Suchbegriff eingeben:

Ein großer Krieg – viele kleine Geschichten

Ausstellungen über die großen Kriege des 20. Jahrhunderts gab es schon viele. Man kennt den Anblick der Waffen, die Leid und Tod über Millionen von Menschen weltweit brachten. Man kennt die Uniformen, anhand derer sich die Kriegsparteien optisch voneinander abgrenzten, als träten Sportmannschaften gegeneinander an. Man kennt mittlerweile selbst die Bilder von meterhohen Leichenbergen, aus Geschichtsbüchern, Filmen, leider auch aus den aktuellen Nachrichten. Was man in den meisten Fällen aber nicht kennt, ist das, was die Ausstellung „1914 – Schrecklich kriegerische Zeiten“ im Braunschweigischen Landesmuseum 100 Jahre nach Ausbruch des 1. Weltkriegs erfahrbar macht: die persönlichen Schicksale der Braunschweiger Soldaten und ihrer Familien. Die Schicksale derjenigen Menschen also, die vor 100 Jahren dort lebten, wo wir heute leben.

Foto: BSM

Foto: BSM

Was dachten, fühlten, fürchteten und hofften diese Menschen? Welches Leben, welche Menschen ließen sie hier in Braunschweig zurück, um für das Vaterland Kopf und Kragen zu riskieren? Da ist ein gerade 23-Jähriger, der seiner Freundin zwar stolz von der Auszeichnung mit dem Eisernen Kreuz berichtet, zugleich aber klagt, er würde viel lieber mit ihr Hand in Hand den Braunschweiger Steinweg entlangschlendern. Sein Wunsch wurde nie mehr wahr, er starb noch im selben Monat an der Westfront.

So gut sie auch als Mahnung dienen – Opfer sollen nicht bloß- oder zur Schau gestellt werden. Bemerkenswert ist daher die Umsetzung im Landesmuseum. Inmitten von martialischen Waffen, Herrschaftssymbolen und Bildern von riesigen Schlachtfeldern erzählt die Ausstellung ganz persönliche Geschichten aus dem Krieg. In großen Schubläden, die die Besucher nach Wahl aufziehen können, sind Fotos, Ausweise, Briefe und persönliche Gegenstände von Braunschweiger Soldaten arrangiert. Von Soldaten, die dem Krieg zum Opfer fielen und solchen, die den Wahnsinn überlebten. Jenen Wahnsinn, der sich in wochenlangen Stellungs- und Materialschlachten ebenso manifestierte wie im erstmaligen Einsatz chemischer Kampfstoffe.

Foto: BSM

Foto: BSM

Dem Ausstellungsbesucher wird die Möglichkeit gegeben, diesen Menschen zu begegnen – aber nicht beiläufig, sondern ganz bewusst – indem er sich aktiv entscheidet, die Schubladen zu öffnen. Er steht dann nicht zusammen mit anderen Besuchern vor einer großen Tafel, er ist für diesen kurzen Moment allein mit den vielleicht letzten Erinnerungen, die von diesen Menschen übrig geblieben sind. Mit Briefen, in denen sie ihre Gemütslage preisgeben. Mit Fotos, die ihn in die Augen der Menschen blicken lassen, die sonst häufig nur als bloße Namen auf schier unendlich langen Listen stehen. Sie geben dem Krieg ein Gesicht, machen das Unbegreifliche greifbar – zumindest ein wenig. Denn dass hinter 17 Millionen Kriegstoten auch 17 Millionen Einzel- und Familienschicksale stehen, kann wohl niemand richtig begreifen, der diese leidvolle Zeit nicht selbst erlebt hat.

Ein Weltkrieg heißt Weltkrieg, weil Nationen nahezu aller Kontinente involviert sind und er die Welt nachhaltig verändert. Auch das zeigt die Ausstellung: Sie geht auf die Folgen des Krieges ein, die bis heute in Europa nachwirken. Auf die unterschiedliche Aufarbeitung in den verschiedenen Ländern, wie zum Beispiel in Frankreich und England, wo die Erinnerung an den Ersten, den Großen Weltkrieg selbstverständlich ist, im Gegensatz zu Deutschland, wo sich erst langsam eine Erinnerungskultur etabliert.

Information

Braunschweigisches Landesmuseum
Burgplatz 1, 38100 Braunschweig

Bis 25. Januar 2015
Di bis So 10 – 17 Uhr, jeden 1. Di im Monat 10 – 20 Uhr
Mo geschlossen

Eintritt: Erwachsene 6 €, ermäßigt 4 €, Kinder (6-16 Jahre) 2 €
Öffentliche Führungen: Sa 14 Uhr, So 11.30 Uhr + 14 Uhr, Kosten: 4 € zzgl. Eintritt

Hinweis: Zur Landesausstellung gibt es vom 9. Oktober 2014 bis zum 25. Januar 2015 eine Begleitausstellung in der Burg Dankwarderode. „Max Beckmann. Gesichter im Kriege – Graphische (Selbst-)Bildnisse 1914-1918“ zeigt Bildnisse und Selbstbildnisse des Künstlers Max Beckmann (1885-1950), der in Braunschweig aufwuchs und 1914 freiwillig in den Krieg zog. Als autobiographische Aufarbeitung des eigenen Kriegsschicksals zeigen die Bilder den Einfluss der traumatischen Kriegserlebnisse auf Beckmanns Werke und den Wandel, den sie in seiner Kunst bewirkten.

(Artikelbild: BSM)

Keine Kommentare

Hinterlassen Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind markiert *. Bitte beachten Sie unsere Netiquette und unsere Datenschutzerklärung.