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Immer dem Licht nach!

Leuchtstoffröhren, die wie eine Treppe über einem fluss schweben.

Es ist ein Samstagabend im Juli 2020, zu Besuch sind zwei Freunde, die ich schon lange nicht gesehen habe. Wir sitzen am Tisch, haben gegessen und alles Wichtige ausgetauscht. „Und jetzt?“, fragt die eine. „Jetzt entdecken wir den Lichtparcours„, schlage ich vor. Zum fünften Mal findet in diesem Sommer der Lichtparcours statt. In unregelmäßigen Abständen haben internationale Künstler*innen seit dem Expo-Jahr 2000 Lichtkunstwerken im öffentlichen Raum der Löwenstadt gezeigt. Im Zentrum des Lichtparcours 2020 steht – auch als Reminiszenz an den ersten Parcours 2000 – die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Wasserlauf der Oker.

15 Arbeiten, skulpturale wie filmische, sind von renommierten Künstler*innen für die Löwenstadt entwickelt worden. Schon eineinhalb Jahre vor der Eröffnung sind die Künstler*innen auf Einladung einer Expertenkommission nach Braunschweig gekommen. Damals haben sie die Stadt entdeckt und Orte für Ihre Kunstwerke gesucht. Herausgekommen sind kraftvolle, farbintensive, abstrakte Gebilde, die den von Werbung durchdrungenen öffentlichen Raum konterkarieren. Und diese Kunstwerke will ich nun meinen Freundinnen zeigen.

Kurz bevor es zu dämmern beginnt, schlendern wir los in Richtung Rosentalbrücke. Dort angekommen öffne ich die App Entdecke Braunschweig. In der App gibt es für die Zeit des Lichtparcours einen Rundgang entlang der Kunstwerke. Mit kurzen Beschreibungstexten, Links zur vertiefenden Auseinandersetzung mit den Kunstwerken und einer interaktiven Karte, auf der die einzelnen Stationen des Lichtparcours verzeichnet sind und der eigene Standort angezeigt wird. So kann ich uns von Kunstwerk zu Kunstwerk navigieren, ohne dass ich im Dunkeln auf die Wegweiser achten muss.

Textfragmente, hämmernde Beats und schlafende Laternen

Wir beginnen unsere Tour an der Rosentalbrücke bei Kunstwerk 15 – also am Ende des Rundgangs. Warum? Wir waren in der Nähe und Rundgänge zeichnen sich glücklicherweise dadurch aus, dass man sie im oder entgegen den Uhrzeigersinn gehen kann. Und so versuchen wir zuerst, die Textbotschaften von Martin Groß zu entziffern. Tired Eyes ist eine Installation, in der verschiedene Textfragmente nur für einen kurzen Moment präsent sind, um dann von neuen Informationen verdrängt zu werden.

Zwischen grünen Zweigen erkennt man einen silbernen Golf 2, der halb versunken in dem Fluss Oker steht.
Das Werk The Beat Goes On von Bjørn Melhus hat schon zu manchen Schrecksekunden geführt: Vorbeifahrende Passanten dachten im ersten Moment, ein Auto sei von der Straße abgekommen und in der Oker gelandet. Foto: Stadt Braunschweig / Daniela Nielsen

Als nächstes kommen wir zur Sidonienbrücke. Dass es hier etwas zu sehen gibt, erkennt man schon von Weitem: Am Brückengeländer lehnen mehrere Personen und machen Fotos. Und die Arbeit von Bjørn Melhus ist auch wirklich spektakulär: In der Oker schwimmt ein halbversunkener Golf 2 aus dessen Innenraum dumpfe Technobeats schallen und LED-Lampen leuchten. The Beat Goes On heißt das Werk und soll die Konsum- und Gedankenhaltung der sogenannten Generation Golf in Frage stellen.

Weiter geht es, vorbei am stranded drifter von Sven-Julien Kanclerski (der den Prototypen seiner Arbeit übrigens letztes Jahr beim HBK-Rundgang gezeigt hat), der permanenten Installation Bogen der Erinnerung von Fabrizio Plessi (die schon seit 20 Jahren am Europaplatz die Oker erleuchtet) hinein in den Bürgerpark.

Ein bunter, beleuchteter, überdimensionaler Kreisel liegt auf der Wasseroberfläche des Fluss Oker. Die Umgebung ist nachtschwarz.
Der strandet drifter von Sven-Julien Kanclerski liegt auf der Oker wie ein gestrandetes Ufo oder ein viel zu großer schwimmender Kreisel. Foto: BSM

Mittlerweile ist es schon dunkel geworden und ich bin froh, dass uns die vielen uns entgegenkommenden Radfahrer mit ihren Lichtern den richtigen Weg weisen. Überhaupt ist auffällig, wie viele Braunschweiger*innen und Gäste sich die Kunstwerke ansehen – ob zu Fuß, mit dem Rad oder zu Wasser. Der Lichtparcours 2020 ist ein echter Besuchermagnet und es ist ein Glück, dass die Ausstellung trotz Corona gezeigt werden darf. Natürlich gilt auch für den Lichtparcours ein Hygienekonzept, so achten Sicherheitsleute an jedem Kunstwerk darauf, dass Abstand zwischen den Gruppen gehalten wird und – wenn es eng wird – auch ein Mundschutz getragen wird.

