Suchbegriff eingeben:

„Das Gucken muss man üben!“

Eigentlich ist alles wie immer, an diesem Vormittag im LOT-Theater. Gut, das Publikum um mich herum ist – abzüglich des ebenfalls anwesenden Betreuungs- und Lehrpersonals – wesentlich jünger als sonst, aber das ist ja Sinn der Sache. Gleich vier große Schulklassen möchten sich „Lost in News“, die Eröffnungsproduktion der vierten Kinder- und Jugendtheatertage anschauen. Nun stehen die Schüler im proppenvollen Foyer um Theaterleiterin Stefani Theis, die ihre Stimme zur obligatorischen Stückeinführung angesichts der quirligen Zielgruppe in noch höhere Dezibel-Regionen katapultiert als ohnehin üblich.

Gezielte Heranführung

Nötig wäre das gar nicht gewesen, denn die jungen Leute hören schnell sehr bereitwillig zu, zeigen echtes Interesse. Ebendieses zu wecken und zu fördern ist das Ziel der Veranstaltung. „Theater-Erfahrungen machen viele Kinder und Jugendliche nach wie vor nur, wenn sie durch die Eltern oder in den Schulen gezielt an die Materie herangeführt werden. In integrierten Gesamtschulen oder Gymnasien wird der Zugang zum Theater oft geschaffen, bei anderen Schulformen ist das seltener der Fall“, erzählt Theis. Um potenziell alle Bildungsstätten zu erreichen, greife ihr Haus verstärkt auf die Kontakte des Theaterpädagogischen Zentrums in der Steinstraße zurück, das 2013 als Koordinationsstelle für die theaterpädagogischen Aktivitäten in der gesamten Region gegründet wurde und nun als kompetenter Ansprechpartner für alle interessierten Vereine, Schulen und Künstler fungiert.

Die Jugendlichen drängen sich im Foyer des Theaters. Foto: André Pause

Die Jugendlichen drängen sich im Foyer des Theaters. Foto: André Pause

Theater will trainiert sein

Die Eigenmotivation sei im Falle eines jungen Publikums manchmal schwierig zu erreichen, so Theis. Umso wichtiger ist da, dass das Programm die wichtigen Themen der Alterskohorte bereithält. „Wir wollen Kindern und Jugendlichen von Anfang an zeigen, dass Theater nicht nur für Privilegierte ist, sondern eine Normalität hat. Dabei geht es um mehr als nur um Niederschwelligkeit, das hat auch viel mit Gewohnheit und Regelmäßigkeit zu tun. Das Gucken muss man üben “, lächelt die Theaterleiterin. Die Sicherheit komme durch die Wiederholung des Prozesses, durch Training, das sei im Grunde wie beim Sport.

Lust auf Auseinandersetzung

Die Kinder- und Jugendtheaterwoche umfasst vier Produktionen, was anknüpfend an Theis Aussage als eine Art Trainingscamp gesehen und gestaltet werden könnte. Bei dieser vierten Auflage wurde der Fokus auf moderne Tanzaufführungen und musikalische Theaterformate gerichtet. Begleitet wird das Programm durch pädagogische Angebote, die sich an Kindertagesstätten, Grund- und Förderschulen, weiterführende Schulen und Berufsschulen richten. In Workshops können Kinder und Jugendliche von fünf bis 18 Jahren die unterschiedlichsten Facetten der Theaterarbeit kennenlernen. „Wir möchten damit Lust auf die Auseinandersetzung mit den Stücken machen, dass die jungen Besucher Urteilsfähigkeit erlernen“, skizziert Stefani Theis. „Ob die die gezeigten Sachen dann gut oder schlecht finden ist erst einmal zweitrangig.“

Ein lebendiges Festival

Auf die Idee, Produktionen für die junge Zielgruppe zu bündeln, kam Theis, die das LOT gemeinsam mit Partner Martin von Hoyningen Huene führt, während eines Besuchs des Kinder- und Jugendtheatertreffens „Hart am Wind“ in Göttingen vor einigen Jahren. Ihre Augen beginnen zu leuchten, wenn sie davon erzählt: „Das war atmosphärisch einfach super. Rund um das Deutsche Theater lag alles dicht beieinander, und die Leute diskutierten angeregt auf den umliegenden Straßen über die Stücke. Und ich dachte mir, dass etwas in dieser Art doch auch in Braunschweig möglich sein müsste: ein lebendiges Festival.“
Heute wissen wir, dass es möglich ist. Allerdings sei das Unterfangen im Laufe der Jahre nicht einfacher geworden. Je intensiver sie die Situation in Niedersachsen beobachte, desto deutlicher falle ihr auf, dass der hiesige Markt im Gegensatz zu den Theatermärkten in anderen Bundesländern etwas unterbelichtet sei, so Theis: „Das hat mich zunächst auch etwas erstaunt, weil das schon einmal deutlich anders war. In den 1980er Jahren beispielsweise gab es recht viele Impulse aus dem Kinder- und Jugendbereich für das Erwachsenentheater.“

Stefanie Theis und Martin von Hoyningen Huene sind während eines Festivals in Göttingen auf die Idee zu den Kinder- und Jugendtheaterwochen gekommen. Foto: André Pause

Stefanie Theis und Martin von Hoyningen Huene sind während eines Festivals in Göttingen auf die Idee zu den Kinder- und Jugendtheaterwochen gekommen. Foto: André Pause

„Lost in News“

Sehr gut – und dass meiner Meinung nach völlig zurecht – kommt das Stück „Lost in News“ bei der Premiere an. Das Braunschweiger Kollektiv agentur T spielt mit der Informations-Wahrnehmung und den medialen Manipulationsmöglichkeiten. Eine in unschuldiges Weiß gewandete Moderatorin trägt Nachrichten vor. Dabei macht der Ton der Informationsvermittlung die Musik. Ob es nun um den Lebensraum des Dompfaffs oder ausgewachsene Naturkatastrophen geht: als Chanson gesungen oder gerappt, weichen die Grenzen zwischen harter und weicher Info auf, fällt das Unterscheiden zwischen wahr und unwahr plötzlich sehr viel schwerer. „Vielleicht werde ich Dir erzählen, was Du erleben willst, fühlen willst, spüren willst“, sagt die Spielerin gleich zu Beginn. Dieser Satz allein ist Verheißung und Bedrohung in einem. Ob die Jugendlichen ab 14 Jahren hierin den medienkritischen Kern erkennen? Es ist zumindest keine leichte Kost, die der Alterskohorte auf der Bühne präsentiert wird. Aufgelockert wird das Stück mit Musik von Eigeninterpretationen von Wir sind Helden („Von hier an blind“) und Georg Kreisler („Meine Wahrheit, Deine Wahrheit“). Wer jetzt eventuell daran zweifelt, dass ein Kreisler-Lied eine Produktion für Jugendliche auflockert, sollte unbedingt mal wieder ins Theater.

Die Kinder- und Jugendtheatertage laufen noch bis zum 22. Februar. Das detaillierte Programm finden Sie unter www.lot-theater.de. Weitere Infos, Anmeldung und Vorverkauf unter der Rufnummer 0531 – 1 70 30.

Artikelbild: Szenenbild aus Lost in News. LOT Theater

Keine Kommentare

Hinterlassen Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind markiert *. Bitte beachten Sie unsere Netiquette und unsere Datenschutzerklärung.