Hinter die Kulissen schauen … das hört sich nach Insider-Wissen an, nach Über-den-Tellerrand-Schauen, danach, Dinge zu sehen und zu erfahren, die man sonst nicht erfährt. Und genau so ist es. Ich darf einen Blick ‒ im wahrsten Sinne des Wortes ‒ hinter die Kulissen des Staatstheaters werfen.
„Theater ist künstlerisches und kreatives Handwerk“
Hier treffe ich Susanne Schäfer, die ganz frisch seit dieser Spielzeit als Pressesprecherin am Staatstheater Braunschweig tätig ist. Sie hat schon in einigen Theaterbetrieben gearbeitet, zum Beispiel in Hamburg, Lübeck und zuletzt in Bern, aber eines verbindet alle, ist Susanne Schäfer überzeugt: „Theater ist künstlerisches und kreatives Handwerk!“ Und das will ich sehen.
Wir wandeln durch endlose Gänge, treppauf, treppab, durchqueren Flure vor und hinter der Bühne, wieder Stufen, um dunkle Ecken, vorbei an Schildern und Leuchtkästen, bis wir in der Schneiderei stehen.
Von Maßband, Nadelkissen & Co.
Dort hantiert Susanne Weber gerade mit Kostümen für Guiseppe Verdis Oper „Don Carlo“. Sie ist Damengewandmeisterin der Damenschneiderei und zuständig für den Schnitt bzw. den Zuschnitt von Kostümen für Bühnenkünstlerinnen. Mit dem typischen gelben Maßband um den Hals erzählt sie über teure Stoffe, knappe Budgets, den Fundus, ohne den gar nichts geht. Auf meine Frage hin, ob denn fast alles in der Schneiderei angefertigt wird, klärt sie mich auf, dass sich neben den maßgeschneiderten Kostümen natürlich auch gekaufte Kleidungsstücke im Fundus befinden.
Von Tüll und anderen Materialien
Damit ich auch einmal ein hier genähtes Exemplar anschauen kann, holt die Werkstattleiterin der Damenschneiderei Elisa Frommhold für mich aus dem Nebenraum einen Traum von einem Kleid in Schwarz, in dem zwölf Meter Seidentüll verarbeitet worden sind. Zwei dieser Prachtexemplare können die Zuschauer in der Oper „Werther“ von Jules Massenet in dieser Spielsaison bewundern.
Hier wurde geklotzt, wo andernorts geknapst werden muss. Allein knapp 900 Euro hat der Stoff gekostet, erzählt eine andere Schneiderin aus dem zum Beruf passenden Nähkästchen. Eingespart werden konnte dafür an anderer Stelle, wo einfacher Gartenschlauch aus dem Baumarkt zur Anwendung kam, höre ich aus dem jahrelangen Erfahrungsschatz der Schneiderinnen. Tolle Geschichten, die einem hinter den Kulissen zu Ohren kommen.
Ein Kaleidoskop von Farben und Stoffen
Übrigens bewahrt das Theater rund 50.000 Herren- und 30.000 Damenkostüme auf. Wieso mehr Männer- als Frauenkleidung, frage ich erstaunt, ist doch die Damengarderobe abwechslungsreicher, bunter und kreativer als die der Herren. „Das stimmt“, bestätigt Susanne Schäfer, „aber es gibt viel mehr Männerrollen als mit Frauen besetzte Stücke.“ Aha, wieder was gelernt. Um den Fundus zu besichtigen, erklimmen wir eine steile Eisentreppe. Und da offenbart sich eine Fülle von Kostümen in bunten Farben, nach Epochen sortiert, Uniformen, Hüte stapeln sich in Regalen, dass es eine wahre Wonne ist, hier durchzuflanieren.
Licht und Schatten
Weiter geht’s zur Beleuchtung. Auf der Bühne im Großen Haus ist gerade Beleuchtungsprobe. Wir besuchen im Stellwerk zwei Lichttechniker. Sie sitzen hoch oben über dem Zuschauerraum in einem abgedunkelten Kabäuschen vor mehreren Bildschirmen und Lichtmischpulten. Ich erfahre, dass die Lichtsteuerung für die einzelnen Stücke im Vorhinein programmiert wird. Eine immer komplexer werdende Steuerungstechnik zaubert durch verschiedene Scheinwerfertypen unterschiedlichste Stimmungen und setzt die Akteure in das gewollte Licht: scharf, kalt oder warm und diffus, farbig oder es können Schatten erzeugt werden, die verfremden, abstrahieren.
