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Von alten Steinen bis zu moderner Kunst

Blick auf alte und neue Fassaden in der Innenstadt

Ich wohne jetzt seit fast fünfeinhalb Jahren im Speckgürtel von Braunschweig. Viele meiner Freunde fragen sich immer noch, wie ich eigentlich ausgerechnet hierhin gekommen bin. Schließlich habe ich doch davor in den hippen Metropolen Hamburg, Stuttgart und München gelebt. Braunschweig hat für viele dagegen ein – sagen wir mal – eher langweiliges und angestaubtes Image. Nun, weit gefehlt kann ich da nur sagen.

Architektonisch bietet Braunschweig eine spannende Entdeckungsreise. Und das kann ich mit meinem abgeschlossenen Architekturstudium ziemlich gut einschätzen, wage ich zu behaupten. Doch wo genau gibt es denn nun etwas zu sehen? Weder auf blauen Dunst los laufen noch dicke Stadtplaner wälzen ist ja besonders verlockend, wenn man nur einen ersten Eindruck haben möchte. Hier lohnt ein Blick ins Netz: Auf der Internetseite www.braunschweig.de wie auch in der App Entdecke Braunschweig finden sich auf den Punkt gebrachte, thematische Rundgänge. Verbunden mit den Standortdaten weiß ich genau, wo ich bin und wo es als nächstes langgeht. Von wegen „angestaubt“. Von den vier Rundgängen in der App wird es für mich der „Barrierefreien Stadtrundgang“. Ganz pragmatisch, weil ich auch Mami bin. Und damit zwar inzwischen keinen Buggy mehr vor mir herschiebe, dafür aber ein Kinderfahrrad zu unserem festen Begleiter gehört. Eins gleich vorweg, der gesamte Weg war tatsächlich barrierefrei.

Versetzt in andere Zeitalter

Der Rundgang startet auf dem Burgplatz und damit im historischen Zentrum der Stadt. Umgeben ist der Platz von der Burg Dankwarderode, dem Dom St. Blasii, dem Vieweghaus und Fachwerkhäusern. In der Mitte thront auf einem hohen Sockel der Braunschweiger Löwe. Die Burg ist mit ihrer massiven Bauart mit sichtbarem groben Mauerwerk und den Rundbögen ein Paradebeispiel für die Romanik. Zusammen mit der Fachwerkarchitektur und dem Kopfsteinpflaster habe ich das Gefühl zurück ins Mittelalter versetzt worden zu sein. Der Weg führt dann weiter unter dem Verbindungsgang zwischen Burg und Dom hindurch. Von dort fällt der Blick auf die prachtvolle Fassade des Rathauses. Auf den ersten Blick könnte das Rathaus vom Baustil nur eine Epoche später, in der Gotik, entstanden sein. Darauf deuten zumindest die Spitzbögen wie auch das Spiel der Erker und Türme hin. Tatsächlich liegen hier ein paar Jahrhunderte und Baustilepochen dazwischen, denn das Rathaus ist im neugotischen Stil erbaut. Das bedeutet, es wurden charakteristische Merkmale der Gotik aufgegriffen, erbaut ist es jedoch weitaus später um 1900. Optisch wirken das Rathaus, die Burg Dankwarderode und der Dom durch die Ähnlichkeit der Stile jedoch sehr harmonisch.

Historische Fachwerkfassade und Löwenstatue am Burgplatz.
Die Architektur am Burgplatz ist eine Zeitreise ins Mittelalter. Foto: BSM

Mogelpackung? Von wegen!

Weiter geht es zum Residenzschloss, auf das ich bei meinem ersten Besuch in Braunschweig besonders gespannt war. Schließlich hatten mich die Diskussionen über den Wiederaufbau vor knapp zehn Jahren sogar in Stuttgart erreicht. Die klassizistische Hauptfassade und der Schlosskörper wurden in vollständiger Größe weitgehend originalgetreu wiederhergestellt, sodass die Wirkung äußerst eindrucksvoll ist. So wie es sich für eine herzöglichen Residenz gehört. Vor allem wenn man von unten zur Quadriga hinaufblickt, die immerhin die Größte in Europa mit Wagenlenkerin ist. Wie mich der Text in der App aufklärt. Für meinen Stuttgarter-WG-Mitbewohner war es damals jedoch eher eine Mogelpackung. Ganz einfach weil neben einem Schlossmuseum, dem Kulturinstitut mit Veranstaltungsräumen, dem Archiv und der Stadtbibliothek hinter der historischen Fassade auch der Eingang in ein Einkaufszentrum zu finden ist. Nun, für mich gibt es Schlimmeres und ich finde die Lösung so nah am historischen Kern wirklich sehr geglückt. Also folge ich weiter dem Rundgang, der mich als nächstes mit dem historischen Magniviertel lockt.

