Nachdem die Braunschweiger Jecken am 11. November 2016 das Zepter übernommen haben, beginnt jetzt die Hochsaison ihrer Regentschaft über die Löwenstadt: Auf die großen Karnevalssitzungen, Büttenabende und natürlich den Schoduvel haben sich die Karnevalgesellschaften schon das ganze Jahr vorbereitet. Die satirischen Jahresrückblicke der Büttenredner sind längst zu Papier gebracht, die Choreografien der Gardetänze können die Tänzerinnen und Tänzer im Schlaf. Jetzt wird geprobt und an den Texten gefeilt, der eine oder andere Witz noch ausgetauscht und Feedback von den Kollegen eingeholt, damit alles passt beim großen Auftritt.
Drei Karnevalsgesellschaften gibt es in Braunschweig: die Braunschweiger Karnevals-Gesellschaft von 1872 e. V., die Mascheroder Karnevalgesellschaft Rot-Weiß 1965 e. V. und die Karnevals-Vereinigung der Rheinländer e. V. Braunschweig. Alle drei präsentieren sich auf ihren Karnevalssitzungen, die als Prunksitzung, Karneval-Show oder Büttenabend firmieren, alle drei haben ihren eigenen Charakter, aber alle drei haben ein Ziel: den Karneval zu feiern. Und das gemeinsam mit Braunschweigerinnen und Braunschweiger.
Weil ich kein Experte im Karneval bin, habe ich mir Unterstützung eingeladen. Svenja Großhennig, Rainer Grossert und Sven Laucke erklären mir die Besonderheiten des Braunschweiger Karnevals. Sie alle sind leidenschaftliche Karnevalisten und jede beziehungsweise jeder auf ihrem und seinem Gebiet Experte. Svenja Großhennig tanzt und trainiert jetzt die Jugendgarde der Braunschweiger Karnevalsgesellschaft, Rainer Grossert ist Sitzungspräsident der Karnevals-Vereinigung der Rheinländer und tritt seit mehr als fünfzehn Jahren als Doofe Nuss bei der Prunksitzung auf. Sven Laucke ist ebenfalls Büttenredner, darüber hinaus singt und tanzt er auch auf der Karneval-Show der Mascheroder Karnevalgesellschaft.
Im Unterschied zu den Karnevalssitzungen aus Mainz, sind die Sitzungen in Braunschweig lockerer gestaltet. „Unser Bühnenbild zum Beispiel ist ein Marktplatz, wo sich alles drauf tummelt und das ganze Programm abspielt“, erklärt Sven Laucke die Mascheroder Karnevalssitzung. „Wir wollen weg von der doch steifen Sitzung, wie man es aus dem Fernsehen kennt, hin zu einer Show. Deshalb gibt es bei uns auch keinen Elferrat, der vor dem Publikum thront.“
Als Sitzungspräsident der Karnevals-Vereinigung der Rheinländer schreibt Rainer Grossert das Programm, vom Einzug über die Musikauswahl der Sänger, dem Bühnenprogramm bestehend aus Büttenreden, Tanzeinlagen, Funkenmariechen, Funkengarden, Sänger … mir schwirrt der Kopf. Es gibt so viele Aufgaben, Gruppen und Möglichkeiten, sich im Karneval auszuleben. Da müsste doch für jeden etwas dabei sein. „Ja, für jeden ist etwas dabei“, bestätigt Sven Laucke, „ob auf, vor oder hinter der Bühne, ob als Redner, Tänzer, Page, als Lichttechniker oder Aufbauhelfer. Ich glaube, es gibt wenige Vereine, wo man sich so vielseitig einbringen kann.“
„Eines darf man nicht vergessen: Wir sind keine Profis, sondern Amateure und natürlich sehr stolz darauf, was unsere Mitglieder vorbereitet haben und können“, erzählt Rainer Grossert. „Wir bereiten uns alle ein Jahr auf die Sitzungen vor und an diesem einen Abend können wir uns zeigen – und auch vor einem großen Publikum zeigen.“ „Mit dem Programm wollen wir die Menschen bis zum Schoduvel in Stimmung bringen und gemeinsam feiern – nach den Sitzungen mit richtiger Party mit DJ und Tanz“, ergänzt Svenja Großhennig.
