Seit Januar 2010 veranstaltet das Kulturinstitut die Reihe „DOKfilm im Roten Saal“ und schenkt damit dem Dokumentarfilm in Braunschweig ein Zuhause. Programmgestalterin Iris Mügge ist von Anfang an dabei und hat am 13. Juni den Preis für die beste Jahresprogrammgestaltung der nordmedia GmbH entgegen genommen, bereits zum vierten Mal in Folge. Doch was macht den Erfolg des Formats aus und welche Arbeit steckt dahinter? Ich dachte mir: Am besten frage ich sie selbst.
Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Auszeichnung! Für mich als Außenstehende beinhaltet die Verleihung eines Preises auf den ersten Blick die Schlagworte „Anerkennung und Belohnung“. Was bedeutet der Preis der nordmedia GmbH für Sie?
Iris Mügge: Der Kinoprogrammpreis ist eine wichtige Bestätigung. Nicht zu unterschätzen ist seine positive Wirkung – ich bezeichne den Preis gern als Gütesiegel. Bei Filmverleihern und Filmemachern öffnete und öffnet er uns seit drei Jahren die Türen. Zudem stockt das vom Land Niedersachsen zur Verfügung gestellte Preisgeld den städtischen Etat für dieses Projekt auf.
Apropos seit Jahren: Wenn Sie jetzt an dieser Stelle zurückblicken: Welche Entwicklung hat die Veranstaltungsreihe innerhalb der letzten vier Jahre erlebt?
Iris Mügge: Als wir die Reihe „DOKfilm im Roten Saal“ mit einer viermonatigen Pilotphase starteten, hatten wir uns zum Ziel gesetzt, dass eine Vorführung durchschnittlich gut 40 Besucherinnen und Besucher erreichen sollte. Im ersten Jahr sahen sich durchschnittlich 65 Besucher einen Dokumentarfilm an. Die Besucherzahl hat sich bis heute annähernd verdoppelt, denn die Popularität dieses spannenden und vielseitigen Filmgenres hat stetig zugenommen. Mit dem berechtigten Boom konnten wir damals noch nicht rechnen. Die zu Beginn der Reihe gesetzten Themenschwerpunkte Ökologie, Einwanderung und Globalisierung, ab und an abgelöst durch Produktionen aus dem Bereich Kunst und Kultur, haben sich bewährt. Da wir im Roten Saal noch einer Vielzahl an weiteren Sparten eine Plattform geben möchten, ist eine Expansion von „DOKfilm im Roten Saal“ jedoch derzeit nicht geplant.
Was braucht ein Film, um gezeigt zu werden? Wie verläuft die Selektion bei der Filmauswahl?
Iris Mügge: Es gibt in dem Dokumentarfilmgenre ganz unterschiedliche Strömungen und Erzähltraditionen zu gesellschaftspolitisch relevanten Themen. Den ausgewählten Produktionen gemein sind häufig unbequemen Fragestellungen, die zwingen, auf das zu schauen, was die Fernsehnachrichten gern auslassen oder Sender im Spätprogramm verstecken. Die Filme müssen jeweils ein stimmiges Gesamtbild ergeben. Sie sollen Raum zum Nachdenken lassen. Mit ihren Protagonisten sollen sie auf Augenhöhe bleiben. Bestenfalls gehen die Filme dem Publikum unter die Haut. Auch das filmische Handwerk mit Kamera, Schnitt und Ton fern der TV-Ästhetik spielt eine Rolle bei der Filmauswahl. Die Filme aus dem Themenkomplex Kunst und Kultur, die auch zu unserem Programm gehören und die ich gern als „Sommerfilme“ bezeichne, erzählen von bildenden Künstlern, Schriftstellern, Bauwerken. Sie bilden sozusagen kleine Entspannungspausen für das Publikum zwischen den sonst oft harten Stoffen.
Ich stelle mir den Vorgang der Selektion schwierig vor. Haben Sie neben dem persönlichen Geschmack objektive Kriterien, nach denen Sie Filme auswählen?
Iris Mügge: Anders als bei einem Festival geht es bei der Programmgestaltung nicht darum, Filmperlen aus mehreren hundert internationalen Einreichungen zu entdecken. Da leisten die renommierten nationalen und internationalen Dokumentarfilmfeste die große Vorarbeit. Ich setze auf Filme, die auf Festivals bereits Auszeichnungen erhalten haben, die in den Medien positiv besprochen wurden, auf Filme mit einem Kinostart im deutschsprachigen Raum. Ein gutes Händchen bei der Auswahl braucht es dennoch, denn nicht jeder dieser Filme stößt auch automatisch auf große Resonanz. Während für die Planung bei „DOKfilm im Roten Saal“ die Filme oft vor ihrem eigentlichen Kinostart und damit langfristig gebucht werden müssen, planen Spielstätten mit reinem Kinobetrieb in der Regel von Spielwoche zu Spielwoche und können so Filme, die aufgrund bundesweiter Besucherzahlen erfolgversprechend sind, kurzfristig ins Programm nehmen. Dennoch können sich unsere Besucherzahlen sehen lassen.
Und was, glauben Sie, macht den Reiz für immer mehr Menschen aus, sich einen Dokumentarfilm anzuschauen?
Iris Mügge: Ich denke, wir sind heute mehr auf der Suche nach einer Wahrheit, über uns Menschen, unsere Lebensgewohnheiten, über unsere Umwelt und unseren Umgang mit ihr. Dokumentarfilme können einen neuen Blickwinkel eröffnen und verändern möglicherweise unsere Sicht auf die Welt, unser Verhalten. Gleichwohl darf man nicht vergessen, dass auch Dokumentarfilme stets und unvermeidlich durch die Auswahl ihrer Protagonisten, durch ihre Fragestellung und die Gewichtung ihres Materials inszeniert sind. Zur Besonderheit gegenüber anderen Filmgenre fallen mir sofort die Worte Andres Veiels ein, der sich vor gut 15 Jahren einen Namen mit der Kontrast-Biografie „Black Box BRD“ gemacht hat. Er sagte: „Hinsichtlich der nachhaltigen Brisanz ist das Dokumentarische dem Fiktionalen überlegen.“
Iris Mügge, Mitarbeiterin im Kulturinstitut der Stadt Braunschweig, verantwortet seit vier Jahren das „DOKfilm im Roten Saal“. Sie mag am liebsten Dokumentarfilme mit gesellschaftspolitischem Hintergrund. Ihr aktueller Favorit ist „Watermark“. Ein Film über Wasser und unseren Umgang mit dem kostbaren Element, den sie „als filmische Liebeserklärung und zugleich als Weckruf“ bezeichnet und der demnächst bei „DOKfilm im Roten Saal“ zu sehen sein wird.
Am 14. August zeigt DOKfilm im Roten Saal um 19:30 Uhr die Dokumentation „Ai Weiwei – The Fake Case“. Der Film begleitet die streng observierten Schritte des derzeit international bekanntesten Künstlers Chinas unmittelbar nach seiner 81-tägigen Isolierungshaft in 2011.
(Artikelbild: Kulturinstitut)
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