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Frauenpower in der Löwenstadt

Konrad Koch, Carl Friedrich Gauß und natürlich Heinrich der Löwe – fragen mich meine Freunde nach wichtigen Braunschweiger Persönlichkeiten sind das die ersten, die mir einfallen: der Braunschweiger Lehrer, der den Fußball nach Deutschland brachte, der berühmte Mathematiker, der mit seiner Normalverteilung einen maßgeblichen Beitrag zur Wahrscheinlichkeitsrechnung leistete und der Welfenherzog, der mit seiner Wahl Braunschweigs als seine Residenzstadt den Grundstein für die Stadt legte, in der ich heute lebe.

Dass das nur eine kleine Auswahl derjenigen Braunschweiger ist, die etwas geleistet haben, woran es sich zu erinnern lohnt, ist mir klar. Besonders bewusst wird mir das aber heute, denn der 8. März ist Weltfrauentag und damit ist es höchste Zeit für mich, herauszufinden, welche Braunschweigerinnen sich im Laufe der Zeit mit ihren Leistungen hervorgetan haben.

Ricarda Huch

Foto: Stadtarchiv Braunschweig

Foto: Stadtarchiv Braunschweig

Nicht überraschend ist, dass mir als ehemalige Literaturwissenschaftsstudentin als erstes Ricarda Huch begegnet. Die Historikerin und Schriftstellerin wurde 1864 in der Löwenstadt geboren und hat nicht nur ein umfangreiches und vielfältiges literarisches Werk hinterlassen, sondern war auch eine der ersten deutschen Frauen, die promoviert haben. Der Wert ihres Lebensweges für die akademische Anerkennung der Frau ist geprägt durch eine Aussage ihres renommierten Schriftstellerkollegen Thomas Mann, der anlässlich ihres 60. Geburtstags gegenüber der Frankfurter Zeitung äußerte: „Denn nicht nur die erste Frau Deutschlands ist es, die man zu feiern hat, es ist wahrscheinlich die erste Europas.“ Thomas Mann war es auch, der Huch mehrfach für den Literatur-Nobelpreis vorgeschlagen hat, den sie allerdings nie erhielt. Ausgezeichnet wurde sie dennoch: 1944 erhielt sie den Wilhelm-Raabe-Literaturpreis der Stadt Braunschweig. Doch nicht nur das zeigt, welche Anerkennung sie in ihrer Heimatstadt genoss: Noch heute finden sich zahlreiche Spuren der Braunschweigerin wie Gedenktafeln im Inselwallpark oder die Ricarda-Huch-Schule, ein Gymnasium, das ihr zu Ehren 1944 umbenannt wurde.

Foto: Wikimedia

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Wilhelmine Reichard

Hoch hinaus wollte die 1788 in Braunschweig geborene Wilhelmine Reichard und genau das hat sie gemacht: Im Alter von 23 Jahren steigt sie am 16. April 1811 als erste deutsche Frau in einem Ballon in die Lüfte. Fasziniert von der Ballonfahrt und mit der Unterstützung ihres Mannes Gottfried Reichard, unternimmt sie in nur einem Jahrzehnt 17 Fahrten, obwohl bereits eine ihrer ersten unglücklich endet: Als sie am 30. September 1811 bei ungünstiger Wetterlage abhebt, erreicht sie zunächst eine Rekordhöhe von etwa 7.800 Metern. Dabei verliert sie allerdings das Bewusstsein und stürzt ab. Reichard überlebte den Absturz und gilt noch heute als eine Pionierin der Luftfahrt.

Minna Faßhauer

Auch eine Pionierin, wenn auch in ganz anderer Hinsicht, war Minna Faßhauer. Die gebürtige Bleckendorferin kam 1893 im Alter von 18 Jahren nach Braunschweig und arbeitete als Dienstmädchen. Hier kam sie über ihren späteren Mann Johannes Georg Faßhauer mit sozialistischen Schriften in Berührung, nachdem sie sich selbst Lesen und Schreiben beigebracht hatte. 1903 trat sie in die SPD ein. Damit begann ihre politische Karriere, die ihren Höhepunkt erreichte, als sie als erste Frau in Deutschland ein Ministeramt übertragen bekam und Volkskomissarin für Volksbildung wurde. Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten schloss sich Faßhauer einer Widerstandgruppe an und wurde mehrfach verhaftet. Entmutigen ließ sie sich dadurch nicht und wurde auch nach Kriegsende wieder politisch aktiv. Ihrem Leiden unter der nationalsozialistischen Herrschaft ist in Braunschweig ein Stolperstein in der Hugo-Luther Straße 12, ihrem letzten Wohnort, im Rahmen des Projekts Stolpersteine gewidmet.

Foto: Wikimedia

Foto: Wikimedia

Agnes Pockels

Berühmt geworden durch den täglichen Abwasch – wer kann das schon von sich behaupten? Agnes Pockels! Sie wurde 1862 in Venedig geboren, hat aber den Großteil ihrer Lebenszeit in der Löwenstadt verbracht. Obwohl ihr eine höhere Schulbildung aufgrund ihres Geschlechts verwehrt blieb, hat sie als Physikochemikerin grundlegend zur Erforschung der Oberflächeneigenschaften von Wasser beigetragen, angeregt durch Abwaschwasser. Für ihre Forschungen erhielt die Autodidaktin 1932 als erste Frau die Ehrendoktorwürde Dr. Ing. h. c. von der damaligen Technischen Hochschule Braunschweig. Durch die Agnes-Pockels-Medaille, die die Technische Universität Braunschweig seit 1992 verleiht, und das nach ihr benannte Schülerlabor am dortigen Chemie-Institut ist ihr Name noch heute eng mit Braunschweig verbunden.

Schriftstellerin, Pionierin, Politikerin, Wissenschaftlerin – schon ein erster Überblick zeigt, dass die Geschichte der Löwenstadt vielfältige Frauenpower zu bieten hat. Und die Suche war nicht schwierig: Die Braunschweigerinnen haben Spuren in ihrer Heimatstadt hinterlassen, die noch bis heute an sie erinnern und ich bin froh, mir die Mühe gemacht zu haben, genau hinzusehen.

5 Comments

  • stroppe

    Antworten
    08.03.2017at20:17

    schäne texte, aber … der begriff „machtergreifung“ wurde von den nationalsozialisten geprägt und sollte die tatsächlichen umstände, die zu zum hitlers kanzlerschaft führten, im sinne der ideologie verbrämen. in der geschichtswissenschaft wird diese bezeichnung deswegen vermieden. wäre gut, wenn sich diese praxis einbürgern würde.

  • Manorainjan

    Antworten
    08.03.2017at10:29

    Und in der Gegenwart ist Schluss mit Frauenpower?
    Sicher nicht.
    Wie wär’s mit der in Braunschweig geborenen
    https://de.wikipedia.org/wiki/Leyla_Onur,
    erste deutsche Abgeordnete türkischer Abstammung im Deutschen Bundestag und im Europäischen Parlament?

    • lapeds

      Antworten
      08.03.2017at16:59

      I totally agree!

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