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Durch die Lehndorfer Feldmark

Nur ein paar Minuten sind es vom westlichen Ringgebiet bis nach Alt-Lehndorf. Das Erste, was mir auffällt, ist der niedrige Geräuschpegel. Ungewohnt ruhig ist es hier im direkten Vergleich mit dem innerstädtischen Gewusel, lediglich eine Handvoll Leute besuchen an diesem sonnigen Samstagvormittag ihre Pferde im Reiterhof. Ich stehe angemeldet als Teilnehmer zur Tour de Flur auf dem Gelände von Manfred Walkemeyer in der Großen Straße. Der gelernte Land- u. Pferdewirtschaftsmeister führt ausgehend von seinem Betrieb für die Veranstaltung des Niedersächsischen Landvolkes Braunschweiger Land e. V. wiederholt interessierte Besucher durch die an den Westpark grenzende Lehndorfer Feldmark, eine der großflächigen grünen Lungen Braunschweigs.

Lehndorfer Agrarhistorie
Ländliche Ruhe in Lehndorf. Foto: André Pause

Ländliche Ruhe in Lehndorf. Foto: André Pause

Bevor es mit dem Fahrrad auf die acht Kilometer lange Fahrt durch die klimatische Pufferzone geht, und Walkemeyer stationsweise Ackerflächen, Grünlandflächen, Bienenstöcke und einen Bisonbestand erklärt, gibt er in der leer geräumten Heuscheune eine ausgiebige Einführung in die geschichtliche Entwicklung des Betriebes. Diese ist ein Stück Lehndorfer Agrarhistorie. 1751 startete der Kotsasse (abhängiger Kleinbauer) Gottfried Walkemeyer auf weniger als fünf Morgen (ein Morgen hat 2.500 Quadratmeter) den mittelständischen Familienbetrieb. Zur damaligen Zeit existierten 25 Bauernhöfe im bis heute dörflich geprägten Stadtteil in Braunschweigs Westen. Anno 2016 sind es nur noch zwei.

Der Gastgeber erzählt – teilweise anekdotenhaft – Wissenswertes über die einzelnen Generationen des Betriebes (er selbst markiert die fünfte), zeigt Bilder aus dem letzten Jahrhundert, beispielsweise wie Vater und Großvater auf dem Feld mit einem damals topmodernen Nähbinder unterwegs sind, und er präsentiert allerhand Gerätschaften, vom Dreschflegel bis zur Flachsbreche, die allein den ältesten Tour-Teilnehmern noch bekannt vorkommen, allen anderen jedoch ein fragendes Runzeln auf die Stirn treiben.

Der Strukturwandel
Manfred Walkemeyer erklärt, wie sich die Arbeit in der Landwirtschaft verändert hat. Foto: André Pause

Manfred Walkemeyer erklärt, wie sich die Arbeit in der Landwirtschaft verändert hat. Foto: André Pause

1972 erfolgte der Reithallenbau in Lehndorf. „Mein Vater hat zusammen mit einem Mitarbeiter gemauert, und meine Mutter in der Zeit Rüben gerodet“, erzählt Walkemeyer lakonisch. Gerade wurden die alten Stallungen und die Reithalle aufwendig umgebaut. 42 Pensionspferde haben jetzt ein hochmodernes Zuhause. Trotzdem blickt der Landwirt ein bisschen wehmütig auf die Bilder seines Stadtteils vor dem Bau der Tangente. Er selbst hat den Betrieb 1992 mit 62,7 Hektar Fläche übernommen. Da war die Belegschaft schon auf sechs Kräfte reduziert. Es folgte die Erweiterung der Wirtschaftsgebäude unter anderem eine Halle für Tieflader mit Getreide oder Dünger. Mittlerweile werden 180 Hektar Fläche bewirtschaftet. Zwei Mitarbeiter gibt es noch: Einer ist zuständig für die Pferde, der andere arbeitet ein halbes Jahr jeweils bis September bei Walkemeyer und absolviert die Rodesaison bei der Rodegemeinschaft Auetal beziehungsweise der Abfuhrgemeinschaft Wierthe. „Der Strukturwandel hält auch hier Einzug. Wir können uns lange sehnen nach Bullerbü-Landwirtschaft, wir müssen es am Ende aber auch bezahlen können“, sagt Manfred Walkemeyer mit kritischem Blick auf die immer noch ausgeprägte Verbraucherentscheidung für billige Lebensmittel. Und auch mit der einen oder anderen politischen Entscheidung, aktuell beispielsweise mit der überarbeiteten – sprich verschärften – Düngegesetzgebung, hadert er.

Technisierung und Industrialisierung

Ein Schmunzeln kehrt auf Walkemeyers Gesicht zurück, als er sich an die Zeit erinnert, in der er in mühsamer Prozedur mit dem Stoll-Einreiher pro Tag etwa 0,75 Hektar gerodet hat: „Ich habe nur nach hinten geguckt, ob die Zuckerrüben reinfallen. Fiel eine daneben, wurde die bei der nächsten Reihe reingeschmissen, weil sie ja Gold wert war. Abends konnte ich mich dann nicht mehr drehen, weil ich acht Stunden nur nach links über die Schulter geguckt habe.“ Heute werde dagegen alles in die Bedieneinheit des Rodefahrzeugs einprogrammiert, im Dreischichtsystem gearbeitet. Ein Hektar ist im modernen Landwirtschaftsbetrieb innerhalb einer Stunde bearbeitet. Auch die zielgenaue Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln erfolgt längst am Computer auf dem Traktor. Technisierung und Industrialisierung gehen im landwirtschaftlichen Produktionsprozess Hand in Hand. Seit 2011 ist Walkemeyer Mitglied einer Maschinen- und Anbaugesellschaft, das hilft Kosten zu sparen.

Die Kulturlandschaft als Erholungs- und Freizeitraum
Fahrt ins Gelbe: Der Raps dominiert die Landschaftsfarbe. Foto: André Pause

Fahrt ins Gelbe: Der Raps dominiert die Landschaftsfarbe. Foto: André Pause

Wieder unter freiem Himmel, bei der Tour de Flur auf den Wegen der Feldmark, stechen dem hier schreibenden Stadtmenschen solche Veränderungen nicht unbedingt ins Auge. Eher genieße ich – wie sonst auch – die abwechslungsreiche, von den Landwirten für die Verbraucher kostenlos gepflegte Kulturlandschaft als Erholungs- und Freizeitraum. Fast 40.000 Hektar bewirtschaften die etwa 4.000 meist an die Institution Niedersächsisches Landvolk Braunschweiger Land angegliederten Landwirte im Gebiet zwischen Goslar, Helmstedt, Peine und Braunschweig. In der Lehndorfer Feldmark setzt Manfred Walkemeyer auf eine dreigliedrige Fruchtfolge: Zuckerrübe, Weizen, Gerste. Zu sehen ist davon derzeit freilich noch nichts, ebenso wenig wie vom Mais. Nur der knallgelbe Raps vor den Toren Lammes steht in üppiger Blüte. Im Verbund mit strahlendem Sonnenschein und dem fröhlichen Gesang der Feldlerchen ist allein das schon Grund genug für eine kleine Landpartie.

Am kommenden Samstag ab 10 Uhr findet eine weitere Tour de Flur statt. Noch sind Plätze frei. Anmeldungen nimmt die Geschäftsstelle des Landvolkverbandes telefonisch unter 0531 28 77 00 oder per Mail entgegen.

Artikelbild: André Pause

 

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