reisende bereits bei der Planung angeben, ob er eine verlängerte Umsteigezeit benötigt und wann er möglicherweise Hilfe beim Ein- und Aussteigen braucht. Die vorgesehenen Umsteigezeiten werden daraufhin an die Bedürfnisse der Reisenden angepasst. Dem Bus- oder Straßenbahnfahrer wird auf einem Display im Fahrzeug angezeigt, an welcher Haltestelle er einen längeren Aufenthalt einplanen muss, um auf die später zusteigenden Fahrgäste zu warten. Zudem sieht er so schon im Vorfeld, wann er die Rampe für Rollstuhlfahrer ausklappen muss.

Damit die App stets weiterentwickelt und verbessert werden kann, steht eine Feedbackfunktion zur Verfügung, mit der die Dienstleistungsqualität im ÖPNV in Echtzeit erhoben werden kann. Dadurch sind die Verkehrsunternehmen in der Lage, Schwachpunkte in der Barrierefreiheit ihres Verkehrssystems zu erkennen und kontinuierlich zu verbessern.

Erste Tests laufen bereits

Noch ist die App nicht erhältlich, dafür müssen unsere Forscher erst einmal genau testen, ob alle Funktionen im Alltag auch bestehen. Anfang 2016 wird sie erstmals in Wien und Karlsruhe getestet. Die Probanden teilen unseren Forschern dann ihre Erfahrungen mit der neuen Technik mit. So kann die App angepasst und weiterentwickelt werden, damit sie schließlich auch in anderen Städten zum Einsatz kommen kann. Außerdem wird dann geprüft, inwiefern die Funktionen in bereits bestehende Systeme der Verkehrsunternehmen integriert werden können, damit auch Blinde- und Sehbehinderte Fahrgäste von der App profitieren. Damit es die App zukünftig auch in Braunschweig geben kann, wäre eine Anpassung der Fahrplanauskunft und der Leitstelle der Verkehrs-GmbH erforderlich.

(Artikelbild: DLR)

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