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Handarbeit in der Stratosphäre

Die Erde aus dem Weltall sehen? Kein Problem, ich google das mal kurz. Zu einfach, dachte sich Kevin Schmidt. Oder eher „too easy“, denn deutsch ist an Kevin Schmidt allenfalls der Klang seines Namens. In der Remise des Kunstvereins zeigt der Kanadier in seiner Ausstellung „Harmless High Altitude Balloon Amateur Radio Equipment“, dass es auch ohne High-End-Technik geht. Eine selbstgebaute (!) Großformatkamera, in einer mit Styropor ummantelten Kiste drapiert, schickte der Künstler auf die Reise – nicht mit dem Flugzeug, sondern mit einem gasgefüllten Wetterballon. Daher auch der Name der Ausstellung: Harmless High Altitude Balloon Amateur Radio Equipment. Dieser Text stand auf der Kiste, damit mögliche Finder sie nicht für eine Bombe oder dergleichen halten. Denn Schmidt schickte seine Konstruktion in so große Höhen, dass er sich von seiner ursprünglichen Größe (1,5 x 1 Meter) auf etwa 20 Meter Durchmesser ausdehnte, um schließlich irgendwann zu zerplatzen. Im Idealfall sollte die Kamera vor diesem Moment des Zerplatzens ein Foto gemacht haben – ja, richtig gelesen, nur ein Foto.

Aufnahme der Erde. Projektion in Vancouver. Kevin Schmidt

Aufnahme der Erde. Projektion in Vancouver. Kevin Schmidt

Danach kommt der Absturz, abgemildert durch einen kleinen Fallschirm. Sechs Starts hat er durchgeführt – beim letzten Mal vergaß er, die Batterien zu wechseln und bekam kein Foto. So fiel die Wahl auf das Foto aus dem fünften Versuch – das nicht nur aufgrund des Blicks auf die Erde aus 25.000 Kilometern Höhe fasziniert, sondern auch wegen eines winzigen Details. Oben links am Bildrand ist ein gleißendes Licht zu sehen. Schmidts Theorie: Durch den veränderten Druck dehnte sich die Kamera aus, durch eine kleine Lücke konnte Licht einfallen – das Bild wäre also beinahe nie zustande gekommen. Es zeigt die Zerbrechlichkeit dieses Kunstprojekts und macht es dadurch noch authentischer. „Für ein paar hundert Dollar kannst du wie die NASA sein“, scherzt Schmidt, um kurz darauf seinen – ebenfalls selbst konstruierten – Diaprojektor zu präsentieren, mit dem die Aufnahme der Erde auf die Wand projiziert wird. Alles Handarbeit eben. „Mein eigenes, individuelles NASA-Projekt.“

Nebenan, im Haupthaus des Kunstvereins, spielt das Optische nahezu keine Rolle. Clemens von Wedemeyer führt mit „Every Word You Say“ eine fast ausschließlich akustische Präsentation vor. Abgestimmt auf die Architektur der altehrwürdigen Villa Salve Hospes hat er Aufnahmen aus dem Deutschen Spracharchiv so arrangiert, dass der Besucher eine Art Hörspielparcours auf zwei Etagen durchläuft. Von Sprachtests zur Dokumentation verschiedener Mundarten über Psychologen-Gespräche mit einer vermeintlich schizophrenen Frau bis hin zu einer Bewegtbild-Röntgenaufnahme einer Dame, die das Alphabet aufsagt – zur Veranschaulichung der unterschiedlichen Bewegungen des menschlichen Sprechapparats. Das Besondere daran: Das Spracharchiv war früher in genau dieser Villa ansässig.

Sprechende Skulptur. Clemens von Wedemeyer

Sprechende Skulptur. Clemens von Wedemeyer

In einem Raum werden zudem die Schritte der Ausstellungsbesucher aufgezeichnet, die sie beim Betreten des nächsten Raumes zu hören bekommen. Selbst die Statuen im Haus Salve Hospes sind – ebenso wie weitere Gegenstände – mit Kontaktmikrophonen versehen und sprechen zu den Besuchern. Die historischen Audio-Dokumente werden ergänzt durch Effekte und computerbasierte Soundsynthese.

Der Besuch der beiden Ausstellungen ermöglicht also zwei ganz unterschiedliche Kunsterfahrungen. Hier die Faszination des atemberaubenden Anblicks unserer Erde, der das Auge fesselt und den Betrachter ehrfürchtig staunen lässt. Und dort die Einladung, die Augen zu schließen und allein mit dem Gehör einen Einblick ins Innere des Menschen zu gewinnen – allein über die Sprache, ganz ohne Gestik und Mimik.

Information

Kunstverein Braunschweig
Clemens von Wedemeyer – Every Word You Say
Kevin Schmidt – Harmless High Altitude Balloon Amateur Radio Equipment
bis 16. November 2014
Di. – So.: 11 – 17 Uhr
Do.: 11 – 20 Uhr

Öffentliche Führungen
Do.: 18 Uhr und So.: 14 Uhr, sowie nach Vereinbarung

Lessingplatz 12
38100 Braunschweig

(Artikelbild: Landing 2. Kevin Schmidt)

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