Als Hannah Hemsing aus Aachen zum Studium der Architektur in die Löwenstadt kam, fühlte sie sich direkt wohl, vor allem aufgrund des vielen Grüns. Aber sie hatte das Gefühl: Da geht noch mehr! Mit ihrer Kommilitonin Catharina van der Heyde, die alle Cathy nennen, belegte sie deshalb 2017 ein Seminar vom Institute for Sustainable Urbanism (Institut für nachhaltigen Städtebau), in dem sie sich mit Braunschweig als Stadt beschäftigten. Daraus entstand das Schrill: Ein Ort, an dem Veranstaltungen und Projekte verschiedenster Art stattfinden. Dabei ist den beiden Studentinnen der Austausch mit den Menschen besonders wichtig. Wie praktisch, denn auch ich möchte mit ihnen reden, um mehr über diese schrille neue Entwicklung in der Wendenstraße zu erfahren.
Bunt, bunter, Schrill!
„Wo stelle ich mein Fahrrad ab?“ ist oft die erste Frage, die ich mir stelle, wenn ich bei einem Termin ankomme. Deshalb radele ich auch erst einmal am Schrill vorbei, um bei den Fahrradständern in Richtung Hagenmarkt zu parken. Vor der pinken Fassade der Nr. 60 steht eine Bank, auf der Hannah Hemsing sitzt. Freundlich begrüßt sie mich und wir kommen schnell ins Gespräch. Zuerst muss ich aber diesen bunten Ort bewundern, an dem es an jeder Ecke etwas zu entdecken gibt: Glitzervorhang, Graffiti, Abreiß-Zettelchen auf denen „Du bist klug“ steht.
Wohlfühlort und Ideen-Oase
Beim Betreten des Gebäudes bin ich sofort von dem besonderen Stil beeindruckt. Hier trifft Kunst auf Holz, und freigelegte Wände auf eine gemütliche Leseecke. Bemerkenswert. Jetzt kommt auch Catharina van der Heyde dazu, die wie Hannah Hemsing ebenfalls nicht aus Braunschweig kommt, sondern aus einem Dorf bei Trier. Auch sie war auf der Suche nach etwas Neuem in der Löwenstadt. Mit dem Schrill hat sie ihre Antwort gefunden: Hier lernt sie neue Perspektiven und Inspirationen kennen und nimmt Kontakt zu unterschiedlichsten Menschen auf. Das Schrill ist für sie ein Ort, an dem sie sich wohlfühlt. Was genau passiert nun eigentlich unter dem Namen Schrill? „Jeder kann hier seine Ideen mit einbringen. Bis jetzt hatten wir schon Konzerte, Kunstausstellungen, Vorträge und Filmvorstellungen“, sagt Hannah Hemsing.
Das Schrill passt in keine Schublade
Was sie in der Löwenstadt vermisste, war ein alternatives Programm, das sie anspricht: „Braunschweig hat unheimlich viele Potenziale und durch das Schrill entdecke ich immer mehr, was mir vorher entgangen ist.“ Auf die Frage, was das Schrill ist, antwortet sie: „Eigentlich ist das die spannendste Frage, weil wir die immer gestellt bekommen. Für den einen ist es der Ausstellungsraum, für den nächsten der Konzertraum, für den wieder nächsten der Partyraum. Das wollen wir auch: Wir wollen uns nicht klar definieren. Wir möchten die unterstützen, die Lust haben, hier ein Projekt umzusetzen.“ Ein beliebtes Format ist die „Bunte Tüte“, bei der ein bunt gemischtes Musikprogramm auf Süßigkeiten trifft – bunte Tüte eben.
Ein neues Braunschweig entsteht
„Eigentlich ist die ganze Stadt ein Möglichkeitsraum,“ findet Hannah Hemsing. „In den letzten zwei, drei Jahren ist in Braunschweig viel in Bewegung: Sandkasten, Protohaus, Schrill – die kreativen Leute kommen grad aus ihren Löchern und finden ihre Gruppe. Ich persönlich habe das Gefühl, dass gerade etwas Neues entsteht. Es macht einfach Spaß.“ Dabei bringt sie gemeinsam mit Catharina van der Heyde ihren Blick aus der Architektur mit ein und interessiert sich dafür, wie der Raum den Rahmen für die Projekte setzt: „Es ist uns wichtig, dass mit dem Raum gearbeitet wird. Er hat sich sehr weiterentwickelt.“ Zuvor war hier zum Beispiel eine Shisha-Bar und jetzt wird mit jedem Schrill-Projekt der Raum ein bisschen anders.
Die Stadt ist der Raum
Aber das Schrill ist nicht auf den Ort Wendenstraße 60 begrenzt. „Sich draußen mal mit einem Tisch hinsetzen – allein dadurch kommt man ins Gespräch. Das macht für mich Stadtleben aus,“ sagt Hannah Hemsing. So war das Schrill bei der TU-Night vertreten und hat in der Weststadt die Reihe „Weststadt-calling“ mit dem Kulturpunkt West und dem Quartiersmanagement gestartet. Auch alternative Stadtführungen, in der die Stadtführerin beispielsweise dazu anregt, sich die Stadt ohne Autos vorzustellen, gehören zum Schrill.
Anonym war einmal
Einfach mal machen – das traut sich das Schrill. Hannah Hemsing hat eine klare Vision: „Ich möchte im Schrill bewirken, weniger wertend zu denken, sondern mehr miteinander zu leben und aufeinander zuzugehen.“ Catharina van der Heyde hofft, dass immer mehr kreative Menschen anfangen, „zu machen“. „Vor dem Schrill konnte ich durch die Stadt laufen und habe niemanden gekannt. Jetzt begegne ich immer mindestens ein, zwei Personen, die ich kenne,“ erzählt Catharina van der Heyde.
Raus aus der Filterblase
Immer mit den gleichen Leuten unterwegs? Ich kenne das auf jeden Fall. Wer seinen gewohnten Kreis erweitern möchte, ist im Schrill genau richtig. „Mit-wissend“, eine Art Science-Café, ist hier das perfekte Beispiel. Dabei gibt es einen lockeren Impulsvortrag mit anschließendem Austausch und Diskussion. Die Idee: Fachleute beleuchtet ein Thema von ihrer Seite und danach besprechen es die Teilnehmenden aus ihren unterschiedlichen Perspektiven.
Mitmachen!
Wie kann ich mitmachen? Jeden Mittwoch gibt es um 18:30 Uhr ein Meeting, bei dem jeder vorbeikommen kann, um sich einzubringen. Aktuell sind ungefähr 15 Personen im Team, vor allem Studierende der HBK und TU. Gemeinsam besprechen sie die bevorstehenden Veranstaltungen und überlegen sich neue Ideen.
Ich verabschiede mich vom Schrill, Hannah Hemsing und Catharina van der Heyde mit neuer Motivation, meine eigene Komfortzone zu verlassen und bin bestimmt bald wieder dort anzutreffen. Dann aber ohne Schreibblock und Diktiergerät, dafür aber mit vielen Ideen für Braunschweig.
Sie möchten beim Schrill mitmachen oder keine Veranstaltung verpassen? Dann schauen Sie doch bei einem Meeting, bei Facebook und Instagram vorbei.
Schrill
Wendenstraße 60
38100 Braunschweig
(05 31) 39 13 54 2
Titelbild: Früher war hier eine Wand – nun kommt reichlich Sonnenlicht in den Raum. Foto: BSM
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