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Historie, die ins Heute strahlt

Es ist eine Melange aus Faszination und mildem Grusel, die die beiden bestrahlten Billboard-Plakate des Museums für Photografie am Abend zur Eröffnung der Ausstellung „Landschaft. Umwelt. Kultur. – Über den transnationalen Einfluss der New Topographics“ bei mir auslösen. Die Motive der Künstlerin Carma Casulá bebildern einen ästhetisch fragwürdigen Status Quo menschlicher Einmischung in die Landschaft.

Carma Casula¦ü _El Soplao_aus der Serie Al Natural.

Carma Casulá: El Soplao, aus der Serie Al Natural.

Bei ihren Bildern fällt der Startschuss zum Engelchen-Teufelchen-Spiel im Kopfkino unmittelbar bei der Betrachtung. Natürlich ist die Höhle El Soplao in Nordspanien, die auf einer der Stellwände zu sehen ist, auch oder gerade, weil sie Blau, Rot und Gelb ausgeleuchtet ist, ein Hingucker. Der hausinterne Engel hat also durchaus Argumente. Doch für alle Tage ist diese Form der Effekthascherei zu viel des Guten. Das Teufelchen in mir jedenfalls fragt: Warum tun Menschen der Natur so etwas an?

Eine Antwort auf diese Frage geben die Protagonisten der Stilrichtung New Topographic Movement ab Mitte der 1970er Jahre zwar nicht, dafür aber entdecken sie den bis dahin vernachlässigten fotografischen Blick auf einschneidende Veränderung in der amerikanischen Landschaft, dokumentieren menschlichen Eingriff in den Lebensraum. Die von Kurator William Jankins 1975 in Rochester unter dem Titel „New Topographics: Photographs of a Man-altered Landscape“ versammelten Fotografen stellten das bis dahin geltende Ideal der Landschaftsfotografie – malerische, unberührte Natur – auf den Kopf. Ein Wendepunkt in der Geschichte der Fotografie.

Serie von Christina Capetillo: Landworks, seit 2015. Foto: André Pause

Serie von Christina Capetillo: Landworks, seit 2015. Foto: André Pause

Die Braunschweiger Ausstellung mit dem Charakter eines Historienprojekts untersucht nun den Einfluss der „New Topographics“ auf künstlerische Positionen aus sechs Ländern im Hier und Jetzt. Mittels einer vergleichenden Gegenüberstellung wird in den beiden Torhäusern an der Helmstedter Straße nach inhaltlichen Gemeinsamkeiten, aber auch nach Differenzen in der bildlichen Ausrichtung und Komposition gefragt. „Wir wollten schauen: Wie hat die Historie in einzelne Länder gestrahlt. Welche einheitlichen Merkmale lassen sich in den Bildsprachen der Länder ausmachen und welche nationalen Unterschiede und Besonderheiten lassen sich in topographischen Landschaftsdarstellungen aus den USA, Frankreich, Deutschland, England, Spanien, Dänemark und den Niederlanden erkennen?“, skizziert Dr. Gisela Parak, die Leiterin des Museums für Photographie im Gespräch.

Joachim Schumacher: Rheinisches Braunkohlerevier, 1984.

Joachim Schumacher: Rheinisches Braunkohlerevier, 1984.

Der Wahl-Gelsenkirchner Joachim Schumacher ist mit Arbeiten aus zwei Werkreihen bei der Schau vertreten. Die Serie „Ruhrgebiet“, bestehend aus nüchternen Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die rauchende Industrieanlagen oder Wohnblöcke zeigt, die Rückseiten glatter Fassaden, läuft bereits seit 1977. Das erzählt mir der Künstler, einer der drei anwesenden von insgesamt neun beteiligten Fotografen dieser Schau: „Das Projekt ist nie abgeschlossen. Ich habe meine Abschlussarbeit damals als offenes Thema angelegt, und immer weiter daran gearbeitet. Vor etwa zehn Jahren fing ich an, sie im professionellen Rahmen zu zeigen. Mittlerweile ist auch ein zeitlicher Abstand da, so dass die Fotos noch historischer wirken. Was sicherlich mit der schwarz-weißen Darstellung zu tun hat, noch mehr allerdings mit den Motiven, die eine Zeit verkörpern, die vorbei ist.“

