Nichts für schwache Nerven
Die Aufnahme der vier Elfenbein-Figuren von Balthasar Permoser in die Ausstellung für Skulpturen und Angewandte Kunst nehme ich zum Anlass, dem Herzog Anton Ulrich-Museum (HAUM), das auch als Louvre des Nordens bekannt ist, endlich einen Besuch abzustatten. Permoser, der als einer der wichtigsten und einflussreichsten Bildhauer der Barockzeit gilt, stellt mit seinen filigranen Statuetten, die er vermutlich im Auftrag von Herzog Anton Ulrich im Jahr 1695 gefertigt hat, den Vier-Jahreszeiten-Zyklus dar. Die Figuren Frühling und Sommer waren durchgängig in Braunschweig beheimatet, während Herbst und Winter nach dem Sieg Napoleons über den Braunschweiger Herzog Carl Wilhelm Ferdinand 1806 mit der flüchtenden herzoglichen Familie die Löwenstadt verließen. Nachdem sich die Spur der Statuetten für mehr als 100 Jahre verloren hatte, tauchten sie 1931 auf dem englischen Landsitz Harewood House wieder auf.
Das Museum hatte mehrere Jahrzehnte erfolglos sein Interesse an den Figuren bekundet, bis sich die Familie Harewood im Herbst 2015 zum Verkauf entschloss. Die Kaufsumme konnte schnell aufgebracht werden, für die Wiedervereinigung der vier Jahreszeiten schien alles geregelt. Die britische Bürokratie machte den Braunschweiger Kunstexperten jedoch einen Strich durch die Rechnung. In Großbritannien wird für die Ausfuhr bestimmter Kunstwerke eine „Export License“ benötigt, die beinahe nicht erteilt worden wäre, hätte die britische Regierung ein nationales Interesse an den Kunstwerken angemeldet. Doch damit nicht genug: Die englische Behörde für Kunst rief öffentlich dazu auf, die Kaufsumme von 1,8 Millionen Pfund aufzubringen, um die Figuren im Land zu halten. Da keine Kaufangebote getätigt wurden und die Export License ausgestellt wurde, kehrten die Figuren im Oktober 2016 endlich in die Löwenstadt zurück. Hier werden sie nun im renommierten Kunstmuseum der Öffentlichkeit präsentiert.
Reduktion auf das Wesentliche
Ich gehe die repräsentative Treppe hinauf bis ins zweite Obergeschoss und betrete die Räume der Skulpturen-Ausstellung, wo mich die Skulpturen der Antike empfangen. Die Wände sind in königsblau gestrichen, jede einzelne Figur wird von einem Deckenstrahler in Szene gesetzt. Besonders gut gefällt mir von Anfang an die schlichte Präsentation der Skulpturen, die sich durch die gesamte Ausstellung zieht. Dadurch wird der Blick auf das Wesentliche gelenkt. Die Beschreibungen der Exponate sind auf das Nötigste reduziert, wodurch keine langen und ausschweifenden Texte gelesen werden müssen.
Die folgenden Räume zeigen Skulpturen aus dem 16. bis 18. Jahrhundert sowie Stücke aus bedeutenden Porzellan- und Keramik-Manufakturen. Unter den Skulpturen des 16. bis 18. Jahrhunderts befinden sich Darstellungen griechischer Philosophen sowie Ausstellungsstücke aus Elfenbein. Zudem werden in diesem Raum vier ostasiatische Figuren gezeigt, die mir besonders auffallen: Sie sind farbenfroh bemalt und teilweise mit Gold besetzt. Dadurch bilden sie einen Kontrast zu den unifarbenen Skulpturen, die den restlichen Raum ausfüllen.
Ein Querschnitt durch die Stilrichtungen der Welt
Nachdem ich mir französische Werke aus buntem Maleremail und eine Sammlung italienischer Majolika angeschaut habe, betrete ich einen stark abgedunkelten Raum mit tiefroten Wänden. Ich habe die Kunst Ostasiens erreicht. Durch die punktuelle Beleuchtung der Exponate wird besonders auf die aufwändige Verzierung der Truhen, Schalen und anderen Schätze hingewiesen. Auch hier fällt mir wieder auf, dass die Wandfarbe die Präsentation der Ausstellungsstücke besonders gut unterstützt. Etwas weiter erreiche ich den Raum für junge Kunst. Mit wechselnden Sonderausstellungen wird hier zeitgenössische Kunst präsentiert, die eine Verbindung der historischen Kunstwerke mit der Gegenwart schafft. Eine sehr schöne Idee, wie ich finde.
Mit der Kunstkammer der Welt, in der der künstlerische Kosmos von Renaissance bis Barock aufgezeigt wird sowie der Sammlung Angewandtes Wissen: Verortung des Ich, passiere ich die grünen Räume, die für mich viel Frische ausstrahlen. Aus dem Leben der Adligen im 18. Jahrhundert berichten die Sammlungen Mode, Zeitvertreib und Vergnügen: Lifestyle im Dienste der Repräsentation sowie Tafelkultur: Essen und Trinken. Hier kann ich aufwändige Spitzen aus Europa betrachten, außerdem erhalte ich einen Eindruck, wie die Tische zur damaligen Zeit gedeckt gewesen sein müssen: mit viel Glitzer und Prunk.
Filigran, kunstvoll und dynamisch
Die Farbe hellblau steht im HAUM für Helden, Legenden und Vorbilder, mit denen die Grundlagen der fürstlichen Herrschaft dargestellt werden. Neben antiker Steinschneidekunst und Keramik sind auch Werke mit christlichen Themen zu sehen. Das Highlight dieses Raumes sind für mich natürlich die Permoser-Figuren. Die filigranen Figuren werden in einer Glasvitrine präsentiert und bestechen vor allem durch die Detailliertheit, in der sie dargestellt sind. Selbst Verzierungen an der Kleidung sowie Muskeln und Sehnen an den kräftig geformten Armen und Beinen der Figuren sind zu sehen. Auf mich wirken sie dadurch sehr dynamisch, auch wenn sie sich natürlich keinen Millimeter bewegen können. Die Figuren sind nur so groß wie mein Unterarm lang ist, dennoch sind es große Werke, die Balthasar Permoser geschaffen hat.
Ein knalliges Finale
Im Anschluss an die feine und zurückhaltende Darstellung der Vier Jahreszeiten kommt noch einmal ein Knaller – im wahrsten Sinne des Wortes. Ein pink angestrichener Raum, in dem sich ein Spiegelschrank befindet. Ich komme mir ein bisschen vor, wie in einer Diskothek und zwar mit dem Namensgeber des Hauses. Mitten im Raum thront eine Büste von Herzog Anton Ulrich. Er schaut zufrieden drein und das kann er auch sein, denn ein Besuch der Skulpturen-Galerie ist wirklich ein Erlebnis.
Informationen:
Herzog Anton Ulrich-Museum
Museumstraße 1, 38100 Braunschweig
Telefon: 0531 – 1225-0
Öffnungszeiten:
Di – So von 11:00 bis 18:00 Uhr, Mo geschlossen
Beitragsbild: Endlich wieder vereint: Die Vier Jahreszeiten in Elfenbein von Balthasar Permoser. Foto: C. Cordes, HAUM
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