Svenja Großhennig ist durch den Tanzsport in den Karneval „hineingerutscht“, wie sie es ausdrückt. „Mittlerweile ist neben dem Sport die freundschaftliche Ebene nicht mehr wegzudenken. Es ist einfach schön, gemeinsam zu feiern, zu singen und zu schunkeln – auch mit den anderen Vereinen – diese eingeschworene Gemeinschaft macht einfach Spaß.“
Wie eine Familie sei der Karneval, ergänzt Sven Laucke. „Wir sind eine Gemeinschaft von Menschen, die die gleiche Verrücktheit mitbringen, den gleichen Enthusiasmus und für das leben, was wir da tun. Das motiviert mich immer, mir jedes Jahr aufs Neue eine neue Geschichte für meinen Auftritt auszudenken.“ Rainer Grossert berichtet: „Das fängt ja nach dem Schoduvel schon an. Ich habe immer mein Notizbuch und meinen Stift dabei, um mir alles notieren zu können, was ich so aufschnappe – sei es beim Busfahren oder auf der Arbeit. Und dann feile ich ein Jahr lang an meinem Auftritt, münze Witze auf meine Figur um und versuche eine Geschichte zu erzählen.“
Thematisch nimmt der Braunschweiger Karneval Bezug auf die Region. Der städtischen Politik wird der Narrenspiegel vorgehalten und das aufgenommen, was gerade angesagt ist. „Wir machen das von Braunschweigern für Braunschweiger. Da steckt viel Herzblut drin. Das honoriert das Publikum und fordert es auch.“ Sven Laucke ist seit Kindheitstagen im Karneval aktiv, hat als Tänzer angefangen, jetzt steht er als Büttenredner und Sänger auf der Bühne.
Durch den aktuellen Bezug des Karnevals auf das gesellschaftliche Leben, ist der Karneval immer neu. Dies gilt auch bei den Tänzerinnen und Tänzern, hier wird jedes Jahr etwas Neues einstudiert. Viele Trainingsstunden sind notwendig, bis so eine neue Choreografie steht: „Dieses Jahr haben sich unsere Garden in der Braunschweiger Karnevalsgesellschaft zusammengetan und tanzen gemeinsam auf dem Büttenabend. Geboten werden 40 Tänzer und Tänzerinnen. Ein einmaliges Bild auf der Bühne“, erzählt Svenja Großhennig. „Und natürlich sind unsere Tänze auch viel, viel sportlicher geworden. Vor fünfzig Jahren hatte das Tanzmariechen hohe Hacken an und hat – wenn sie gut war – ein Rad geschlagen. Heute machen viele unsere Tänzerinnen und Tänzer Flicflacs und freie Räder, sitzen im Spagat. Das ist schon etwas ganz Anderes als früher.“
Hätten Sie gewusst, dass der Karneval so vielfältig ist? Ich bin froh, dass die drei sich Zeit genommen haben, um mir den Braunschweiger Karneval zu erklären. Jetzt bleibt nur die Qual der Wahl: Gehe ich zum Büttenabend der Braunschweiger Karnevalgesellschaft von 1872 am 4. Februar mit frecher Verleihung des Till-Ordens? Oder lieber zur Karneval-Show der Mascheroder Karnevalgesellschaft am 11. Februar? Ich könnte natürlich auch die Prunksitzung der Karnevalvereinigung der Rheinländer gehen und auf der Prinzenparty bis zum Schoduvel durchfeiern. Übrigens: Zum ersten Mal findet nach dem Schoduvel eine öffentliche Rosenmontagsparty im Gewandhauskeller statt. Vielleicht wäre das was für den Anfang?
Haben Sie einen Tipp für mich? Welche Sitzung können Sie empfehlen?
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