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Zwischen zwei Welten

Seine erste Weltreise trat der Rap in den 1980er Jahren an: die Songs von Grandmaster Flash, Run DMC oder Public Enemy trugen den Sprechgesang aus den USA über den ganzen Globus und natürlich auch nach Deutschland. Kommerziell erfolgreich wurde später v.a. der Gangsta-Rap, der mit seiner Vorliebe für Gewalt- und Drogenthemen bis heute populär ist. Seine zweite Weltreise tritt der Rap von Braunschweig aus an, zurück in die Slums und Ghettos – aber ohne Gewalt und Drogen im Gepäck. Zurück auf den amerikanischen Kontinent – aber diesmal nach Südamerika, nach Kolumbien, El Salvador und Ecuador.

Der Name dieses Projekts: Rapflektion Worldwide. Rapflektion, das bedeutet Rap mit Köpfchen, erst nachdenken, dann rappen. Nachdenken über sich selbst, über das eigene Umfeld, über Politik. Nicht auf die egomanische Gangsta-Rap-Tour, sondern Reimen, um Ungereimtheiten zu entdecken und anzusprechen, dazu coole Beats. Dieses Rezept kommt an bei Jugendlichen, ausgedacht hat es sich der Braunschweiger Carlos Utermöhlen. Vor fast zehn Jahren hat er das Projekt Rapflektion gestartet, los ging es in Braunschweig. Hier arbeitet er bis heute mit Schulen und Jugendzentren zusammen und veranstaltet Rap-Workshops. Carlos bringt den Jugendlichen Taktgefühl und Rhythmus bei. Und sie lernen Rap als musikalisches Medium für eigene Gefühle und gegenseitigen Respekt kennen. „Viele Jugendliche kopieren einfach nur unreflektiert Gangsta-Rapper“, beschreibt Carlos seine Erfahrung aus den Workshops. „Also habe ich geschaut, was wirklich in den Jugendlichen abgeht, was sie fühlen. Warum setzen sie sich solche Masken auf, warum wollen sie unbedingt härter als die anderen sein?“ Dabei hat Carlos gemerkt, dass hinter diesen Masken meist Probleme mit der Familie oder in der Schule stecken. Probleme, die in den Workshops musikalisch verarbeitet werden: „Mir ist es wichtig, dass es authentische Texte mit ehrlichen Gefühlen sind und man keine Rolle spielt“.

Carlos bezeichnet sich selbst als Projektleiter, Künstler, Aktivist „und natürlich auch Rapper“. Er stand schon 2002 das erste Mal auf der Bühne, hatte aber neben seinen anderen Aktivitäten kaum Zeit für die eigene Musik. Jetzt hat er sein erstes eigenes Album „Zwischen zwei Welten“ am Start. Diese andere Welt ist Südamerika – Carlos‘ Mutter stammt aus Ecuador. Zu diesem Kontinent ist Carlos vor fünf Jahren erstmals aufgebrochen, es war die Geburtsstunde von „Rapflektion Ecuador“, „Rapflektion Kolumbien“ und „Rapflektion El Salvador“, die Stunde Null von „Rapflektion Worldwide“: „Mein Schlüsselerlebnis war Ecuador 2010. Ich wollte eigentlich nur das Land kennen lernen, aber dann habe ich die Straßenkinder in der Hauptstadt Quito gesehen und war schockiert. Ich habe mich gefragt, wie sich so ein Straßenkind fühlt und habe beschlossen, mit ihnen gemeinsam zu arbeiten.“

Seitdem ist Carlos in den Armenvierteln von Ecuador unterwegs und hält engen Kontakt zu Aktivisten vor Ort, die sich für sozialen und politischen Fortschritt einsetzen: Pastoren, Lehrer, Sozialarbeiter. Carlos sieht sich auch selbst als Aktivist: „Einfach nur auf dicke Hose machen, ist keine Aussage und verdient keine Öffentlichkeit. Ich lebe Rap ganz anders. Rap ist für mich auch immer politische Arbeit, in Lateinamerika noch stärker als hier in Deutschland.“ Mit Gangsta-Rap habe man in Südamerika eh schlechte Karten, meint Carlos. Denn wo Gewalt und Tod an der Tagesordnung sind, seien solche Texte nicht sonderlich beliebt.

Mittlerweile geben die Jugendlichen, die Carlos in Ecuador angelernt hat, selbst Workshops. Und zwei seiner Schützlinge haben sich gerade auf den Weg gemacht, um den Sound von Quitos Straßen nach Braunschweig zu bringen. Am 15. April rappen Lizandro Ortiz, Diego Barriga und Carlos zum Auftakt der Themenwoche Interkultur im Staatstheater, am 18. April sind sie im Jugendzentrum B58 zu Gast und am 25. April geht es auf die ganz große Bühne von Pop Meets Classic in der VW-Halle.

Mitte des Jahres packt Carlos dann wieder seine Koffer. Ein halbes Jahr Deutschland und Europa, ein halbes Jahr Südamerika, so sieht musikalisch-soziale Bildungsarbeit „zwischen zwei Welten“ aus.

Ein ausführliches Interview mit Carlos Utermöhlen gibt es auf kulturblog38.net zu lesen.

Text: Jan Engelken

Artikelbild: Rapflektion Kolumbien. Foto: Jairo Garrido

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