Dinge zum Anfassen
Auf einer anderen Etage betreten wir die Requisite. Dort herrscht rege Geschäftigkeit, es werden gerade Requisiten für Verdis „Don Carlo“ und „Haus der gebrochenen Herzen“ von Bernhard Shaw anhand von Listen zusammengesucht, zusammengesetzt und angemalt. Zum Beispiel bearbeitet eine Requisiteurin gerade Knochen, die genau wie Knochen aussehen, aber so leicht wie eine Packung Taschentücher sind, und bindet sie zu Kreuzen zusammen. In beschrifteten Kisten sind sie bei späteren Aufführungen auf diese Weise auch immer gleich wieder auffindbar.
Der Beruf des Requisiteurs gehört zu den ältesten Theaterberufen im Bereich der Ausstattung, erfahre ich. Er inventarisiert, magaziniert und lagert die Requisiten für die jeweiligen Inszenierungen. Außerdem ist er für die Pflege, Instandhaltung und Reparatur der Requisiten verantwortlich, berichtet Requisiteurin Renate Lange. Wer sich nicht so ganz vorstellen kann, was der Begriff Requisite umfasst, für denjenigen hat Lange eine einprägsame Erklärung parat: „Requisiten sind all die Dinge, die die Darsteller in die Hand nehmen.“ Wir verlassen die bunte Welt der Gegenstände.
Das „Nadelöhr“ des Vorstellungsbetriebs
Nahe der Bühne huschen wir noch leise am Pult des Inspizienten vorbei, der vor seinen Monitoren sitzt und die Lichtprobe verfolgt. Er organisiert und koordiniert den gesamten Vorstellungsbetrieb. Susanne Schäfer bezeichnet ihn als „Nadelöhr“ im Vorstellungsbetrieb, der dafür sorgt, dass die Vorstellungen reibungslos „gefahren“ werden, wie es in der Theatersprache heißt.
Ob blond, ob braun – von Echthaar und Perücken
Meine letzte Station ist die Maskenbildnerei. Nicolas Guth frisiert gerade eine helle Mähne. Die schöne Blonde ist eine Perücke mit wallendem, gut duftendem Haar. „Sind die echt?“, frage ich. In dem Fall ja, bestätigt der Leiter der Abteilung von zwölf Kollegen und Kolleginnen. Das sei aber eher eine Ausnahme, da Echthaar sehr teuer geworden ist. Wenn man heutzutage überhaupt noch echtes Haar bekäme, dann komme es aus Asien. „Dort opfern die Mädchen und Frauen in Tempeln ihre langen Haare.“ Aus Europa sind Echthaare kaum noch zu bekommen, da für Perücken nur unbehandeltes Haar verwendet werden kann, erklärt Guth, und welche Frau von heute hat nicht schon mal mit Tönungen oder Farbe hantiert?
Immer wieder neu und doch nachhaltig
Seine junge Kollegin knüpft gerade an einer Perücke mit Strähnchen – auch für Don Carlo – sie recycelt eine Perücke, die von einer anderen Vorführung stammt. Ich erfahre, dass die Haare mehrere Stationen durchlaufen. Die erste, noch frische Perücke, wird an den Kopf eines Darstellers oder einer Darstellerin angepasst. Danach kann sie meist nicht mehr in dieser Form genutzt werden. Sie wird geändert ‒ vorzugsweise am Haaransatz, wird also weiterverwendet. Die abgetrennte Stirnpartie wird für Reparaturen oder Strähnchen benutzt. Sind die Haare nach dieser Rolle immer noch brauchbar, dann wandern die Resthaare, die nicht weiterverwendet werden können, in Haarteile, wie einen Dutt . Recycling und damit Nachhaltigkeit par excellence. „Und werden die Haare auch gewaschen?“, frage ich vorsichtig. „Aber natürlich, so oft wie Ihre Haare …“, lacht Nicolas Guth.
Ich frage Kollegin, was ihr an ihrem Beruf gefalle. Da sprudelt es nur so heraus: „Das ist alles Handarbeit, jeden Tag was anderes, keine Routine, immer neu und immer was zu tun!“ Und Nicolas Guth, gefragt nach seiner Motivation im Job, schmunzelt: „Das größte Kompliment, das ich bekommen kann, ist die Frage: ‚Was, das ist eine Perücke?‘ Dann haben wir alles richtiggemacht.“
Viele Gewerke machen den Erfolg
Zwei unterhaltsame Stunden sind wie im Fluge vergangen, ohne dass ich die mit Sicherheit auch spannenden Werkstätten der Tischlerei, der Schlosserei und des Malsaals gesehen habe. Deren Kreativität können Sie in der aktuellen Spielzeit mit dem Motto „Braunschweig liegt am Meer“ vom Zuschauerraum aus in Form von Kulissen, Bühnenbildern und individuell angefertigten Dekorationen erahnen.
Wenn auch Sie hinter die Kulissen des Staatstheaters schauen wollen, dann haben Sie am 3. September beim Theaterfest bei einer Führung dazu Gelegenheit. Es lohnt sich. Versprochen!
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