Sein Handwerk gelernt hat Schumacher bei Otto-Steinert an der Essener Folkwangschule. „1972 kam ich als Saarländer ins Ruhrgebiet und hatte zunächst Adaptionsprobleme“, lächelt der Fotokünstler. Das allerdings hat sich gelegt. Die direkte, unkomplizierte Art der Leute habe ihn letztlich im Pott festgehalten. Mit seinen Arbeiten, die den in Riesenschritten vollzogenen Strukturwandel inklusive Zechenschließungen dokumentieren, gilt Schumacher längst als fotografischer Chronist des Ruhrgebiets. Seit Mitte der 1990er arbeitet er in Farbe. „Meine Motive sind ähnlich, mich interessiert immer noch das Banale in meiner unmittelbaren Umgebung, nur berücksichtige ich heute eher die Stadtlandschaft.“

Regine von Monkiewitsch, Vorstandsvorsitzende des Photomuseums, und Künstler Joachim Schumacher im Gespräch. Foto: André Pause

Regine von Monkiewitsch, Vorstandsvorsitzende des Photomuseums, und Künstler Joachim Schumacher im Gespräch. Foto: André Pause

Eint die kuratierten Fotografen der Braunschweiger Ausstellung auch eine registrierende, unparteiische Distanz im Blick auf das Motiv, so möchte ich die gezeigten Positionen doch grob in drei Gruppen einordnen: Einigen Künstlern (z.B. Joachim Schumacher und Theo Baart) geht es um die akribische Dokumentation eines Transformationsprozesses, anderen (z.B. Jennifer Colten und Carma Casulá) um die schlichte und formenklare bis farbrauschend überästhetisierende Bebilderung des Resultats von Eingriffen in die Landschaft. Einen in dieser Schau exklusiven Ansatz verfolgt allein Rachael Jablo, die mit ihrer Serie „The Neighbours“ Gegenüberstellungen vornimmt und so die Unterschiede des menschlichen Umgangs mit der Ressource Natur in einen bisweilen, wie ich finde, nicht unkomischen Kontrast setzt: auf der einen Seite die nagelscherengepflegte Hecke, auf der anderen der verdorrte Busch. Ein weiteres Mal die zwei Seiten einer Medaille.

Fotokünstlerin Rachael Jablo und Dr. Gisela Parak, Leiterin des Museums für Photographie. Foto: André Pause

Fotokünstlerin Rachael Jablo und Dr. Gisela Parak, Leiterin des Museums für Photographie. Foto: André Pause

Stärker als im Werk der Vorbilder aus den 1970er Jahren präsentiert sich in vielen Positionen des Ausstellungsprojekts „Landschaft. Umwelt. Kultur.“ zeitgenössische Umweltkritik. Das erscheint in Zeiten des globalen Klimawandels zwar naheliegend, zeigt mir als Betrachter aber immerhin einen Ansatz der Zuspitzung. Mich hat der Besuch in den Torhäusern des Museums für Photographie jedenfalls dazu angestiftet, mich mit den ursprünglichen Beweggründen der Stilrichtung New Topographic Movement einmal etwas ausführlicher auseinanderzusetzen.

Informationen

Landschaft. Umwelt. Kultur. – Über den transnationalen Einfluss der New Topographics
23.10. – 29.11.2015
Museum für Photographie Braunschweig e.V.
Helmstedter Straße 1
38102 Braunschweig
Telefon 0531 / 7 50 00
www.photomuseum.de

Öffnungszeiten:
Dienstag bis Freitag 13:00 – 18:00 Uhr
Samstag und Sonntag 11:00 – 18:00 Uhr

Eintritt:
2,50 Euro / 1 Euro ermäßigt

Begleitprogramm:
Regelmäßige Führungen, sonntags 16:00 Uhr

Symposium:
From a „Topographic“ to an „Environmental“ Understanding of Space—Looking into the Past and into the Presence of the New Topographics Movement
30.10.2015, 9 –18 Uhr im Architekturpavillon der TU Braunschweig, Pockelsstraße 4, 38106 Braunschweig, Eintritt frei, Anmeldung erforderlich: info@photomuseum.de

Artikelbild: Carma Casulá: Al Natural, 2011-2014. Foto: André Pause

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