Im Bürgerpark passieren wir zunächst die Light Steps von Brigitte Kowanz, die in ihrer Laufbahn zwar schon häufiger mit Lichtröhren gearbeitet hat, zum ersten mal aber im öffentlichen Raum eine Arbeit zeigt. Ihre über die Oker schwebende Lichttreppe fragt, inwieweit Licht Architektur und Raum sein sowie Objekte und Menschen ein- oder ausgrenzen kann. Johannes Wohnseifer zeigt mit No Sleep Braunschweiger Straßenlaternen, die, nachdem sie ihren Dienst getan haben, sich auf einem Stockbett zu Ruhe gelegt haben und hier nun vor sich herträumen.

Straßenlaternen liegen auf einem Regal und erleuchten die Umgebung
No Sleep von Johannes Wohnseifer. Foto: BSM

Wir gehen weiter zur Drachenbrücke, die von Anselm Reyle mit seinem Werk She will o the wind inszeniert wird, überqueren diese und gehen zurück in Richtung Stadt. Die letzte Arbeit im Bürgerpark ist Acqua Alta von Benjamin Bergmann, eine Fontäne aus Licht und Wasser inmitten der Oker.

Vom Bürgerpark geht es für uns in den Garten der Städtischen Musikschule, wo sich die Arbeit Bar du Bois des Künstlerkollektivs Andreas Harrer, Florian Pfaffenberger und Julian Turner befindet. Die Bar du Bois ist so etwas wie das Festivalzentrum des Lichtparcours, hier finden viele der Begleitveranstaltungen statt.

Auf zur zweiten Hälfte

Unsere nächste Station ist so etwas wie die Wiederentdeckung eines vergessenen Kleinods: Nevin Aladağ inszeniert über der Oker in Rimpaus Garten zwei Aluminiumformen, die Ähnlichkeit mit einer beliebten Lampe haben. Durch Color-floating 1 & Color-floating 2 bekommt der öffentliche Raum eine private Sphäre. Von Rimpaus Garten geht es weiter zur Wallmauer am Löwenwall, an der Tim Etchell seine Installation IN THE TREES zeigt.

Das Bild ist fast schwarz, nur die Wörter The Sound You leuchten pink.
The Sound you are frightened of … Auf 30 Metern länge erstreckt sich die Installation von Tim Etchell. Foto: Stadt Braunschweig / Daniela Nielsen

Langsam werden wir fußmüde, aber wir haben noch gut ein Drittel des Parcours vor uns. Über die Steintorbrücke, wo Paul Schwer Die Wärterin inszeniert, geht es in den Museum- und Theaterpark. Hier sind neben den Bestandskunstwerken Solarkatze von Michael Sailstorfer (ein Werk des letzten Lichtparcours) und Evokation in Rot von Yvonne Goulbier die Werke von FORT & Anna Jandt und Joseph Zehrers Neptuns combo zu sehen. FORT & Anna Jandt versenken für ihr Werk Hellsinki drei Straßenlaternen halb in der Oker und installieren somit eine Beleuchtung für die Wasserstraße – oder ist das Werk doch ein Kommentar auf den Klimawandel und deutet eine Überschwemmung an?

Nach etwa 6,5 Kilometern erreichen wir die Technische Universität Braunschweig, wo die letzten beiden Kunstwerke platziert sind. Lotte Lindner & Till Steinbrenner, ein Künstlerpaar aus Hannover, projizieren auf das Okerhochhaus der TU einen Film: Unablässig rudert eine Ruderin dort das Hochhaus hinauf – und kommt dennoch nicht vom Fleck. EKSTASE II heißt das Werk und könnte eine moderne Variante des Sisyphus-Mythos sein. Die letzte Arbeit Kieloben ist entstanden in einem Seminar der TU Braunschweig. Das Institut für Architekturbezogene Kunst haben Studierende ein Boot entworfen, das kopfüber im Wasser liegt. Zieht man an einem Seil, das mit dem Boot verbunden ist, erweckt die Zuschauer*in das Boot zum Leben: es beginnt zu leuchten.

Bunte Lichter unter einer Brücke. Darunter ein Kahn mit Menschen.
Das Kunstwerk She will o the wind von Anselm Reyle ist wohl das meistfotografierte Werk des Lichtparcours 2020.

Ganz schön geschafft gehen wir mit vielen Eindrücken nach Hause. Die App war für uns die perfekte Möglichkeit, den Lichtparcours spontan und auf eigene Faust zu entdecken. Etwas mehr als drei Stunden waren wir unterwegs, das hat gut für den langen Samstagabend gepasst. Wem das zu lang ist, der kann mithilfe der App den Parcours auch in Häppchen erkunden.

Oder Sie lassen sich entlang des Lichtparcours führen und wählen aus einem vielfältigen Führungsprogramm. Ein tolles Erlebnis bietet hierbei die Okerfahrt im Dämmerlicht: Mit dem Floß gleiten Sie über den stillen Fluss und erfahren interessante Details über die außergewöhnlichen Lichtobjekte. Oder Sie lassen sich mit dem Rad oder zu Fuß zu den Kunstwerken führen, es gibt verschiedene Touren die etwa eineinhalb bis drei Stunden dauern. Details zu den einzelnen Führung und weitere Angebote finden Sie unter www.braunschweig.de/angebote-lichtparcours.

Zwei Fahrradfahrer stehen vor einer Skulptur: Auf einem Sockel sitzt eine Katze, die von einer Straßenlaterne angestrahlt wird.
Die Skulptur Solarkatze von Michael Sailstorfer wurde 2016 am Löwenwall errichtet und steht jetzt als permanentes Kunstwerk im Theaterpark. Foto: BSM

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