Karneval. Sofort habe ich ein Bild von fantasievoll geschmückten Wagen, verkleideten Menschen, Tonnen von Konfetti und Kamellen, die durch die Luft fliegen, und herumwirbelnde Funkenmariechen vor Augen. Aber Braunschweig schießt mir nicht durch den Kopf – wie habe ich mich geirrt! Denn mit dem sogenannten Schoduvel hat die Löwenstadt den viertgrößten Karnevalszug Deutschlands und den größten in Norddeutschland. Seit über 700 Jahren gibt es den uralten Brauch, sich bösen Geistern, Kälte oder Gefahr mit buntem Treiben und Kostümen entgegenzustellen: Der Begriff „duvel“ steht für Teufel und „Scho“ für scheuchen, verscheuchen.
Unter dem Motto „Jetzt erst recht!“ werden am 7. Februar hunderte Wagen durch die Innenstadt fahren und über 250.000 Zuschauer an ihrer bunten Pracht erfreuen. „Jetzt erst recht!“, da im vergangenen Jahr der Umzug aufgrund einer Terrorwarnung abgesagt werden musste. Aber davon lassen sich die Narren nicht unterkriegen, seit dem Sommer bereiten sie sich auf den diesjährigen Schoduvel vor.
Doch wie werden die Karnevalswagen eigentlich hergestellt? Ich bekomme die Gelegenheit, mehr über die hohe Kunst des Wagenbaus zu erfahren und darf einen Blick hinter die Kulissen des bunten Treibens werfen. Die Wagenbauer Konrad Körner und Torsten Koch sowie Zugmarschall Gerhard Baller führen mich durch die heiligen Hallen der Karnevalszentrale. Zwei Drittel aller Wagen werden hier in der Wagenbauwerkstatt gebaut, die drei Künstler Konrad Körner, Torsten Koch und Mathias Rosenbusch lassen dabei ihrer Kreativität freien Lauf.
Als erstes betrete ich die Werkstatt von Konrad Körner. Ein riesiges grünes Monster mit großen Augen starrt mich an. Das Ungetüm hat eine Stange Sprengstoff zwischen den gefletschten Zähnen und hält drohend Säge und Hammer in den Händen. „Terror“ prangt in großen Lettern auf dem Scheusal.
Die meterhohe Figur ist Teil eines Karnevalswagens. Ihr Schöpfer Konrad Körner erklärt mir, wie sie entstanden ist. Zunächst entwickelt er, gemeinsam mit seinen Auftraggebern, Ideen für das Motiv des Wagens, fertigt Zeichnungen an, aus denen dann ein Modell entsteht. Aus Styroporblöcken modelliert der Wagenbauer – mit Kettensäge und Messern ausgestattet – die meterhohen Figuren. Die grobe Bearbeitung der Styroporblöcke oder auch -platten macht Konrad Körner frei mit der Kettensäge, die Feinarbeit erfolgt mit herkömmlichen Küchenmessern.
Die fertigen Figuren werden anschließend mit spezieller Farbe bemalt. Körners Wagen besteht aus zwei Teilen, zum einen aus dem besagten Monster und zum anderen aus einer Gruppe Menschen, die von diesem Ungetüm bedroht werden. Beide Komponenten müssen noch zusammen auf dem Stahluntergestell fixiert werden.
Erfahrung mit der Konstruktion der Wagen hat Körner allemal, seit 1998 ist er für den Karneval kreativ tätig. Ihm ist es wichtig, mit seinen Motiv-Wagen aktuelle Themen umsetzen zu können. Und in diesem Jahr wird eben ein Monster namens Terror durch die Löwenstadt fahren – ganz bewusst nehmen die Karnevalisten dieses Thema auf, denn zum Karneval gehören Kritik und Satire dazu, wie Körner betont.
In der nächsten Halle werde ich nicht von gigantischen Fangzähnen begrüßt, sondern bunte Glitzerpartikel in Lila, Rot und Gold empfangen mich. Künstler Torsten Koch antwortet auf die Gefahr des grünen Terror-Monsters mit Glitzer. Mit viel Glitzer. Der Künstler baut fleißig an seinem „Friedenswagen“. Das Modell steht schon und verheißt einen glitzerbunten orientalischen Wagen, über und über mit Ornamenten und Mustern verziert. Die sind nämlich Kochs Leidenschaft. Die Inspiration zu seinen Wagen holt er sich aus Büchern oder dem Internet. Frisch von der Muse geküsst, legt Torsten Koch mit dem Modellbau los, er arbeitet lieber direkt am Modell und passt es immer wieder seinen Vorstellungen an.
Seinen Wagen sieht er als Gegenstück zu dem von Konrad Körner, er soll Frieden und die gelungene Integration von Muslimen darstellen. Um diese Aussage zu verdeutlichen, nehmen auch Braunschweiger Muslime an dem Karnevalsumzug teil – auf Kochs Wagen. Schiiten, Aleviten, Sunniten und Jesiden werden in dem bunten Glitzerwagen fahren, der Gastronom Metin Aslan, Inhaber des Tandure im ARTmax, hat dies organisiert, wie ich von Zugmarschall Gerhard Baller erfahre.
Nach der Absage im letzten Jahr kamen viele Solidaritätsbekundungen aus den verschiedenen Gemeinden, der Wunsch ein Zeichen für Toleranz und Weltoffenheit zu setzen war allgegenwärtig, wie Baller betont. Auf dem Wagen des Zugmarschalls fahren der katholische Bischof von Hildesheim, der Bischof der evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig, der Vorsitzende des Rates der Muslime und ein Vertreter der jüdischen Gemeinde mit.
Der Tag des Umzuges sei für alle etwas ganz Besonderes, verrät mir Konrad Körner. Wenn früh morgens die Trecker und Zugfahrzeuge kommen, um die fertigen Wagen abzuholen – das sei schon ein tolles Gefühl. Viel Arbeit und Mühe steckt hinter dem Zauber des Schoduvels und ich freue mich, ihn am 7. Februar live erleben zu können.
Beitragsbild: Foto: BSM
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