Blick auf die Fassade vom Residenzschloss mit Reiterstatuen.
Das Residenzschloss ist mehr als nur Fassade. Foto: BSM

Es wird bunt, in vielerlei Hinsicht

Als ich um die Ecke beim Residenzschloss biege, fallen mir allerdings keine Fachwerkhäuser ins Auge, sondern quietschbunte Farben. Das ist eindeutig das weithin bekannte „Happy Rizzi House“. Als architektonische Einordnung kann man hier wohl am ehesten von Kunst sprechen. Das Haus mit seinen fröhlich bunten Farben und den vielen lachenden Gesichtern macht den Betrachter:innen gleich gute Laune. Ich finde wirklich interessant, wie der Braunschweiger Architekt Konrad Kloster hier die Farben und Formen des Künstlers James Rizzi umgesetzt hat. Fenster und Türen sind zum Großteil als freie Formen angelegt, die sich wiederum in das Konzept der Bemalung einfügen. Also die Öffnungen sind zum Beispiel zugleich die Augen von Gesichtern. Das erfordert ein größtmögliches Maß an Vorplanung wie auch Flexibilität bei der Umsetzung vor Ort. Der Kontrast von Moderne zu Geschichte beim weiteren Weg ins Magniviertel könnte größer nicht sein. Wobei auch die Fachwerkhäuser nicht mit Farben sparen. Viele der Häuser sind wunderschön saniert und die Balken und feinen Schnitzereien farblich herausgearbeitet. Im Magniviertel laden viele Cafés und Bistros zum Hinsetzen und Verweilen ein. Zudem finden sich hier kleine Geschäfte abseits der großen Ketten. Wie zum Beispiel ein Secondhand-, ein Antik- oder ein Spielzeugladen, wo man das ein oder andere Fundstück aufstöbern kann.

Architektonische Detailaufnahme vom Rizzy House.
Fröhliche Gesichter am „Happy Rizzi House“. Foto: BSM

Zwischen Alt und Neu

Die nächsten Stationen beim Rundgang führen mich zurück in die Innenstadt. Zum Straßenzug Hutfiltern/Damm wie auch dann weiter zum Kohlmarkt und zum Altstadtmarkt. Auch dort sind viele geschichtsträchtige Häuser zu sehen. Allerdings weniger Fachwerkhäuser, sondern vielmehr in Form von hochherrschaftlichen Stadthäusern aus späteren Epochen wie Jugendstil, Barock oder Klassizismus. Hier merkt man eindeutig den Einfluss der reichen Kaufleute, die nicht nur verkaufen, sondern auch beeindrucken wollten. In der Innenstadt ist die Integration von zum Beispiel großflächigen Schaufenstern in die vorhandene historische Architektur zum Großteil wirklich gut gelungen. Hier haben die Planer ein sensibles Händchen für die vorhandenen Strukturen bewiesen. Auch moderne Neubauten fügen sich erstaunlich gut ein. Wie man vor der Einbiegung zum ältesten Straßenzug „Kleine Burg“ und dem letzten Punkt des Stadtrundgangs sehen kann. Der historische Straßenzug mit seinen Fachwerkhäusern mündet in den Burgplatz und so bin ich wieder am Anfang meines Rundgangs angekommen. Wenn ich jetzt eines habe, dann Lust mehr von dieser Stadt zu entdecken. Ob es als nächstes der Parkrundgang wird oder doch eine Tour mit dem Rad rund um das Ringgleis, muss ich mir noch überlegen.      

In der Innenstadt finden sich viele  Beispiele für geglückte Integration von moderner Architektur.
In der Innenstadt finden sich viele Beispiele für die Integration von moderner Architektur. Foto: BSM

Titelbild: BSM

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