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Geburtstagsparty eines Mathematikers

Richard Dedekind war ein großer Braunschweiger Mathematiker. In diesem Oktober wurde sein 185. Geburtstag gefeiert. Mathematikstudentin Haina aus Singapur schreibt im Löwenstadtblog über ihre Erfahrungen in Braunschweig. Haina studiert Mathematik und Chemie an der National Universität Singapur, interessiert sich für alle guten Ideen und schreibt unter anderem über Wissenschaft, Geschichte und ihre Reisen.

„Was ist 1+2+…+100?“

Als Grundschülerin bekam ich dieses scheinbar komplizierte Problem als Hausaufgabe. Unsere Lehrerin erklärte uns später die genial einfache Lösung: Wer zunächst die kleinste mit der größten Zahl addiert und dann immer einen Schritt zur Mitte macht, erhält als Summe jeweils 101: 1+100=101, 2+99=101, …, 50+51=101 Folglich könne man auch 50×101 rechnen, um das Ergebnis 5050 zu erhalten.

„Georg Friedrich Gauß hat diese Methode mit acht Jahren gefunden, als er Schüler in Braunschweig, Deutschland war .“

Das Happy Rizzi Haus. Foto: Haina Wang

Das Happy Rizzi Haus. Foto: Haina Wang

So lernte ich die Löwenstadt kennen. Natürlich war „Braunschweig“ damals nur ein langer Name, aber der kleine Gauß ermutigte mich, Mathematik auszuprobieren.

12 Jahre später studiere ich Mathematik an der Uni. Mein Lieblingsmathematiker ist auch heute ein Braunschweiger. Richard Dedekind (1831-1916) war ein bahnbrechender Gründer der modernen Algebra und der erste, der reelle Zahlen genau definierte. Als ich seine Arbeiten las, beeindruckte mich sofort sein klarer und kreativer Schreibstil.

Im Juli bekam ich eine Einladung von der TU-Braunschweig zu einer Tagung vom 6. bis 8. Oktober anlässlich Dedekinds 185. Geburtstag. Begeistert sagte ich zu und bekam so die Chance, endlich einmal nach Braunschweig zu reisen.

Eine Stadt voller Ideen

Porträt von Gauss auf einem Fensterbild der Schloss-Arkaden. Foto: Haina Wang

Porträt von Gauss auf einem Fensterbild der Schloss-Arkaden. Foto: Haina Wang

Sobald ich die Löwenstadt erreichte, entdeckte ich etwas für mich Ungewöhnliches: In dem kleinen Bahnhof befand sich ein Teil einer Ausstellung über den Sänger John Lennon.

Weiteres Spazieren in der Stadt überzeugte mich dann noch mehr: Braunschweig hat einen authentischen Respekt vor Kultur, den man in vielen Metropolen nur mit Schwierigkeiten finden kann. Süße Löwenfiguren sieht man überall sowie schöne Skulpturen, alte Kirchen, außergewöhnliche Gebäude und Geschäfte mit individuellen Waren.

Ich war überrascht, als ich die Zahl 5050 und ein Porträt von Gauß auf einem Fensterbild der Schloss-Arkaden sah. Auf einem weiteren Bild fand ich ein Porträt von Dedekind mit einer Erklärung seiner berühmten Idealtheorie. Also: Sogar ein Einkaufszentrum schildert die Geschichte der Stadt!

Die Oker im Herbst. Foto: Haina Wang

Die Oker im Herbst. Foto: Haina Wang

Außer der bunten Kultur bietet die Löwenstadt auch wunderschöne Natur. In Singapur ist es immer Sommer, deshalb mag ich den goldenen Herbst in Braunschweig unendlich gern. Der Oktober ist der optimaler Monat, um den Herbst zu genießen. Ich konnte plötzlich verstehen, warum Braunschweiger so fit in Mathematik sind! Um Mathe zu studieren, braucht man Ruhe und frische Inspirationen. Was ist ruhiger und inspirativer als die Natur entlang der Oker?

Der Dedekind-Fanclub

Postkarte, die wir als Geschenk in der Konferenz erhalten haben. Foto: Haina Wang

Postkarte, die wir als Geschenk in der Konferenz erhalten haben. Foto: Haina Wang

An der Konferenz zu Dedekinds Geburtstag nahmen ungefähr 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmer teil, die aus der ganzen Welt angereist waren und eins gemeinsam hatten: Wir alle sind ausnahmslos Dedekind-Fans. Viele von meinen Kolleginnen und Kollegen, deren Arbeiten ich schon gelesen und bewundert hatte, sind Experten für Mathematik, Geschichte oder Philosophie. Es war einfach fantastisch, sie kennenzulernen.

Unser Hauptthema war natürlich Mathematik, das heißt genaue Definitionen der Zahlen, mathematische Funktionen, abstrakte Algebra, usw. Als Mathematikstudentin habe ich sehr viel gelernt, und hatte die Gelegenheit, den „Profis“ meine Fragen zu stellen.

Streiten für eine bessere Freundschaft

Die Innenstadt am Abend. Foto: Haina Wang

Die Innenstadt am Abend. Foto: Haina Wang

Einer von ihnen ist Professor José Ferreirós. Er hat 1993 eine berühmte Arbeit über das Verhältnis zwischen Richard Dedekind und Georg Cantor veröffentlicht. Cantor war auch ein kluger Mathematiker, aber Professor Ferreirós fand es überraschend, dass Cantor in einer Arbeit ein wichtiges Ergebnis von Dedekind kopierte, ohne ihn anzuerkennen. Dedekind war darüber so verärgert, dass er zwei Jahre lang keinen Brief von Cantor beantwortete.

Professor Oliver Deiser von der TU München war nicht vollständig der gleichen Meinung. Durch seinen Vortrag wollte er einen anderen Aspekt der Geschichte aufzeigen. Sein Hauptargument lautete, eine gute Frage zu stellen sei viel wichtiger, als sie zu beantworten. Dedekind habe zwar die Antwort gefunden, aber das originale Problem wurde von Cantor formuliert! Außerdem sei es nicht akzeptabel, dass Dedekind deshalb einen ,kalten Krieg‘ einführte. Der freundliche Streit zwischen den Professoren dauerte noch beim Abendessen an.

Facebook im 19. Jahrhundert

Die Ausstellung „Mensch Dedekind“ stellt  Dedekinds „Facebook“ dar. Foto: Haina Wang

Die Ausstellung „Mensch Dedekind“ stellt
Dedekinds „Facebook“ dar. Foto: Haina Wang

Die Ausstellung „Mensch Dedekind“ in der TU-Bibliothek zeigt, was für ein Mensch Dedekind zusätzlich zu seinen mathematischen Leistungen war: ernst, gerecht und künstlerisch. Er spielte sehr gut Klavier und Cello, komponierte eine Oper und schrieb gern Poesiestücke. Diese Ausstellung wurde teilweise durch Schülerinnen und Schüler des Martino-Katherineum erarbeitet. Sie hatten tolle Ideen, um die Ausstellung attraktiv zu machen.

„Hier entdeckt man wie Dedekinds Facebook-Account aussähe, wenn es Facebook im 19. Jahrhundert gegeben hätte,“ wurde uns erklärt. Verbunden zu sein war also schon damals ein großes Thema!

Wir als Dedekind-Fans sind eine kleine Gesellschaft, aber Braunschweig hat es ermöglicht, uns zusammenzubringen. Eine Stadt, die Träume, Wissen und Leidenschaft willkommen heißt, kann die Welt immer noch besser machen. Ich wünsche der Löwenstadt nur das Beste!

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