Eine schöne Nummer über die Löwenstadt hat Jonny S da mit dem Song „Braunschweig“ gezaubert. Er selbst bezeichnet sich als „so etwas wie ein Urgestein der jüngsten HipHop-Geschichte“ und legt Wert auf „ehrliche Rapmusik, die sich in tiefen Texten, melancholischen Samples und knackigen Drums widerspiegelt“. Also keine Fuffis im Club verprassen, kein bandenhaftes durch die Straßen-Ziehen und „Mein Ghetto, mein Bezirk, mein Block“-Gerappe? Mein Klischee-HipHopper-Bild im Kopf ist verwirrt. Ein Interview soll Licht in die Irritation bringen.
Lieber Jonny S: Du, die Musik und Braunschweig, wie habt ihr zueinander gefunden?
Jonny S: Eigentlich komme ich aus dem Erzgebirge und habe meine Schulzeit in Wolfenbüttel verbracht. Anschließend bin ich nach Braunschweig gezogen, da meine ganzen Freunde hier waren. Als Kind habe ich Klavier und Flöte gespielt, das habe ich zu dieser Zeit aber aufgegeben (lacht). Mit 13 habe ich mir selbst ein bisschen Gitarre beigebracht und mit den ersten rudimentären Programmen, die es damals gab, Instrumentals und erste Beats gebastelt. Inspiriert zum Rappen hat mich ein damaliger Mitschüler. Ich fand es spannend, dass man frei von Konventionen ein Ausdrucksmittel hat, mit dem man rauslassen kann, was man gerade denkt.
Musikalisch gefiel mir der damalige Westküsten-HipHop wie Warren G und 2Pac. Ich mochte Sachen, die melodiös waren und sich mit politischen Fragen und der Black-Power-Bewegung auseinandergesetzt haben. Wenig später wurde HipHop auch in Deutschland populär. Kool Savas zum Beispiel. Wenn man da mit einer Kassette im Walkman herumlief, hatte man das Gefühl, eine geladene Waffe dabei zu haben.
Seit 15 Jahren machst du selbst Musik. Du sagst, dein letztes Album „Halbes Leben“ ist sehr von deiner Biographie beeinflusst. Was meinst du damit konkret?
Jonny S: Ich habe die Platte in superkurzer Zeit gemacht. In zweieinhalb Monaten geschrieben und produziert. In der Vergangenheit hat die Zusammenarbeit mit anderen Produzenten aus unterschiedlichsten Gründen nicht geklappt und dann ist bei mir irgendwann der Knoten geplatzt. Ich habe mich hingesetzt und gesagt: Ok, bis Ende des Jahres haue ich jetzt was raus, egal was das wird, aber ich mache das. Ich habe einfach angefangen zu schreiben und „Halbes Leben“ ist entstanden. Währenddessen sind viele Dinge passiert: Ich habe ein Unternehmen gegründet, an dem ich persönlich gescheitert bin. Außerdem ist die Freundschaft zu meinem besten Freund kaputt gegangen. Sehr viele Dinge sind dagewesen, die mich davon abgehalten haben, das zu machen, was ich eigentlich wollte. Diese Platte war wirklich wie ein Befreiungsschlag. Aber auch positive Dinge sind passiert wie die Geburt meines ersten Kindes. Grundsätzlich basieren Songs bei mir immer auf einer Emotion, die alles in Gang setzt.
Du hast für dein nächstes Album das Lied „Braunschweig“ produziert. Aus welchem Gefühl ist das entstanden?
Jonny S: Auslöser war in diesem Fall ein Song von einem englischen Künstler, der über den Londoner Stadtteil Brixton getextet hat. Ich fand die Idee und den Vibe cool und hatte sofort zwei Zeilen im Kopf. Als Kind oder Jugendlicher habe ich mich nie als Braunschweiger gefühlt. Im Erzgebirge ist der Schlag Mensch ein bisschen anders, dort wird man mit den Leuten schneller warm. Je älter ich aber werde, desto mehr merke ich, dass es mir immer schwerer fällt, den Gedanken zu denken, hier wegzugehen. Ich habe so viele Erinnerungen, die mich mit der Stadt verbinden und derentwegen ich mich heute als Braunschweiger fühle. Im Song mache ich an Braunschweiger Orten und Plätzen und Situationen fest, warum ich mich dieser Stadt so nah fühle.
Dein nächster Auftritt ist am 17. Januar mit Band in einer Straßenbahn. Wie kam es dazu?
Jonny S: Die Initialzündung gab die Videoidee zu „Braunschweig“. Der Organisator des Videodrehs, Hussein Tahmaz von anti-aesthetik meinte: ,Es wäre doch total klasse, wenn du mit der ganzen Kapelle mit der Straßenbahn durch die Stadt fährst.‘ Er ist dann an die Braunschweiger Verkehrs GmbH herangetreten und die fand die Idee so gut, dass sie mehr daraus machen wollte. Das Ganze nennt sich jetzt Musikersatzverkehr, läuft mit Konzerten das ganze Jahr über und wir bilden dafür den Auftakt. Das wird eine richtig schöne Sache!
Ich bin gespannt! Vielen Dank für das Interview.
Das Straßenbahnkonzert mit Jonny S findet am 17. Januar ab 20 Uhr statt. Mit dabei ist auch die Band Enemy Jack, die den Abend mit fetzigem Indie-Rock beginnt. Karten gibt es unter anderem im Kundenzentrum der Braunschweiger Verkehrs-GmbH am Bohlweg.
(Artikelbild: Jonathan Beddig)
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